Majestät braucht Sonne
Die großen Tage sind vorbei, doch PHILLIP BOA wurschtelt sich als Indie-Denkmal durch und reift nach eigener Zeitrechnung zum Klassiker
Eine gewisse Eitelkeit wird Herrn Boa seit je nachgesagt. Doch vergessen Sie alles, was Sie über den deutschen Großkünstler zu wissen glaubten: Die einschlägigen Schilderungen sind untertrieben. „Arschloch“ wird Boa bei Konzerten entgegengebrüllt – eine Invektive, die der Musiker nonchalant als Kompliment versteht. Nur eine Schale Milchkaffee braucht Boa zum Interview, Sonne oder Schatten sind ihm eins, er lehnt sich gemütlich zurück. Die Augen sind rot umrandet, auf dem T-Shirt prangt der Schriftzug eines angesagten Elektronik-Ensembles, denn Boa ist natürlich Fan von jungen, angesagten Elektronikern. Deshalb hat er Console an seiner neuen Platte mitwirken lassen, einen Track mischte Schneider TM. So was wie ein Remix ohne Song oder Remix als Song ist daraus entstanden, obercool natürlich. Denn Boa interessiert sich. Und kümmert sich. Und hält den Anschluss. Lernen von den Jungen, doch Majestät braucht Sonne.
Benjamin von Stuckrad-Barre etwa, der Vorjahren Boas „Singles Collecti«/“bei der Plattenfirma betreute, nachdem er ein Porträt des Künstlers als Malteser geschrieben hatte (das Boa „okay“ fand), wird väterlich ermahnt, er schreibe zuviel in Blättern wie „Amica“. Stuckrads enthusiastischer Boa-Aufsatz, eine bewegte Lobrede auf den schon etwas welken Indie-Helden, schmeichelte ihm in Wahrheit über Gebühr. Heute lächelt Boa souverän und freut sich geheimnisvoll, der Stuckrad habe „einiges von mir gelernt“. Darunter „die Distanz“: „Ich mache das ja alles nicht mit.“ Er hat, schön für ihn, das Business komplett durchschaut.
Dabei macht Phillip Boa noch immer eine ganze Menge mit. Nach seiner Flucht nach Malta und der Absage an Deutschland, übrigens bloß ein Witz („Ich war betrunken“), kehrte er doch immer wieder heim, um die allfällige Boa-Platte bei seiner Stammfirma abzuliefern. Am Ende des Jahrtausends kündigte er allerdings die Freundschaft mit dem Plattenfirmen-Gewaltigen Tim Renner, als die Verträge vieler Künstler der Universal-Gruppe neu ausgehandelt werden sollten. Boa ging. „The Red“ ist nun auf RCA Victor erschienen, dem legendären Elvis-Label, das ein paar Jahre zuvor schon für Morrisseys M 5oKf/i^ra»‘ Grawmßr“reaktiviett worden war. Doch Boa rechnet schon damit, „dass ich bei RCA rausfliege“. Ein Achselzucken. Auch von „The Red“ werden wahrscheinlich nicht genügend Exemplare abgesetzt Mit bemerkenswerter Gleichgültigkeit schaut Boa seinem Egalwerden zu.
Doch was schert es ihn, Boa, der gern von Bowie spricht und Paul Weller als Vorbild sieht? Mit Ende 30 hat er den Nachruhm fest im Blick. Was soll Boa noch erreichen, nachdem „ich vier Sterne im ,Q Magazine‘ hatte und beinahe auf dem Titel des ,NME‘ war“? Auf den Titel des „Melody Maker“ kann er nun bloß nicht mehr kommen, „weil es den nicht mehr gibt“. Auch sonst ist eigentlich kein Titelbild in Sicht, aber Boa hält ja Kontakt zur Szene, die dufte zu finden er ähnlich obsessiv behauptet wie Herbert Grönemeyer, und arbeitet zugleich am Klassikerstatus. Es gefallt ihm, dass die sinnlose Nennung des Voodooclub eine Art Rückkehr zu heiteren Tagen signalisiert, die von Alben wie „Copperfield“ und „Hair‘ repräsentiert werden. Dabei ist „The Red“ ja ein schepperndes, verzerrtes Chaos nach der alten Schule von Mark E. Smith, gesungen wird gar nicht, nur gebrüllt und gekrächzt. Dafür darf die derangierte Schreckschraube Sibylle Berg mitsprechen, als Muse Nachfolgerin der unglücklichen Pia Lund. Die hatte sich nach ihrem Abschied nachteilig über den Egomanen Boa geäußert, der das großzügig kommentiert: „Sie musste sich halt einiges von der Seele reden.“ Boas Herz aber ist rein.