Mach mir den Engländer
Geboren auf der falschen Seite des Kanals: Um 1965 lärmten in deutschen Kellern Tausende Beatbands. Ein paar von ihnen kamen sogar groß raus. denen, die ohnehin verstanden. Hinzu kam die Musik. Oder sagen wir: mittelgroß.
In Anbetracht der Tatsache, dass es Ende 1965 in New York bereits Velvet Underground gab und Lou Reed ‚Heroin‘ schon geschrieben hatte, mag die deutsche Beatszene rückständig, provinziell, geradezu kindlich-naiv erscheinen.“ So urteilt Hans-Jürgen Klitsch in seinem Standardwerk „Shakin‘ All Over“, mit dem er der heimischen Beatszene ein Denkmal setzte. Denn der Absatz ist noch nicht zuende: „Gerade dieses Unverdorbene, gleichsam Jungfräuliche machte jedoch die deutsche Beatmusik so charmant.“
Charmant ist es tatsächlich, wenn man eine verknisterte 45er namens „Twist im Star Club Vol. 7“ auflegt und den Hamburger Rattles dabei zuhört, wie sie 1963 die Standards „Sticks And Stones“ und „Bye Bye Johnny“ nach Art der Ramones massakrierten: ungestüm, schnell und mit erfrischendem Verzicht auf Subtilitäten. Wahrscheinlich konnten sie gar nicht anders, aber guter Rock’n’Roll ist ja immer auch ein bisschen Punk. Dass Punk immer guter Rock’n’Roll ist, ist indes gelogen.
Die deutschen The-Bands der Beatära waren keineswegs nur beseelte Dilettanten, The Rattles, The Lords und The Boots, The German Bonds und wie sie alle hießen, bewegten sich spieltechnisch auf konkurrenzfähigem Niveau. Problematischer war das Songwriting: Irgendwann waren „Skinny Minnie“ und all die anderen Standards von jedem durchgespielt, und dann wurde es ernst. Auf eine eigene Folk- und Blues-Tradition, die verwurstbar gewesen wäre, konnte nicht zurückgegriffen werden. Also kam die Inspiration weiterhin von außen: Der Rummelplatz-Hit „Baby Baby Balla Balla“ von den Berliner Rainbows etwa atmete den Geist von Sam The Shams „Woolly Bully“, und „We’re Out Of Sight“ der German Bonds war der beste Song, den die britische Mod-Band The Creation nicht im Programm hatte.
Progressives Songwriting war für das Publikum allerdings auch nicht entscheidend, immerhin waren auch die durchreisenden Briten-Bands nicht zwangsläufig innovative Konzeptkünstler – zumindest nicht die aus der zweiten und dritten Garde, die regelmäßig durch die deutsche Provinz tingelten. Solide Party-Kapellen, mehr nicht. Das konnten Deutsche nicht schlechter als Engländer. Wer nun behauptet, die deutsche Rockmusik beginne erst mit Can und Amon Düül, macht sich also der Spitzfindigkeit verdächtig. Auch britische Beatbands coverten und kopierten jahrelang wie die Wilden, dennoch sollte man das, was um 1963 in London, Liverpool und anderswo passierte, durchaus als britische Rockmusik begreifen. Natürlich gab es 1963 in Deutschland keine Beatles, die alles vorantrieben. In Amerika aber auch nicht. Sobald deutsche Musiker massenhaft Beatbands gründeten, gab es deutsche Rockmusik.
Beat war ein globales Phänomen, dass sich in Deutschland kaum anders niederschlug als in anderen kontinentaleuropäischen Ländern. Der hiesige Beatfan hatte eben Singles von den Kinks und den Hound Dogs im Regal stehen, der schweizerische von The Who und Les Sauterelles, der niederländische von den Stones und Q65. England war also überall, und Englischsein hatte diesen besonderen Nimbus, stand für die richtigen Klamotten und die richtigen Frisuren. Was Musiker weltweit kopierten, nicht nur in Deutschland.
Auch die Borniertheit der Plattenindustrie, die den Trend verschlief und einheimische Beatbands mit erschütternder Ignoranz strafte, ist kein deutsches Phänomen – auch anderswo mussten sich ambitionierte Rocker mit Plattenfirmenchefs herumärgern, die Klassik der Kunst wegen liebten und Easy Listening, weil es die Kasse füllte. Für ein Land, das dem Klischee entsprechend dem zackigen Zweivierteltakt verhaftet war und dessen Publikum immer an der falschen Stelle klatscht, hat Deutschland respektable Beatbands hervorgebracht. Nur war die britische Konkurrenz damals eben stärker, was vielerlei Gründe hatte. All den zehntausend deutschen Beatmusikern, egal, ob sie nun als Amateure auf Schulfesten spielten oder als Profis GI-Clubs, Stadthallen und TV-„Beat-Club“ beschallten, kann man getrost eines attestieren: Sie haben den Geist des Rock’n’Roll auch hierzulande zum Leben erweckt. Oder anders gesagt: Von Rudi Schuricke zu Rammstein ging es nur über die Rattles.