MAI

Ein schweres Jahr für die Überlebenden der Beat-Generation: Kurze Zeit später, nachdem der US-Lyriker und Avantgarde-Vorkämpfer Allen Ginsberg mit 71 an Leberkrebs starb, faßte sich auch der Road-Philosoph KEN KESEY überraschend an die Brust – SchlaganfaU. Kesey, der früher mit seinen Merry Pranksters in seinem kunterbunten „Further t4 -Bus herumreiste und freigiebig LSD an alle verteilte, wurde sofort ins Krankenhaus gebracht, kam aber schon nach drei Tagen wieder raus. Freilich muß sich der Autor von „Einer flog übers Kuckucksnest“ in Zukunft schonen. Einen Auftritt wie bei dem „Summer Of Love“-Festival in Cleveland/Ohio, kurz vor seinem Schlaganfall, will er sich nicht mehr zumuten: „Ich bin zu müde, und das Wetter ist scheiße“, teilte er der Machern eines ähnlichen Festivals in Frisco im Oktober mit.

Endlich wuchs das zusammen, was auch zusammen gehört deutsche Charts und deutsche Produktionen. Ganz ohne dusselige Quoten-Regelungen kommt es im Mai zu einem historischen Charts-Datum: Neun von zehn Singles in den Top len sind Michel-Produktionen, teilweise homegromi Euro-Pop und Techno, zum Teil aber auch deutschsprachig gesungen. Auch unser Skandal-Trio Tic Tac Toe ist dabei, obwohl kurz zuvor die Leiche von Lees Ehemann gefunden wurde.

Eine Nacht lang war die Disco-Mucke plötzlich nicht mehr pfui: Die Schlaghosen- und Satinanzug-Veteranen namens Bee Gees wurden bei einer Feier in Cleveland offiziell in die amerikanische „Rock & Roll Hall Of Farne“ aufgenommen. Weitere Neuzugänge in der Ruhmeshalle waren Buffalo Springfield, Joni Mitchell, The Jackson 5, The Rascals, Crosby, Stills 8C Nash (ohne Neil Young, der eine Aufnahme in dieses Rock-Museum als eine Beleidigung seines künstlerischen Lebenswerks auffassen würde), Bil] Monroe, Mahaüa Jackson und die Funk-Opis von Parliament. Nur Michael Jackson sorgte für einen kleinen Eklat, als er mit den Worten „nicht aus diesem Blickwinkel“ einem Fotografen die Kamera aus der Hand schlug. Der Bee Gee Barry Gibb kalauerte: „Wir sind das Enigma mit dem Stigma.“ Was allerdings „Saturday Night Fever“ mit dem Rock’n’Roll gemein haben soll, blieb allen trotzdem ein Rätsei.

Nachdem KILAUREN GIBB, eine 32jährige Studentin : us Toronto, erfahren hatte, daß eines ihrer leiblichen Elternteile, die sie nie zu Gesicht bekommen hatte, ein kanadischer Pop-Star sein sollte, surfte sie zunächst eine Nacht lang im Web und stellte fest: Neil Young kann es nicht gewesen sein. Erst bei der Homepage von JONI MITCHELL ging ihr ein Licht auf. Kurz darauf traf sie zum ersten Mal ihre Mama, die 1965 als verarmte Kunststudentin das junge Töchterlein zur Adoption freigegeben hatte. Joni brach in Tränen aus: „Das war der glücklichste Moment meines Lebens!“

AUF DU UND DU MIT ANTICHRIST Brian Warner war früher ein eher unscheinbarer, leicht unterernährter Typ aus Canton/Ohio, der sich lange überlegte, wie aus ihm mal was werden könne. Er sann darüber nach, was wohl die drei schlimmsten Dinge sind, mit denen man Amerikas Bürger erschrecken kann – und kam auf den Teufel, den Tod und den wilden, schmutzigen Sex jenseits von allen Aerobicstudio-Nummern. Ergo malte er sich sein Gesicht weiß an, nannte sich MARILYN MANSONundsangzu den düsteren Industrial-Klängen seiner Band vom Antichristen, der brave Amerikaner mit wildem, schmutzigem Sex lockt und damit ins Verderben führt. Diese Masche ging so perfekt auf wie die vergleichbare Strategie der Band Rammstein bei uns: Alle erregten sich, Manson wurde der Lieblingsfeind von rechten Bibelfetischisten, Konzerte der Horror-Truppe wurden in vielen Städten verboten und Manson selbst ganz nebenbei zu einer Schmuddel-Celebrity hochstilisiert. Plötzlich sah man den Bleichmann in Hochglanzmagazinen an der Seite von Leuten wie Michael Stipe, Janet Jackson oder Lisa Marie Presley – oft auch nur, da es dank der Häßlichkeit Mansons für jeden Fotofrafen ein Leichtes war, von den kleinen optischen Unzulänglichkeiten der mit ihm abgelichteten Promis abzulenken. Honi teilte er der Machern eines ähnlichen Festivals in Frisco im Oktober mit.

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