Neunte Kunst

Nonstop Nonsens: Aufstieg und Fall des „MAD“-Magazins

Vor etwas mehr 50 Jahren erschien das erste deutsche „MAD“, das US-Original gibt es sogar schon 15 Jahre länger. Einst war das Heft ein Glücksfall für Pennäler auf der Suche nach hintersinnigem Blödsinn. Doch die Zeiten haben sich geändert.

Es gibt eigentlich kaum einen Cartoonisten, der vor 1980 geboren ist, dem nicht der Atem stockt, wenn es um das „MAD“-Magazin geht. Das Heft, ursprünglich unter dem Titel „Tales Calculated To Drive You Mad“ von Harvey Kurtzman und William M. Gaines im Jahr 1952 als Satirezeitschrift gegründet, wurde in kürzester Zeit zu einer Ikone des gepflegten Schwachsinns. Und zum Sprungbrett für allerhand Zeichner von Don Martin über Norman Mingo bis hin zu Sergio Aragonés. Sie prägten das Blatt mit ihren kuriosen, punktgenauen Illustrationen, einem immerzu flachen Witz und zum Teil brillanten Parodien auf Gesellschaft und Popkultur.

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Als wunderlicher Blitzableiter fungierte allerdings Maskottchen Alfred E. Neumann, das ab 1956 auf jedem einzelnen der häufig anspielungsreichen Cover des „MAD“-Magazins auftauchte (sehr schön nachzuverfolgen in dem Band „Mad: Cover to Cover, 48 Years, 6 Months and 3 Days of Mad Magazine Covers“). Der leicht debil wirkende Junge mit Segelohren und Sommersprossen symbolisierte mit seinem Wahlspruch „What – Me Worry?“ den Niedergang Amerikas, aber auch das Bedürfnis der Menschen, sich mit Trash und Unsinn zu beschäftigen. Eben ein Leben lang ungezogener Taugenichts zu bleiben.

Hust! Sprudelplatsch! Glitsch!

Schon 1967 wurde „MAD“ auch auf den deutschen Markt gespült. Der Verleger Klaus Recht hatte die Lizenz erworben und auch einen Plan mitgebracht, wie er in Konkurrenz zu einigen gefürchteten und verehrten Satire-Gazetten dem Blödsinn auch hierzulande ein echtes Forum bieten konnte. Nach zunächst zögerlichem Erfolg nahm das Unternehmen Fahrt auf, als ab 1972 ein gewisser Herbert Feuerstein am Runder saß und die Geschicke des Magazins leitete. Zuvor bei „Pardon“ Verlagsleiter, trieb es den späteren Comedian und Autor zu „MAD“, weil er das US-Original glühend verehrte. Und Feuerstein machte aus einer nicht immer ganz gelungenen Kopie ein eigensinniges deutsches Produkt, das auch hiesige Kulturheilige durch den Kakao zog (die erste Persiflage auf eine deutsche Serie musste „Der Kommissar“ hinnehmen) und mit großem Geschick eigene Rubriken (wie erfundene Werbekampagnen) und Storys (wie zahllose Märchen-Parodien, meist gezeichnet vom fantastischen und bis heute der Zeitschrift verbundenen I. Astalos).

Immer am Puls der Zeit: Die Strips von I. Astalos
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Wie Dr. Erika Fuchs mit ihren von Hochkultur und Höflichkeit geprägten Übersetzungen der Barks-Comics eine ganze Generation mit geflügelten Worten versorgte, so bereichterte das deutsche „MAD“ den Kanon der eher abseitigen Begriffe mit glänzenden onomatopoetischen Kraftausdrücken wie „Keuch“, „Holterpolter“, „Dabbadubba“ oder „Glitsch“. Bezeichnungen, die längst auch andere Comics antreiben, doch ihren Ursprung zum großen Teil in den Übertragungen der genialen Zeichnungen von Don Martin und anderen Künstlern des Original-„MAD“ haben.

Ein echtes Erfolgskonzept! In den 80ern gingen bis zu 300.000 Hefte über den Ladentisch. Herbert Feuerstein verdiente sich zudem eine goldene Nase, weil er sich geschickt am Gewinn beteiligen ließ. Noch heute schwärmt er in Interviews von dieser Zeit der wild wuchernden Kreativität, in der so ziemlich alles erlaubt war. Irgendwann ging es dann aber doch abwärts, Feuerstein machte lieber im Fernsehen Klamauk und zwischenzeitlich verschwand „MAD“ sogar vom Markt.

Das hatte auch seinen Grund: Eigentlich ist das Magazin, das eben immer nur haarscharf den Übergang zur Satire schafft und oft auch einfach nur Schmarrn ist, nur geeignet für Schüler, die schon ein wenig über den Tellerrand hinausblicken können, die zahlreichen Anspielungen auf Film und Fernsehen wenigstens im Ansatz verstehen und sich zumindest vornehmen, Late-Night-Talk und Kabarett zu schauen. Irgendwann wächst jeder aus dem „MAD“-Alter heraus. Was nicht heißt, dass die nostalgische Erinnerung an den unverkrampften Humor nicht auch noch in späteren Jahren den Griff zum Heft möglich machen.

„MAD“ zehrt von seiner Vergangenheit

Seit 1998 erscheint das Heft, nach kurzer Abstinenz vom Markt, in Farbe – zunächst beim Dino-Verlag, inzwischen bei Panini. Natürlich enthält es noch viele der Zoten, die auch schon vor Dekaden darin zu finden waren. Doch zum 50. Jubiläum, das „MAD“ in seiner aktuellen Ausgabe etwas zurückhaltend feiert, wird auch deutlich, dass sich das Konzept längst etwas überlebt hat. Das Fernsehen quillt über vor Comedy und vermeintlicher Satire („heute-show“), das Internet ist zum ernstzunehmenden Konkurrenten im Kampf um intelligenten Schwachsinn geworden („Der Postillon“).

Einer der großen „MAD“-Zeichner: Sergio Aragonés
Einer der großen „MAD“-Zeichner: Sergio Aragonés

Auffällig ist, dass das deutsche „MAD“, das längst nur noch alle drei Monate erscheint und zumeist wie ein Vehikel zum Verkauf von Merchandisingprodukten für Comic-Superhelden, „Star Wars“ oder die „Simpsons“ erscheint (kein Wunder: von allen erscheinen Comic-Hefte im selben Verlag), längst von der glorreichen Vergangenheit zehrt. Das gilt übrigens auch für die US-Ausgabe, deren Geschicke seit Neustem „Simpsons“-Zeichner Bill Morrison leitet. Im deutschen Heft gibt es Vintage-Cartoons und im öffentlichen Bewusstsein wird die Größe des ursprünglichen „MAD“ mit jährlich erscheinenden Sonderbänden am Leben erhalten. Schade, denn ein mutiges, pointierteres „MAD“ wäre auch hierzulande eine Bereicherung für den Zeitschriften- und Comic-Markt, dümpeln doch Konkurrenz-Produkte wie „Titanic“ oder „Eulenspiegel“ mit Humor-Konzepten von Vorgestern vor sich hin.

Lesen Sie auf der nächsten Seite ein Interview mit Jo Löffler, einem Teil der legendären Red. des deutschen „MAD“!

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