Lykke Li live in Berlin: Nebelschau der Pop-Magierin
Ist sie eine Magierin? Lykke Li schafft es tiefe Verwundbarkeit mit so großer Kraft darzustellen. Und der Publikums-Chor bei „I follow rivers“ möchte gar nicht mehr verstummen
Die schwedische Singer-Songwriterin Lykke Li mochte immer schon die dunkle Seite der Macht. Mittlerweile hat sie diese einem breiteren Publikum zugänglich gemacht: In rotes Licht getaucht, verwandeln die Nebelschwaden das Berliner „Astra“ zeitweise in ein Fegefeuer. Der Saal ist ausverkauft. Li wirbelt auf die Bühne, begleitet von ihrer fünfköpfigen Band, alle komplett in einer Art 70ies-Glam-Schwarz – in Schlaghose, Glanzbluse mit Trompetenärmeln und fischschuppiger Glitzerjacke wirkt die Sängerin ein wenig, als hätte sie Alice Cooper ein paar Teile aus seiner Garderobe stibitzt. Tülltücher, die von der Decke wehen, reichlich Nebelschleier – und das Mystik-Flair ist fertig gezaubert.
Die Schwedin trabt durch das Set aus alten, aber natürlich auch neuen Songs aus ihrem am 2. Mai erscheinenden, dritten Album „I never learn“. Mal tänzelt sie ausgelassen zu „Get some“, dann trommelt sie bei „Youth knows no pain“ frenetisch auf dem Becken des Drumsets herum, bis ihr die Sticks aus der Hand rutschen und in hohem Bogen fast ihre Backgroundsängerin treffen. Sie entschuldigt sich mit einem Lächeln.
Beim neuen „Love me like I’m not made of stone“ verlangt sie nach Whiskey, weil das Lied sich so „nackt anfühlt“. Es scheint fast, als würde Lykke Li beim Singen ihrer alten Songs Kraft tanken. Kraft, die sie für das Singen ihrer neuen Songs benötigt, wie etwa „Never Gonna Love Again“, einem ihrer Lieblingsstücke des kommenden Albums.
Diese Hingabe ist in Lykke Lis Präsenz und in ihrem eindringlichen Gesang zu spüren. Die Arme schlängeln sich, alles bewegt sich bis in die Fingerspitzen bei ihren typischen Tanzbewegungen, esoterisch anmutend wie einst Madonna im Video zu „Frozen“. Nur das Röhren und Surren und Hallen des Sounds gerät stellenweise arg ätherisch und verquirlt sich zu einer Klangsuppe, in der Wörter wie zermatscht klingen.
Bei älteren Hits wie „Rich Kids Blues“ ist die Menge wie angeknipst, der Publikums-Chor bei „I follow rivers“ möchte gar nicht verstummen und singt länger weiter als geplant. Lykke Li lacht. Ein Mädchen mit Blumenkranz im Haar wiegt sich in den Armen ihrer Freundin, ein Junge spricht selbstvergessen immer wieder einige Verse mit. Kaum ein Besucher ist älter als die Sängerin selbst. Mit gemusterten Leggings und Undercut-Frisuren wirken die meisten Leute im Publikum wie für eine Urban-Outfitters-Modestrecke gestylt. Ein echter Fan komplettiert seinen Look nach dem Konzert mit den Shirts und Jutebeuteln vom Verkaufsstand.
Die älteren Lieder sind mit Orgeln verfinstert und passen zur Darkness-Attitüde, können aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich hier um astreinen Indie-Pop handelt. Nach zwei Zugaben beendet Lykke Li um kurz vor zehn Uhr die Vorstellung mit der tiefen Verbeugung eines Zauberkünstlers. Eine Magierin ist sie vielleicht wirklich: weil sie es schafft, tiefe Verwundbarkeit mit so großer Kraft darzustellen.