Malcolm Young verlässt AC/DC: der Motor fällt aus – ein Nachruf
Malcolm Young quittiert aus gesundheitlichen Gründen seinen Dienst bei AC/DC. Die Band veröffentlicht noch mal ein Album, geht aber ohne ihn auf Reisen. Der Mythos verliert seinen Motor. Ein Nachruf aus "Die Welt"
Erschienen in Welt Online, 25. 9.2014:
Als Bon Scott starb, war ich 14 Jahre alt. Ich ging mit einer schwarzen Armbinde zur Schule, meine Lehrerin sprach mir ihr Beileid aus, und meine Trauer saß so tief, als hätte ich ein Haustier oder einen nahen Angehörigen verloren. Nie wieder würde die Welt dieselbe sein. Bon Scott hatte wie niemand sonst gesungen, engelsgleich und teuflisch, glockenhell und finster. AC/DC waren meine musizierenden Ritter gegen die verstiegene Musik der großen Brüder. Andere mochten Punk und kostümierten sich gegen den bürgerlichen Rock. Ich trug beim ersten Abschied von der besten Arbeiterband aller Zeiten einen Trauerflor.
Mit einem neuen Sänger feierten sie 1980 ihre Wiederauferstehung. Brian Johnson reist noch heute um die Welt mit AC/DC und mit seiner Schiebermütze, schreit und stampft über die Bühnen, dafür habe ich ihn lieb gewonnen. Hymnen wie „Hells Bells“ mit Brian Johnson zählen für mich ebenso zum Oeuvre wie „Highway to Hell“, sogar wenn sie im Stadion des FC St. Pauli laufen, dem Themenpark der westdeutschen Alternativkultur.
Vor allem aber weiß ich seit Bon Scott tot ist und Brian Johnson singt, dass AC/DC erst dann nicht mehr AC/DC wären, wenn ihr Motor ausfiele. Ihr zweiter Gitarrist, der Gnom mit der gewaltigen Gretsch vor dem Gemächt, der Stoiker der Gruppe: Malcolm Young.
Im Frühjahr hatte er bereits erklärt, sich aus gesundheitlichen Gründen eine Auszeit zu genehmigen. Jetzt hört er ganz auf. Im Advent erscheint noch mal ein neues Album, es wird „Rock or Bust“ heißen und sich so anhören wie alle anderen in den vergangenen 40 Jahren. Als Vertreter schickt er einen Neffen namens Stephie auf Konzertreise. Die Band wird weiter AC/DC heißen.
Ich habe die Brüder Young, Malcolm und Angus, vor zehn Jahren einmal in einem Hotel zum Tee getroffen. Angus schnatterte, bis sein Earl Grey kalt war, ohne viel zu erzählen – wie er auch Gitarre spielt, ein alt gewordenes Kind, das sich schnell langweilt. Malcolm nippte lächelnd am Darjeeling und sagte gelegentlich einen durchdachten Satz, den man unter sein Denkmal hätte meißeln können: „AC/DC sind keine Legende und kein Mythos, sondern eine Bluesband.“
Sie könnten problemlos einen Neffen in die Schuluniform von Angus stecken, ihn durch ein Gitarristen-Trainingslager scheuchen und zwischen die Hinterbliebenen von AC/DC auf die Bühne stellen. Malcolm ist nicht zu ersetzen. Jedes seiner Riffs steht so präzise und einmalig in der Landschaft, dass man nur davor knien und staunen kann. Ich habe die Musik von AC/DC nie für primitive Kunst gehalten wie der Überbau, den sie nie nötig hatten, es ihrem sich nun dem Ende zuneigenden Lebenswerk zuschreibt.
Im Geiste sind sie noch die Gossenjungs, die immer nur Gitarre spielen wollten und sich Geld dafür als Tagelöhner in der Pornodruckerei verdient haben. Aber wer mag sie heute nicht? Sie sind die Band der vielleicht größten Koalition der Welt, die ohne AC/DC nun endgültig eine andere sein wird.