Madame Vogelfrei

KLEINE ELSERHALLE, MÜNCHEN.

Circa in der Mitte des Konzerts kündigt die langhaarige Kate Nash an, jetzt komme ein leiseres Lied (als ob die bisherigen nicht schon leise genug gewesen wären). Sie schlüpft aus dem Keyboard-Versteck, nimmt die Gitarre. Und obwohl der Song „Birds“, den sie dann singt, im Kern freilich nichts anderes ist als eine an Ethan-Hawke-Winona-Ryder-Filmdialogen und vielleicht an der Schluss-Szene der „Reifeprüfung“ studierte Kinderliebe-Fantasie, müssen wir es hier noch einmal betrachten, ein letztes Mal.

Da fliehen ein Mädchen und ein Junge vor dem U-Bahn-Kontrolleur, schaffen es in den nächsten Bus, sitzen da mit zwei abgelaufenen Tageskarten und zwei Fläschchen Budweiser, und weil das Mädchen den Jungen fragt, was er gerade denkt, holt er kurz aus: Prinzipiell nerven Vögel in der Stadt, sagt er – sie kacken einem auf den Kopf, erschrecken einen, wenn sie haarscharf vorbeifliegen. Aber wenn sie ruhig dasitzen und man sie genau anschaut, dann merkt man, wie wunderschön sie eigentlich sind. Und ja, meint der Junge zum Mädchen, so ähnlich sei es mit ihm und ihr. Sie versteht die Metapher nicht. In der letzten Strophe singt Kate Nash noch kurz davon, wie das Mädchen groß wird, aus der Stadt wegzieht, ihr Leben ins Blaue hinein lebt, eben doch wie der Vogel, nur anders.

Das frühreif Altkluge, oft sogar altklug Souveräne ist möglicherweise ein generationelles Feature der 20-jährigen Künstlerin – man muss sich nur ansehen, wie aktuelle britische Komiker, das „Little Britain“-Duo oder Catherine Täte den Typus des Straßen- und Chatroom-gestählten Schoolgirls darstellen. Dass die Piano-Pop Sängerin und Songschreiberin Nash eines der notorischen MySpace-Phänomene sei, stimmt ja nicht ganz: Erst ist sie öffentlich autgetreten, in Londoner Pubs, und dann ins Internet gegangen, und heute abend in München musste sie sogar in die größere Halle umziehen, doch auch die knapp 300 Tickets sind alle weg. Vor der Show wird sie von Pro Sieben interviewt, auf deren Website man später hören und sehen kann, wie die Interviewerin sie über musikalische Katharsis befragt, während die Interviewte dem Auge der Kamera ausweicht. Wer der kleinen Kate damals die Daumen gedrückt hat, dem kommt das heute wie ein Wunder vor. Vom lokalen Klampf-Laptopstar schnellstens zur Nummer-eins-Künstlerin in Großbritannien, und sogar in Deutschland scheint es halbwegs zu klappen, mit fast 20 000 verkauften Platten und Interesse der Erwachsenen-Medien. Dabei ist Kate Nash alles andere als sexy oder Sonnenschein. Auf der Bühne wirkt es sogar ziemlich wurstig, wie sie am Keyboard hockt, im Kommunions-Style-Kleidchen, hinter sich die dreiköpfige Band und ein rosa Leuchtschrift-Logo, wie sie dem Publikum vor allen die Stirn zeigt und außer ein paar gemurmelten Dankeschöns praktisch nichts sagt. Allerdings sind es nicht allein die Lieder, „Foundations“, „Mariella“, „Skeleton Song“, diese Musterwerke beredter Schnippischkeit, gesungen als Melange aus Amsel und Straßenköter, die das hier zu einem denkwürdigen Konzert machen, das sich schon im Lauf des Abends leicht legendär anfühlt. Es ist auch nicht die in Spuren spürbare Verweigerungshaltung, wie Mädchen sie beispielsweise entwickeln, wenn sie beim Achtzigsten des Opas vor den Verwandten ein Gedicht aufsagen müssen — subversiv oder anti-irgendwas ist nichts an Kate Nash, obwohl viele sie gerne als Symbolfigur hätten.

Das Fantastische an Kate Nash, die am Ende dieses eher kurzen, aber umso denkwürdigeren Auftritts mit ihren Musikern dann doch noch ein wenig ins Jammen kommt, ist die Balance über dem Bruch wie sie mit einer Klavierhand noch tief im Mädchen-Etui steckt, in den quietschigen Farben der Kinderdisco-Schminke und der Position, in der einem die Erwachsenen noch viel durchgehen lassen. Und wie sie zugleich schon die Darbietungsund Sprechformen der großen, lebensweisen Sängerinnen für sich beansprucht, wie man bei ihrem Anblick doch eher an Carly Simon live bei „Saturday N lght Live“ denken muss als an die gummitwistende Lily Allen.

Ein solches Stereotyp existiert noch gar nicht, ebenso wenig wie irgendeine denkbare Position, von der aus man auf Kate Nash herabblicken könnte. Ein einziges Mal müssen wir diese Floskel bemühen, weil sie ein einziges Mal stimmt: Man darf wirklich gespannt sein, was von Kate Nash noch kommen wird. Am Stand gibt es T-Shirts mit einem hingekrakelten Dinosaurier und der Aufschrift „Ich kannte Kate Nash lange vor euch.“ Zu spät.

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