Makellose Kaputtheit: The Libertines live beim Lollapalooza in Berlin
Da stehen sie nun, die boys in the band, die likely lads, die Verfechter von Albion. Bei einer Band, deren Mythologie und ikonografisches Auftreten so wichtig – womöglich sogar wichtiger – ist als die Musik selbst, mutet es wie eine übernatürliche Erscheinung an, diese Gestalten nach all den Jahren lebendig auf einer Bühne zu sehen.
Schlagzeuger Gary Powell und Bassist John Hassall haben sich optisch gut gehalten; der oberkörperfreie Powell trommelt wie bescheuert auf sein Kit ein, der stoische Hassall bildet einen Energie-Gegenpol und hat im Verlauf des Abends vielleicht einen Bewegungsradius von drei Zentimetern. Aber sind wir ehrlich, Powell und Hassall sind Statisten, Staffage, Bühendekoration im Vergleich zu Peter Doherty und Carl Barât, den Sängern und Gitarristen, die dynamische Gegensätze so formvollendet verkörpern, dass man fast einen Managerstab und Boyband-Algorithmus, einen great rock’n’roll swindle quasi, hinter ihrer makellosen Kaputtheit vermutet.
Das Leben und Leiden des Pete Doherty konnte in der Boulevardpresse bestens verfolgt werden; der Anblick seines verbrauchten, geschundenen Körpers überrascht das Berliner Publikum erwartungsgemäß nicht. Was hingegen überrascht, ist eine neue Facette Dohertys, die man bisher kaum kannte: Professionalität. Mit selten gesehener Souveranität spielt er die vertrackten Libertines-Riffs. Hin und wieder vergreift er sich; das Unsaubere scheint dann aber Kalkül zu sein, ein weiterer Kunstgriff der kaputten Ästhetik. Die Zuschauer wirken fast enttäuscht, keinen kranken Mann zu sehen, sondern einen, der sich für den Moment im Griff hat. Wenn er dann doch pflichtbewusst einen Mikrofonständer umtritt oder den Leuten mit einem randgefüllten Bierbecher zuprostet, ist der Applaus groß.
Barât ist nach wie vor ein attraktiver Mann, der die Manierismen einer Rock-Ikone mit müheloser Eleganz durchspielt. Mit brennender Zigarette im Mundwinkel, ins Gesicht fallenden Haaren, enger Hose und Lederjacke stellt er das Indie-Ideal, das die Strokes um die Jahrtausendwende wiedererfanden, auch als Enddreißiger noch überzeugend dar. Das leicht aufgedunsene Gesicht lässt allerdings Schlimmes befürchten; es ist zu hoffen, dass er nicht den Pfad einer schleichenden Demontage à la Johnny Depp betreten wird. Es ist unmöglich, über die Libertines ohne Oberflächlichkeiten zu sprechen, ist doch die Inszenierung von Körpern und ein imagebildendes Modebewusstsein so zentral für die Selbstmythologie dieser Band.
Und die Musik?
In knapp anderthalb Stunden spielten die Libertines zwanzig Lieder: Vieles vom mittlerweile legendären Debüt (nur “Radio America”, “Up the Bracket” und “I Get Along” nicht), die wichtigen Lieder des Zweitwerks, und vier Stücke vom neuen Album “Anthems For Doomed Youth”, die mit Ausnahme der Single “Gunga Din” eher schulterzuckend zur Kenntnis genommen wurden. Überhaupt war die Stimmung keineswegs so ekstatisch wie man das vielleicht erwartet hatte. Das Lollapalooza-Publikum war gut gelaunt und zivilisiert, vereinzelt wurde im Takt gehüpft oder rhythmisch der Zeigefinger Richtung Bühne gewippt. Nach verhaltenem Applaus – vielleicht darf die Hemmung durch den herüberschwappenden Lärm des Macklemore-Konzerts gegenüber nicht unterschätzt werden – gab es dann, ganz professionell, zwei Zugaben. Nach dem letzten Lied, “Don’t Look Back Into The Sun”, stellten sich die Libertines halb umarmend in eine Reihe und verbeugten sich, wie Schauspieler nach einem Theaterstück.