Madonna live in Berlin: Die Hölle, das sind zehn Windmaschinen
Sex und Kirche, Bitches und Jungfrauen: Madonna geht bei ihrer "Rebel Heart"-Tour alle ihre Lebensthemen an, kann aber keine Geschichte erzählen.
Madonna trägt ihr Kreuz, Madonna küsst das Kreuz, Madonna slappt das Kreuz, Madonna hat, Symbolismus, „ein Kreuz zu tragen“. Wenn man sich in 50 Jahren an die Sängerin erinnern wird, was kommt einem dann wohl als erstes in den Sinn? Ihr Kampf gegen die Kirche natürlich, ihr Anspruch, dass sich Frömmigkeit und sexuelle Lust nicht ausschliessen. Außerdem ihr Einsatz für die Freiheit. Die beiden Lebensthemen der Katholikin. Es ist irgendwie konsequent, irgendwie aber auch ein wenig langweilig, dass die heute 57-Jährige noch immer ihre Glaubenskämpfe ausfechtet, die sie mit „Like A Virgin“ begann, was 31 Jahre her ist. Die Zeiten sind längst besser geworden.
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Zu Beginn der Konzerte ihrer aktuellen „Rebel Heart“-Tournee, die Madonna für zwei Abende (10.+11. November) nach Berlin in die Mercedes-Benz-Arena führt, gibt es allerlei Gedrängel, Gerammel und Getanze auf der Bühne: „I Got Tits and Ass“ ruft sie von der Leinwand, Kreuzritter kommen von links und rechts, sie tragen ihre Kreuze, alles sieht ein wenig aus wie in Westeros beim Karneval, die Sängerin rauscht im Käfig von der Bühnendecke herab und skandiert den marschierenden Soldaten zu: „Bitch I’m Madonna“. Später klettern die Tänzer auf die Kreuze, wackeln darauf rum, biegen sie und machen „eindeutige Gesten“. Madonna: „Bitch, Get Off My Pole.“ Ein anderer Performer zieht seine weißen Gewänder durch den Wirbelsturm der zehn Windmaschinen, die ihn eingekreist haben. Tanzende Stoffe, tanzende Träume. Bei solchen Show-Einlagen dürften die Choreografen von „Wetten, dass ..?“ damals feuchte Augen bekommen haben.
Bitches, Are You In My Game?
Madonna war einmal sehr gut darin, mit eigener Sprache und den so genannten „Tabu-Themen“ Raum zu erobern, politische Diskussionen anzuführen, sie war von mindestens „Like A Virgin“ an bis zu „Music“ im Jahr 2000 die Nummer eins unter den Sängerinnen. Seit einigen Jahren schon muss sie um ihren Status fürchten, es begann um 2012 mit ihrem Album „MDNA“, als sie mit Minnie-Maus-Stimme, Anbindung an Urban und R&B wie jemand anderes klingen wollte. Wenn sie nun am laufenden Band das Publikum fragt, „Bitches, Are You In My Game?“, dann erinnert das nicht mehr sie, es klingt, als spricht sie jemanden nach.
Das „Rebel Heart“-Showkonzept erzählt weniger eine kontinuierliche Geschichte, sondern staffiert die Inhalte der jeweiligen Songs mit eigenen Theater-Settings aus. Das Konzert erhält so einen episodischen Charakter, was an manchen Stellen zumindest unterhaltsam sein kann. Madonna schmust mit einem dunkelhäutigen Jesus, für eine ähnliche Szene aus dem „Like A Prayer“-Video von 1989 sowie den damals im Clip zu sehenden brennen Kreuzen, man kann sich das heute gar nicht mehr vorstellen, kündigte Pepsi einst den Werbevertrag mit der Sängerin. Der Jesus schneidet hier nun ihre Handfesseln durch und drückt Madonna mit verbindlichem Nicken eine Bibel in die Hand. Ihre Tänzerinnen tragen dazu oben eine Nonnenhaube, unten Strapse. Dann geht’s an ein prall mit Obst gefülltes Bankett, die Tisch-Szene wirkt wie eine Orgien-Version des „letzten Abendmahls“. Madonnas Team übt sich dazu in Voguing-Bewegungen. Willkommen zurück im Jahr 1990, ein Hauch von Herb Ritts und Tarsem Singh liegt in der Luft.
Um zu demonstrieren, wie toll ihre Bühnentruppe ist, dürfen die Tänzer – die Männer nur – in den Musikpausen ihre Sixpacks vorzeigen. Die Chefin sagt sie einzeln an, den „Justin“ und den „Jason“, dann zack: T-Shirt hoch, Hemd auf – Waschbrettbauch in your face. Noch bevor man in die Versuchung gerät, den Sinn dieser Machtdemonstration zu entschlüsseln, geht es auch schon weiter mit der Show.
