MANISCHER SUPERHELD
Seine Fantastischen Welten sind für Comicautor Grant Morrison ziemlich real.
Grant Morrison hat alle Hände voll zu tun. Fünf Comic-Manuskripte müssen abgeliefert werden (drei „Batman“ und zwei „Superman“), obendrein das Exposé zu einem Film, in dem tapfere Dinosaurier gegen gnadenlose Aliens kämpfen. Er gehört zu den extremsten, gleichzeitig aber auch kommerziell erfolgreichsten Comicautoren der letzten 25 Jahre. Aus den Grenzbereichen der menschlichen Psyche fördert er utopische Visionen ans Tageslicht, um sie dann ungefiltert zu Papier zu bringen.
„Supergods“, sein jüngst in den USA veröffentlichter Prosaband, ist eine manisch-überschwängliche Achterbahnfahrt durch die 70-jährige Superheldenhistorie, ein wüstes Konglomerat aus Analyse und Autobiografie – und nicht zuletzt die Beschreibung eines Selbstversuches: Was passiert, wenn man jahrzehntelang sein Hirn der Strahlung dieser Paralleluniversen aussetzt und sich konsequent weigert, auch nur einmal aufzutauchen und nach Luft zu schnappen? „Ich wollte darüber schreiben, was passiert, wenn man alles andere aus seinem Leben ausblendet“, sagt er. „Das ist das Resultat – und ein wenig irritierend ist es durchaus.“
Mit zunehmendem Alter sieht Morrison Professor X immer ähnlicher, dem kahlköpfigen, spiritistischen Guru der „X-Men“ – eine der Comicserien, für die er im Laufe der Jahre geschrieben hat. Wie der Professor fühlt er sich in seiner Rolle als Mentor und Guru durchaus wohl – sei es im Kontakt mit anderen Comicbook-Autoren oder auch im Umgang mit Rockstars. Er führte Robbie Williams in die Welt der Magie ein und half Gerard Way, dem letzten Chemical-Romance-Album eine neue Richtung zu geben. „Ich habe definitiv viel von ihm gelernt“, sagt Way, inzwischen ein enger Freund. „Man braucht schon Eier, wenn man sich in einem kommerziellen Umfeld bewegt und trotzdem sagt:, Lass uns die ausgetretenen Pfade verlassen, lass uns etwas wirklich Verrücktes machen.'“
Morrisons Metier ist „Magick“ – die schwarze Magie nach dem Ideal von Aleister Crowley. Seit er 19 ist, hat er okkulte Rituale abgehalten und dabei die unterschiedlichsten Wesen und Gottheiten herbeizitiert – von einem brennenden Löwenkopf bis hin zum Geist von John Lennon, der ihm bei dieser Gelegenheit gleich einen Song vermachte.
1990 veranstaltete er mit einem früheren Bandmitglied seine erste Séance, bei der er ein selbst gefertigtes Ouijabrett benutzte, um der Identität eines mysteriösen Serienkillers namens „Bible John“ auf die Spur zu kommen. „Wir hatten die Buchstaben vorbereitet und ein Glas in der Mitte“, erinnert sich Morrison, „und wir saßen am Tisch und dachten:, Das wird nie funktionieren. Hallo, ist jemand da draußen?‘, und plötzlich schießt das Glas über das Brett und fängt an zu buchstabieren.“ Sie konnten die Identität des Mörders zwar nicht klären, aber der Vorfall – wie so vieles in Morrisons Leben – lieferte immerhin den Stoff für ein Comic-Buch.
Das „absolut magischste Phänomen“ ist für ihn allerdings die Tatsache, dass er Vorfälle wie diesen zum Beruf machen konnte. „Um ehrlich zu sein: Es ist schon reichlich pervers, dass es gerade die abgefahrensten Ideen sind, die meinen Lebensunterhalt finanzieren“, sagt Morrison und klingt plötzlich ganz wie das Kind der Arbeiterklasse, als das er in Glasgow geboren wurde. „Die bizarrsten Assoziationen, die man 1994 auf Ecstasy hatte, verwandeln sich plötzlich in Geld, und das Geld verwandelt sich in Häuser, und die Häuser verwandeln sich in Katzenfutter. Es ist der Yukon in deinem Hirn, der große Goldrausch, und alles sitzt unter deiner Schädeldecke und verwandelt sich zu Gold.“
In seiner Jugend musste Morrison nicht lange suchen, um einen persönlichen Superman zu finden, wenn auch einen mit kleinen Macken. Walter Morrison, sein Vater, war militanter Pazifist und linker Aktivist, der regelmäßig von der Polizei drangsaliert wurde. „Er war in Glasgow stadtbekannt“, so Morrison, „aber wenn er seine Anti-Atomkraft-Botschaften unters Volk brachte, nahm er sicherheitshalber eine andere Identität an.“
Walters konstantes politisches Engagement führte indes dazu, dass die Familie am Hungertuch nagte – und die Eltern sich scheiden ließen, als Grant gerade in die Pubertät kam. Seine Welt verdunkelte sich zunehmend. Er bekam zwar ein Stipendium für eine schottische Eliteschule, doch die tägliche Anfahrt war so zeitraubend, dass seine sozialen Kontakte darüber völlig unter die Räder kamen. Er verbrachte seine Freizeit damit, eigene Versionen der US-Comics zu entwickeln, die seine Kindheit geprägt hatten.
