„Man kann mich nicht lernen!“
Deutschlands beste Bühnenpoetin kultiviert die Macht des Wortes. Für Sounds untersucht sie, ob Subversion und Sprachgeschick den Mainstream berühren können und was passiert, wenn ihre eigene kleine Rebellion auf Konventionen trifft.
Rebellion muss nicht unbedingt was mit schlechtem Benehmen zu tun haben“, überlegt Lydia, nippt an ihrer Flasche Riegele-Bier und parkt sich tief in einen der grünen Omasessel des Augsburger Cafes „Zum weißen Lamm“. „Sondern damit, auf Dinge hinzuweisen, auf die andere nicht hinweisen.“ Und hinweisen kann sie. Meisterhaft. So greift sie in ihren Gedichten und Songs nach Alltagsthemen, scheut selbst Langeweile oder Antriebslosigkeit nicht und verpasst diesen Themen erfrischend andere Perspektiven: „Ich habe einen Protestsong gegen den Protest geschrieben. Wir müssen ja nicht immer rausgehen, wir können genauso gut zu Hause bleiben und dort etwas verändern. Zum Beispiel Haare aus dem Teppich reiben, um diese später als Echthaar-Broschen auf alternativen Festivals zu verkaufen.“
Die in Berlin geborene, 28-jährige Halblibanesin wohnte einige Zeit in Köln, lebt mittlerweile in Augsburg und ist zur festen Größe im Poetry Slam gewachsen: Hier wurde sie 2005 zu Deutschlands bester Bühnenpoetin gewählt. Die zierliche Frau mit den dezent angenächtigten Kulleraugen schreibt bemerkenswert spitzfindige Verse, tritt auf Lyrik-, Literatur- und sogar Kabarettveranstaltungen auf, hält viel besprochene Lesungen und hat sich letztes Jahr eine neue Herausforderung gesucht: Songs. Denn: „Wenn man Musik macht, fühlen sich die Worte nicht so alleine.“ Ihre Akkorde schrammeltsie unelitär, auf der Bühne steht sie unverkrampft und natürlich, und aus ihrer eigenen musikalischen Unperfektion zieht sie jede Menge Ideen für spontane Aktionen. Wenn bei einem Konzert in Düsseldorf ein Mitsingteil in die Hose geht, sagt sie gerade heraus: „Die Lesben in Innsbruck haben mehr losgemacht.“ Ein in Wirklichkeit durchdachtes Konzept und gemein getarnter Hinweis. „Ich scheitere gern in den Posen, die allgemeingültig sind für den Pop oder das Lyrik-Business. Indem ich sie versuche und daran scheitere, decke ich sie auf: Kennst du die Gitarristen, die den Fuß auf die Monitorbox stellen? Ich versuche, mit beiden Beinen auf zwei Monitorboxen zu steigen, und natürlich funktioniert das nicht. Ich kippe um! Ich liebe es, die Leute in diesem diffusen Moment völlig allein zu lassen, wo sie selbst entscheiden müssen, ob das jetzt lustig oder peinlich war.“ Spricht’s und winkt sich noch ein Bier herbei, um ihre Lausmädelfreude dahinter zu verbergen.
Ihre größte Stärke ist der Umgang mit Worten, die voller Mut und neuer Ideen stecken. „Der Würfel fällt, aber wir wissen noch nicht wie tief“, schreibt sie, und in ihrem einzigen Gedicht mit Frühlingscharakter heißt es: „Draußen schlägt das Grün derzeit aus wie eine ängstliche Mutter.“ Was aber ist es, das Worten Kraft verleiht? Laut Lydia sind Worte nur mächtig, wenn sie verstanden werden und die Leute anders erreichen als normale Worte. „Die Sozialpsychologie weiß, dass man Leuten keine Meinung aufzwingen und Vorurteile durch Worte löschen kann. Daher ist meine Idee, in banalen, alltäglichen Dingen Standpunkt- und Blickwinkelwechsel anzubieten und nicht mit dem Vorschlaghammer zu kommen. Wenn die Leute in diesen Dingen eine wichtige Erfahrung machen, können sie auch in anderen Lebenssituationen Blickwinkel ändern.
Denn die Leute sollen nicht mich verstehen, sondern sich , stellt sie klar. Aber: Wieviel können Worte demnach wirklich bewirken? Hat Subversion gegen Konventionen und Mainstream überhaupt eine Chance? „Es ist totaler Quatsch, über Gedichte die Welt verändern zu wollen“, sagt Lydia, „weil sich maximal ein Prozent der deutschen Bevölkerung für Gedichte interessiert, und davon schreiben 80 Prozent selber welche! Was ich mache, kann den Mainstream nicht beeinflussen, weil es für ihn nicht funktioniert. Dafür müssten mehr Künstler um die Ecke denken und vor allem: was zu sagen haben. Man kann mich nicht lernen.“
Lydias Kopf ist voll wie ein Druckkochtopf. In unregelmäßigen Abständen zapft sie Gedichte und Songtexte von erfrischender Gewandtheit und unverblümter Nähe von sich selbst ab und dokumentiert in ihrem 15-Quadratmeter-Zimmer den künstlerischen Aufstand per Vierspurrekorder. Rebellion kann eben viele Facetten annehmen: „Schon in der Grundschule bin ich einfach gegangen, wenn mir etwas zu blöd war. Dann habe ich meinen Tornister gepackt und bin nach Hause gelatscht. Das Rebellische an mir als Dichterin ist heute, dass ich selten den Weg des geringsten Widerstands gehe. Wenn ich merke, ich kann was zu gut, muss ich was anderes machen. Deswegen habe ich die Songs aufgenommen. Zudem möchte ich mich nicht festlegen! Ich will nicht nur melancholische Gedichte oder lustige Lieder machen, obwohl es damit sicher leichter wäre, sich darzustellen und ein Zielpublikum zu finden.“
Der Mut zur Echtheit. Viel zitiert, selten umgesetzt. Lydia gesteht sich ihren Hang zum Zweifeln und Grübeln zu, aus dem sie etwas Gutes in Form von Kunst zu formen versucht. Sie selbst nennt es „das Leid in Perlen verwandeln“. Manchmal bewundert sie die spontane, simple Auffassungsgabe ihrer Sport studierenden Brüder, drei Jahre jünger und eineiige Zwillinge: „Da mache ich Worte zu meinem Beruf, aber die beiden bringen’s hin und wieder unschlagbar genial auf den Punkt: Bei einem Poetry Slam beim WDR sitzen sie im Backstagebereich, als eine andere Künstlerin sie entdeckt und sagt: „Hey, ihr seid Geschwister, oder?“ Da deutet einer der beiden auf den anderen und nickt: „Das ist meine kleine Schwester.“