Arriba, Arriba!
Die stärksten Momente der „Rebel Heart“-Konzerte sind die, in denen Madonna als Musikerin auftritt. Seit den 2000er-Jahren greift sie zunehmend zur Gitarre. „Burning Up“ mit ihr am elektrischen Sechssaiter, die Tänzer müssen wegbleiben, wird ein früher Höhepunkt. Ebenso das auf der kleinen Bühne in der Hallenmitte vorgetragene „Secret“. Sie und ihr Co-Musiker spielen auf der Akustischen, und der Song von 1994, damals mit einem schlecht alternden House-Beat ausgestattet, übertrumpft „Burning Up“ gar. „True Blue“, das Lied über die wichtigste Farbe des Rockabilly, bekommt hier ebenfalls ein gut funktionierendes Akustik-Arrangement, in einer Auto-Werkstatt-Kulisse zelebriert die Sängerin dabei ihre Arbeiterklassen-Romantik. Auch das von Madonna so innig geliebte Spanien mit seiner Torero-Ästhetik bekommt in „La Isla Bonita“ das passende Setting, die Sängerin kriegt sich vor lauter „Arriba Arriba“-Rufen gar nicht mehr ein.
Auch im Plus: „Music“, ihr French-House-Überhit aus dem Jahr 2000, den sie selbst nur noch mit Samthandschuhen anfasst – die Nummer wird mit seinem charakteristischen Ritsch-Ratsch-Reißverschluss-Sound weitestgehend übernommen, es gibt kaum Änderungen im Arrangement. Für ein aus der elektronischen Musik entstandenes Stück klingt „Music“ auch 15 Jahre später immer noch erstaunlich frisch. Ein Meilenstein.
Selbstbewusst wie kaum ein Star ihres Kalibers setzt Madonna bei jeder Tournee, so vergessen die Stücke danach auch sein werden, ja auf das Material der jeweils aktuellen Platte. Ungefähr die Hälfte der „Rebel Heart“-Lieder entstammen dem gleichnamigen Album, und wer die Platte schätzt, wird sich über die 1:1-Darbietungen freuen. Mit den richtig älteren Songs aber tut sich Madonna – die Gitarren-Einlagen ausgenommen – immer wieder schwer. Diesmal trifft es zum einen das ewige Problemkind „Like A Virgin“. Als New-Wave-Song mit messerscharfen Gitarren damals eigentlich perfekt eingespielt, verkommt es hier zwar wie zuletzt nicht mehr zur Oper, dafür aber zu einem rhythmisch schwer verdaulichen R&B-Happen. Auch „Material Girl“ tanzt nie wirklich von der Stelle.
Andere Songs der Ära, wie „Dress You Up“, „Lucky Star“ und „Into The Groove“ werden gleich in einem Medley abgefrühstückt, Madonna geht hier mit ihren Tänzen gar das Wagnis einer Polonaise, nur ohne Anfassen, ein. Einige ihrer besten Stücke also, durchgezogen in knapp zehn Minuten. Von den 21 Liedern des Konzerts stammen immerhin acht aus ihrer Zeit bis 1984, eine sicher nicht zufällige Auswahl. Nur versäumt Madonna es hier eine frühe Lebensgeschichte zu erzählen.
Was tun mit einer Banane?
Für eine derart durchkomponierte Zweistunden-Show ist das Ende erstaunlich schwach. Bei jedem Konzert will die Sängerin einen Prominenten auf die Bühne holen und ihm eine Banane anbieten, uiuiui, Ende offen. Diesmal trifft es Idris Elba. Der „Luther“-Schauspieler hatte bereits als DJ das Vorprogramm bestritten und mit „Berlin, bring some noise“-Rufen ordentlich demonstriert, dass er seine Discjockey-Lektionen gelernt hat. Madonna will ihm also ihre Banane andrehen, und Elba ist nicht auf dem Mund gefallen. Er bietet an, mit der einen Frucht die tausenden Zuschauer im Saal zu füttern. Eine unerwartet herausfordernde Pointe, die in Stille aufgeht, denn die Showtruppe verabschiedet sich nach dem minutenlang improvisierten Dialog nicht mehr mit Musik, sondern nur noch mit Bye-Byes. Elbas Bühnenboden wird wieder abgesenkt, tschüss. Dramaturgisch funktioniert das nicht so gut wie erhofft. Wenigstens hat Madonna mit „Holiday“, ihrem ersten Hit von 1982, noch eine Zugabe parat.