„Lügen ist amoralisch – nicht Sex.“
Tiger Woods hat gezeigt: Ehebruch ist in Amerika der schlimmste Sündenfall. Warum? Die Antwort kann nur einer geben: Hugh Hefner!
Was mögen die Amerikaner wirklich, was konsumieren, was hassen sie? Das Umfrageunternehmen Gallup erforscht seit 70 Jahren ihre wahren Bedürfnisse. Jede kleine Veränderung wird dabei registriert – und eine große Konstante: Die traditionelle Ehe ist für die Amerikaner auch 2010 eine heilige Institution, absolut unberührbar. Untreue, aus welchen Gründen auch immer begangen, scheint in den USA schlimmer als Mord.
Dieser Eindruck drängt sich auf, wenn man wöchentlich die Cover der Boulevardmagazine wie „Star“, „In Touch“ und „US Weekly“ studiert. Zwei „Vergehen“ werden hier besonders gnadenlos öffentlich abgestraft: Übergewicht und Ehe-Betrug. Eine Affäre macht einen Mann oder eine Frau für diese Tugendwächter per se praktisch zu einem Verbrecher, verachtenswerter als einen Drogendealer oder Massenmörder. Selbst über Charles Manson wird unterhaltsamer geschrieben, wohlwollender gemutmaßt, als über Fremdgänger. Diese rigide Idee von Moral ist nicht neu in Amerika, doch die wachsende Kluft zwischen dem publizistischen Krieg gegen die Betrüger und der Sucht Amerikas nach Sex und ausschweifendem Leben verblüfft doch: Der weltweit größten Pornoindustrie geht es blendend, illegale und pharmakologische Stimmungsbeschleuniger sind fest in den Alltag integriert, Las Vegas als Absturzparadies wird offensiv beworben („What happens in Vegas, stays in Vegas!“) zuletzt machte der Film „Hangover“ (über ein paar Typen, die in Las Vegas komasaufen) mit dieser Sehnsucht große Kasse. Jeder zweite Hollywood-Film besteht aus Betrugsfantasien und Hauptdarstellerinnen mit einem Callgirl-Look (nicht nur Megan Fox). An dieser sehr speziellen Doppelmoral scheitern Karrieren und ganze Existenzen. In keinem Land der Welt packen Maitressen schneller aus, die Gier nach Details ist unersättlich. Ein Geschäft auf Gegenseitigkeit: Denn oft springt für die Ex-Geliebte mindestens ein neues Auto heraus. Oder gar eine eigene TV-Show, wenn es gut läuft.
Eliot Spitzer, der Gouverneur von New York, musste das Feld räumen, nachdem er mit Prostituierten erwischt wurde; unvergessen ist natürlich die unheilige Inquisition, die versuchte, Bill Clinton wegen seiner sexuellen Eskapaden zur Strecke zu bringen. Die Fragen der Moralwächter gingen zum Schluß selbst Frau Clinton als Feministin auf die Nerven. Die Sache zu Hause unter vier Augen regeln? Keine Chance, zumindest nicht, wenn man ein sogenannter Prominenter ist.
Neue hysterische Dimensionen konnten kürzlich beim Fall Tiger Woods beobachtet werden. „Warum liebten alle im Sport, in den Medien und in ganz Amerika so einen Mann?“ fragte das Magazin „Psychology Today“ erschrocken darüber, wie das diesem Amerika „passieren“ konnte. Die Antwort: „Weil wir Menschen mit Doppelleben heimlich verehren.“ Der unberührbare Supergolfstar Tiger Woods ging fremd. Angeblich mit rund 12 Halbprostituierten, Pornostars und Partymäusen. Geliebte Nummer eins, Rachel Uchitel, erzählte den Zeitungen von „verrücktem Sex auf Ambien“, einem Beruhigungsmittel, dass die ganze Sache angeblich noch abgefahrener macht. Tiger: kein Sportler aus Stahl und kein Super-Ehemann, sondern ein sexsüchtiger Lügner.
Die öffentliche Entschuldigung Tigers im Fernsehen dominierte sämtliche News, das ganze Land schien in einer Art Ausnahmezustand. Neuigkeiten vom Irakkrieg oder aus Afghanistan: langweilig!
