Magische Zeiten
In "Mein Amerika" reist Bill Bryson in seine eigene Vergangenheit zurück und entdeckt ein wundersames Land
Bill Bryson weiß immer alles besser. Hinterher. Vorher macht er erst mal vieles falsch, weshalb seine Bücher stets eine Sammlung kurioser Erlebnisse sind, die ihm peinlich sein müssten, wenn sie nicht so witzig wären. Bryson ist vielleicht der bekannteste sogenannte Reiseschriftstellerder Welt, doch sollte man ihn mit diesem kleinen Präfix nicht unnötig herabsetzen. Der Autor, mittlerweile 55 und in Großbritannien ansässig, wuchs in Iowa auf, zog 1977 nach England und veröffentlichte 1989 sein erstes Buch, „The Lost Continent (Streiflichter aus Amerika)“, das mit dem unschlagbaren Bekenntnis beginnt: „I come from Des Moines. Somebody had to.“ Als Bryson damals nach all den Jahren im Exil seine einstige Heimat bereiste, fand er ein neues, komisches Land, das noch komischer wurde, je mehr er darüberschrieb. In den folgenden Jahren bekam auch Großbritannien Brysons Spott zu spüren („Reif für die Insel“), er untersuchte Europa und Australien, bewanderte den Appalachian Trail („Picknick mit Bären“) und fuhr nach Afrika, verfasste außerdem diverse Linguistik-Sachbücher. 2003 reüssierte er mit dem Wälzer „Eine kurze Geschichte von fast allem“ als etwas anderer Sachbuchautor: Auf 670 Seiten fasste er mal kurz zusammen, warum es uns gibt, was die Welt einigermaßen zusammenhält und wieso Eiszeiten gar nicht so übel sind.
Jetzt hat sich Bryson, der Meister des Beobachtens, erstmals an seine eigene Geschichte gewagt. Natürlich war er bisher auch immer der Hauptdarsteller seiner Erzählungen-derjenige, der sich von Stadt zu Stadt quält, meist der Landessprache nicht mächtig und auch sonst sehr ungeschickt, dafür aber stets bereit, einen zu viel zu trinken und sich danebenzubenehmen. So litt man mit ihm, in Hamburg und Bournemouth, in Oslo und Knoxville, und doch war der Dreh- und Angelpunkt immer der unbekannte Ort.
In „Mein Amerika – Erinnerungen an eine ganz normale Kindheit“ (Goldmann) sieht Bill Bryson nichts Fremdes, er erinnert sich an das allzu Vertraute: wie er in Des Moines groß wurde, was seine Familie ausmachte. Das Original heißt (nicht so lahm) „The Life And Times Of The Thunderbolt Kid“, denn der kleine Billy hatte ein übermenschliches Alter Ego, das doofe Leute vaporisieren konnte. ImAlltag passieren dem Kind auch die ulkigsten Dinge, denn dies ist das Amerika der 50er Jahre, und natürlich hat der wühlmäusige Bryson auch wieder eine Menge Fakten ausgegraben, die so unglaublich wie wahr sind: Damals besaßen die US-Bürger 80 Prozent der Elektrogeräte auf Erden und aßen im Durchschnitt 50 Prozent mehr als die Europäer. Bei Brysons war es trotz vieler elterlicher Seltsamkeiten urgemütlich, wie in ganz Iowa, und nicht mal die Aussicht auf einen Nuklear-Krieg konnte den Optimismus trüben.
Der sonst so ironisch-distanzierte Bryson gestattet sich viel Wehmut, wenn er von der Saumseligkeit der Kindheit erzählt und zu dem unvermeidlichen Schluss kommt, dass diese Zeiten unwiderruflich vorbei sind. Natürlich vermisst er die kleinen Lebensmittelbuden und die altmodischen „Lichtspielhäuser“, die individuellen Innenstädte und sogar die furchtbaren Rummelplätze – so wie jeder die Stätten seiner Kindheit vermisst, weil sie greifbarer sind als das Gefühl, dem man eigentlich nachtrauert: dass alles neu ist und nichts unmöglich.