Mahlen nach Zahlen
Ein Sound ging um auf dem eitlen Branchen-Jahrmarkt „PopKomm“. Unter Hunderten galt ein Konzert als besonders wichtig: der Abend mit Bands des Londoner Avantgarde-Labels „Big Cat“. Neben Untergrund-Helden wie Pavement und Heather Nova spielte auch eine deutsche Gruppe: Blumfeld aus Hamburg, das Ensemble, dessen Album „Ich-Maschine“ vor zwei Jahren eine Art von Kultur-Revolution ausgelöst hatte und allen Hoffnung schenkte, die nie an die deutsche Sprache als Ausdrucksmittel der Rockmusik geglaubt hatten. Am Ende waren 12 000 Exemplare verkauft. „Ich-Maschine“: das „Nevermind“ der deutschen Gegenkultur.
Und nun ,“L’Etat Et Moi“, das schon im Titel sanften Größenwahn signalisiert. Wieder geht es um Identität und Kommunikation, das Ich und das Du und das Dazwischen, die Gesellschaft und das Private, Poesie und Politik. Jochen Distelmeyer -Vifortführer, Sänger und Songschreiber des Trios – hat Nackenschmerzen, so anstrengend ist das Diskurs-Marathon mit Publikum und Journalisten, so strapaziös das Reisen im ICE, und trotzdem staunt er mit kindlichem Eifer über einen besonders schönen Schnellzug und war auch noch in Kohls Mausoleum der Deutschen Geschichte.
Im biederen „Hotel Hafen Hamburg“ trifft man sich heute; so will es der ein bißchen bittere Independent-Desperado und Blumfeld-Manager Alfred Hilsberg. Damals, nach „Ich-Maschine“, war es noch ein kleines Keller-Cafe, in dem Distelmeyer sich eloquent und wütend über Westernhagen, den „neuen deutschen Mann“, ausließ. Über den will er nun nichts mehr sagen. Und nervös sei er auch nicht. Sondern „einfach schnell“. Daß er „extrem unlocker“ sei, wie ein Reporter beobachtete, findet er „als Eindruck nicht haltbar oder so“. Distelmeyer, der Dampftheoretiker, Ad-hoc-Philosoph und Überwältigungskünstler, hat immer auch etwas Panisch-Putziges, den Blick und die Sprache einers Weltveränderers und Überzeugungstäters. „Das ist halt so“, sagt der extrem lockere Schlagzeuger Andre Rattay. Der dritte Blumfeld-Musiker, Eike Bohlken, schreibt gerade an seiner Magister-Arbeit in Philosophie.
Weshalb die Aufregung? „L’Etat Et Moi“ stand auf Platz 2 der Warteliste zu den deutschen Charts. Eine Charts-Plazierung, orakelte der „Spex“-Chefredakteur und Vorsteher des Blumfeld-Fanclubs Christoph Gurk in der „Woche“, wäre „ein Politikum“. Das Album fiel auf Platz 4 der Warteliste.
Blumfeld verweigern sich den Vermarktungs-Mechanismen wie der Medien-Maschinerie. Keine Interviews mit Großverlagen, keine Kumpanei mit politisch unkorrekten Schreibern. Die Anschläge von Hoyerswerda und Rostock gelten ihnen als „von der Bundesregierung geduldete Übergriffe“. Der Schweinestaat und ich.
„Über Identität möchte ich erstmal nicht reden“, sagt Distelmeyer, das Ich sei ein „MacGuffin“, dieses Phantom, das in Hitchcock-Filmen alles in Bewegung setzt und selbst keine Bedeutung hat. „Das Ich als Wendung, als Redewendung. Was wäre denn, wenn es sie nicht gäbe, die Identität? Phil Ochs als eine bessere Möglichkeit, über Kurt Cobain reden zu können. Auf der einen Seite Presley, auf der anderen Seite Dylan. Gut, kleiner Schnitt. Irgendein Typ wacht am Sonntagmorgen auf, hohl, leer, fühlt sich verloren. Es muß doch da irgendwas sein, das sich so leer anfühlt. Dieses Nichts wird gedacht vor dem Gefühl, daß etwas dorthin gehört. Ein Zentrum, um das die Bewegung kreist. Muß ich deshalb zurück zum frühesten Bild, zum im Swimming-Pool tauchenden Säugling, in utero? Oder kann ich sagen: Hey, das ist so, und davon handeln wir?“
Die Musik ist hermetisch wie die Lyrik, ohne Leerstellen, ein kreisendes, hypnotisierendes, geschlossenes Rhythmusgefuge; Distelmeyers Sprechgesang weniger schroff, weniger im Vordergrund. Die Songs „Draußen auf Kaution“ und „You Make Me“ begrenzen das Album – beides entspannte Momente, Liebeslieder, Folk. Das Titelstück „L’Etat Et Moi (Mein Vorgehen in 4 – 5 Sätzen)“ ist ein gesprochenes Gedicht, vollgestopft mit Zitaten, Allegorien, Sprüchlein, Wortspielen. Überhaupt die Zahlen: „Zwei oder drei Dinge, die ich von dir weiß“ heißt ein Song. Als wäre die Mathematik die letztmögliche Ordnung in einem „Faß voller Aporien“ (Gurk). Metaphern, Abstraktionen? „Das ist Denken! Eine Metapher ist kein Bild, sie vertritt das Ding in Abwesenheit. Was ich schade finde: daß dies immer einer Erzählung folgt, wobei Erzählung nach Kategorien des Wertes die Geschichte darstellt. Was ich dem entgegenhalten möchte und worin dieses Album stellenweise einen gescheiterten Versuch darstellt, ist das Zeigen. Quasi ein Malen nach Zahlen.“
Die Revolution wird auch diesmal nicht stattfinden, und der Rigorismus von Blumfeld verhindert, daß sie zu „Rocksäuen“ (Distelmeyer) mutieren. Aber sie gehören zu den kostbaren Menschen, die sich um Sinnstiftung bemühen, um Ausdruck kämpfen, um Formulierung ringen. Die es nicht bei „Es geht mir gut“ bewenden lassen. Blumfeld zeigen ihre Wunde.