„Ich war untreu, ich hatte Affären, ich habe betrogen. Was ich getan habe, ist nicht aktzeptabel und ich bin die einzige Person, die schuld ist.“ Woods Entschuldigung war ein bizarres Schauspiel öffentlich inszenierter Reue. Zum einen war die Botschaft eindeutig an seine zurückschreckenden Sponsoren gerichtet, zum anderen ging Woods danach zu seiner Mutter, umarmte diese und bat um Entschuldigung. Warum sich ein erwachsener Mann öffentlich ausgerechnet bei seiner Mutter entschuldigt, wenn er seine Frau betrügt, kann man wohl nur verstehen, wenn man Amerikaner ist. Und warum führte Tiger überhaupt eine Ehe mit einer durchaus marketingtauglichen Frau, wenn er doch offenbar gar kein „Husband“ sein wollte? Amerika, was ist da los? Diese Antworten kann nur einer der letzten großen weisen Männer des Landes geben, ein Experte in Sachen Sex und Ehe.
Hugh Hefner führt seit langem ein Leben, dass entweder zutiefst beneidet, verurteilt oder freudianisch durchanalysiert wird. Der Playboy-Gründer ist konsequent seinen Weg gegangen, ohne Heuchelei oder Doppelmoral. Hefner lebt mit seiner aktuellen „Blondtourage“ bestehend aus Kristina und Karissa Shannon und Crystal Harris in Beverly Hills. Sein ganzes Leben lang hat er gegen das enge Korsett einer verklemmten Moral und gegen unrealistische Vorstellungen von Ehe und Sex angekämpft. Wer von ihm aber Sympathie für Tiger Woods oder andere Ehebrecher vermutet, liegt völlig falsch. Hefner ist richtig sauer auf den Golf-König. Grund: Er mag es nicht, wenn man seine Idee des klassischen Playboys verrät. Zum Interview erscheint er wie ein Staatsmann vorm Schlafengehen: dunkelroter Satinbademantel, schwarze Pyjamahosen, weisse Socken, dazu glänzende Hausschuhe. Steht ihm gut. Ein paar Brusthaare ragen aus seinem Bademantel. Man muss sehr nah an ihn ran, weil nur ein Hefner Ohr die Fragen hört. Es wird Cola light gereicht.
Herr Hefner, wie geht’s?
Ich bin gut drauf. Ich fühle mich wie 63, ich vertrage Viagra, ich bin verknallt. Alles gut.
…kommen Sie jetzt direkt aus ihrem rotierenden, runden Bett?
Ich verbringe sehr viel Zeit darin …
… im Pyjama.
Der Pyjama ist meine Arbeitskleidung. In alle sechs Bände meiner meiner Biografie habe ich ein Stoffstückchen von meinen Lieblingspyjamas beigelegt. Sehen Sie hier: Im ersten Buch mit Bildern aus meiner Kindheit klebt der Seidenstoff in Aubergine.
Was zeigen Sie da aus ihrer Kindheit?
Ich mit meinen Eltern, die mich nie umarmten. Und meine Geschwister auch nicht. Sie sehen Briefe, die Lehrer meiner Mutter schrieben. Wenn ich weiterhin im Unterricht Comics zeichnen würde, wäre das nicht gut für mich und meine Intelligenz. Ich habe meiner Mutter unterschreiben müssen, das ich damit aufhöre, doch ich machte weiter. Die Idee für den „Playboy“, den ich in den 50er-Jahren gründete, steckte schon dort drin.
Ist Tiger Woods der Playboy von 2O1O?
Wie bitte? Er hat dumme, unangemessene Dinge getan. Jemand sprach mich vor kurzem auf der Strasse darauf an. Im Glauben, ich würde das sicher alles ganz toll finden. Tiger Woods ist unmoralisch. Aus einem Grund: Er log seine Frau und sich an, dass er überhaupt eine Ehe führen will. Das Lügen ist amoralisch, nicht der Sex. Amerika wird das nie begreifen, aber die Ehe ist nicht für jeden etwas. Aber wenn man sich zu diesem Schritt entschließt, muss man versuchen, treu zu sein. Wenn man Sex mit mehr als einer Frau braucht, kann man nicht heiraten. Ich war nur einmal lange verheiratet und weiss, dass die Ehe harter Stoff sein kann.
Hätten Sie Tiger die angeblichen zwölf Geliebten vorher zugetraut?
Ich war nicht überrascht.
Warum?
Na ja, er sieht gut aus. Er ist nie zu Hause, reist um die Welt. Und er ist reich, da werfen sich die Frauen auf dich. So ist das. Ich erlebe es ja. Am Wochenende war ein brasilianisches Playmate in der Playboy-Mansion. Sie schwor, sie wäre absolut, Hals über Kopf, verliebt in mich. Ein Witz. Sie ist schon wieder weg.