Nachdem er von der Kunsthochschule abgelehnt worden war, spielte er in Punk-Bands und arbeitete für britische Comicmagazine, die er aber allesamt nur als zweitklassig empfand. Sein Durchbruch in Amerika kam, als er 1988 – damals Teil einer Bewegung in England, die ähnlich illustre Comic-Schreiber wie Neil Gaiman und Alan Moore hervorbrachte – einen wenig populären DC-Comics-Charakter namens Animal Man neu belebte und sich selbst als Protagonist in die Handlung einbrachte. Animal Man wird zunehmend klar, dass er eigentlich nur eine Fiktion ist. In einer inzwischen berühmten Sequenz schaut er aus dem Comictableau und schreit den Leser an: „Ich kann dich sehen!“ Am Ende trifft Animal Man auf Morrison, seinen Schöpfer, der sich dafür entschuldigt, in einem früheren Heft dessen ganze Familie eliminiert zu haben, und verspricht, sie wieder zum Leben zu erwecken. „Ich versuchte, selbst Teil einer Fiktion zu werden“, sagt er, „weil in meinem Kopf nun mal all diese wahnwitzigen Ideen kursierten.“
Mit der Graphic Novel „Arkham Asylum“ verdiente er 1989 sein erstes richtiges Geld. Die surreale, psychosexuell gefärbte Geschichte von Batman und dem Joker lieferte Heath Ledger die Vorlage, um dem Charakter eine ganz neue Dimension zu verleihen. „In gewisser Weise erwies sich der Mainstream-Superhelden-Stoff als experimenteller als die Sachen, die ich privat machte“, sagt Morrison, der seit 2006 seine monatliche Batman-Ration liefert. „In der 70-jährigen Geschichte von Batman werden meine Episoden sicher Bestand haben. Ich habe der Story einen Dreh gegeben, der ein fester Bestandteil des Charakters bleiben wird – und das ist für mich von größerem Wert als alles andere, was ich sonst noch anpacken mag.“
Morrison war gerade 30 geworden, als er mit den Batman-Einnahmen endlich all die Dinge nachholen konnte, die er in seiner Jugend verpasst hatte. Er reiste um die Welt und besuchte Indien, Thailand, Bali, Neuseeland und Nepal. Er trug nun Leder und Latex, rasierte seinen Kopf und verabschiedete sich von den Normen eines nüchternen Lebens. Er schluckte Acid und Ecstasy, aß psychedelische Pilze – und hatte in Kathmandu eine Vision, die seine künftige Arbeit prägen sollte: Er sah die Welt plötzlich aus einer – nun ja – fünfdimensionalen Perspektive und begegnete silbrigen, amorphen Wesen, die ihm die Zusammenhänge des menschlichen Lebens verklickerten. „Ich hatte das Gefühl, einer höheren Intelligenz zu begegnen. Ich erinnere mich daran, dass Kategorien wie Raum und Zeit plötzlich völlig sinnentleerte Krücken wurden.“
Und dieses Erlebnis sei, behauptet er, nicht etwa auf die Wirkung einer Droge zurückzuführen. „Es war nur ein winziges Stück Hasch, so groß wie eine Linse, und dadurch stellen sich nun wirklich nicht derart extreme Erfahrungen ein. Gott weiß, dass ich es oft genug versucht habe“, beteuert Morrison, der sich wohl bewusst ist, dass die Logbücher seiner mentalen Expeditionen reichlich meschugge klingen. „Ich war mir lange Zeit völlig sicher, dass ich, wenn ich sterbe, genau an diesem Ort wieder aufwachen würde – so, als ob man von einem Videospiel hochschaut und feststellt, dass man sich in seinem Zimmer befindet.“
Ihm sei es nie in den Sinn gekommen, aufgrund dieser Erfahrungen „nun einen auf L. Ron Hubbard zu machen“. Er beschränkte sich darauf, Comics zu schreiben, integrierte aber viele seiner damaligen Visionen in „The Invisibles“ – einer bizarren Serie über mystische Abenteurer, die fünf Jahre später einen direkten Niederschlag im Film „Matrix“ zu finden schienen. „Leute, die auf dem Set waren, erzählten mir jedenfalls, dass, Invisibles‘-Bücher bei den Dreharbeiten kursierten, um visuelle Referenzen zu bekommen“, sagt Morrison, der nichts dagegen gehabt hätte, wenn seine Inspiration auch offiziell gewürdigt worden wäre.
„The Invisibles“ führten einen Charakter namens „King Mob“ ein, der exakt wie der kahlköpfige, Leder-gewandete Grant Morrison aussah. Er versuchte bewusst, die Grenze zwischen sich selbst und seiner Kreatur zu verwischen, indem er King Mobs Lifestyle, nicht zuletzt auch sein Faible für Fetische, in seinem realen Leben kopierte. „Ich wurde die Figur“, sagt er, „wobei er es war, der mich kopierte – und nicht andersherum.“ Nachdem King Mob jedoch halluziniert, dass sein Gesicht von Bakterien zerfressen werde, wurde Morrisons eigenes Gesicht von einer Virusinfektion heimgesucht, die sich immer weiter ausbreitete. Erst nach einem längeren Krankenhausaufenthalt konnte die potenziell tödliche Infektion kuriert werden.Morrison zog die Konsequenz und setzte den offensichtlichen Voodoo zu seinem Vorteil ein: King Mob umgab sich fortan mit heißen Frauen und wurde erfolgreich und reich.
Seit rund einem Jahrzehnt lässt es Morrison mit dem Wahnsinn nun etwas ruhiger angehen. Er reduzierte die Drogen („Nach 9/11 konnte man nicht mehr den globetrottenden Schamanen spielen“) und heiratete Kristan Anderson, eine Versicherungsvertreterin, die sich wie Barbarella anzieht. Sie leben zum Teil in dem Stadthaus, Morrisons alter Wirkungsstätte, zum Teil auf dem Land.
Er nahm auch mehr Mainstream-Aufträge an, schrieb „Justice League“ für DC, „New X-Men“ für Marvel und arbeitete an einem kommenden Relaunch von „Superman“. „Als ich mich mit Superman beschäftigte, hatte ich das Gefühl, über Buddha zu meditieren“, sagt er. „Es war, als würde ich auf eine höhere Ebene gezogen – alles schien plötzlich schöner und wertiger zu sein. Batman ist eine andere Geschichte. Ich versuche bewusst, mich nicht zu sehr auf Batman einzulassen, weil er ein wirklich verrückter Hund ist – und weil ich auch nicht in die Haut von Bruce Wayne schlüpfen mag.“
Nach all den Jahren bleibt er allerdings immer noch fasziniert von dem immanenten Optimismus der Supermenschen. „Wie kämpfen wir gegen die Vorstellung, dass die Menschheit dem Untergang geweiht ist?“, fragt er. „Indem wir uns unsere supermenschlichen Möglichkeiten vor Augen halten: dass es eine Zukunft gibt, dass es etwas gibt, das die Gegenwart transzendiert, wenn wir unser Potenzial nur ausschöpfen. Für den einen mögen die Superhelden nichts als Trash und Toilettenpapier sein – ich sehe in ihnen die Engel von William Blake.“
Von der Magie mag Morrison noch immer nicht lassen – unlängst versuchte er, auf diese Weise seine kranke Katze zu kurieren. Er ist überzeugt, als magischer Veterinär durchaus auf Erfolge zurückblicken zu können, räumt aber ein, dass sich die Resultate nicht immer eindeutig verifizieren lassen. „Es ist so, als würde man beweisen wollen, dass Wasser auf der Sonnenoberfläche verkocht – man kann es nicht! Ich bemühe mich daher, in solchen Situationen lieber den Mund zu halten, um nicht wie ein Geisteskranker rüberzukommen.“
Was aber nichts daran ändert, dass Morrison selbst an den Wahrheitsgehalt seiner Geschichten glaubt. Wie er in „Supergods“ schreibt: „Dinge müssen nicht real sein, um wahr zu sein. Und umgekehrt.“