Sie dachte vielleicht, Sie könnten die Playmate-Familie noch mal auf vier erweitern.
Eventuell… aber jetzt nicht.
Schon mal zu viele Freundinnen gehabt?
Absolut. Ich kam mal auf sieben. Ich brauchte nach meiner zweiten Ehe in den 90er-Jahre Bestätigung. Dann musste ich aber downsizen: zuviel Playmate-Stress. Dann war ich für zwei Jahre mit Sandy, Mandy und Brandy zusammen. Auch wenn das nach schlechter Literatur klingt…
Also müsste man Tiger Woods mit zwölf Geliebten schon fast Respekt zollen …
(Hefner sagt nichts, tut so, als ob plötzlich seine beiden Ohren nichts hören.)
Warum ist es in Amerika fast schlimmer,fremd zugehen als einen Mord zu begehen?
Das Land kann bis heute nicht aus seiner Haut. Ich erinnere mich, wie das bei meinen Eltern war, wie schlimm dieser Puritanimus sein kann. Zu Hause herrschte eine kalte, depressive Stimmung. Meine Definition von Puritanismus war: Man wird nicht geküsst und nicht umarmt. Dagegen habe ich mein ganzes Leben gekämpft – zusammen mit Bunnies und Playmates.
Kann jemand wie Tiger Woods noch ein Playboy werden, wie Sie ihn definieren?
Hm, ein Playboy hat Stil und Herz. Und ein Playboy ist moralisch, weil er vorher sagt und zeigt, dass er nur spielen will.
Ist Tiger Woods kalt?
Er verbarg seine echten Absichten. Er gab nicht zu, dass er spielen wollte, daher war er unmoralisch. Für Amerika war seine Geschichte ein Schock: Perfektion, die plötzlich in sich zusammenfällt. Das ertragen die Leute hier schlecht. Wenn sie etwas lieben, dulden sie keine Fehler.
Was liebt Amerika mehr? Einen perfekten Po oder perfekten Busen?
Po. Habe ich so im Gefühl.
Können Busen zu groß sein?
Absolut.
Kurze Pause für Hugh. Er muss nach oben, schnell ein paar wichtige Dinge unterschreiben. „Wollen Sie die Grotte sehen?“ fragt die Pressefrau, als ginge es um einen Wallfahrtsort. Warum nicht. Auf dem Weg dahin begegnen uns zehn dunkelblaue Pfaue, die ihr Gefieder aber erstmal verschlossen halten. Diesen Schmuck setzen sie nur ein, wenn Hennen in der Nähe sind. Die Pfaue laufen frei herum. Hefner hat sie als Symbol des Hauses ausgewählt. Normalerweise leben Pfaue in der Gesellschaft von zwei bis fünf Hennen. Nur in Gefangenschaft gibt sich der Pfau mit einer Henne zufrieden. Ist er frei, tendiert er zu fünf. Die Grotte (oder: „The Grotto“) liegt hinter hellen Steinbrocken. Sie gilt als sagenumwobener Ort des Playboy-Mansion. Glaubt man den Hollywood-Sagen, hatten hier 70 Prozent aller männlichen Schauspieler Sex. Aber: Was in der Grotte passiert, bleibt in der Grotte. Sie ist eine Art Luxus-Bordell, verkleidet als Schwimmbad: altes Chlor umweht die Felsen, wie in einem Erlebnisbad. Das Wasser ist ein bisschen trübe, die Handtücherstapel ordentlich wie in einem Kloster. Ein merkwürdiges Bild, das an eine Zeit erinnert, als Tiger Woods möglicherweise unverheiratet eine größere Karriere gemacht hätte: an die 70er-Jahre. Hugh ist zurück. Die Fragen zur Ehe sind noch nicht vollständig geklärt.
Reden wir über Affaren …
Oh, bitte.
Ihre erste Frau gestand Ihnen eine Affäre, als sie sehr jung verlobt waren. Sie hat Ihnen angeblich als Wiedergutmachung erlaubt, mit anderen Frauen zu schlafen. Sind Sie deshalb Playboy geworden?
Die Sache hatte großen Einfluss auf mich. Es war vier Monate vor unserer Heirat. Wir kamen aus dem Kino. Der Film erinnert uns beide an die unglückliche Situation, in der wir offensichtlich waren. Sie gestand mir alles. Und wir merkten, dass wir gar nicht zusammen passten.
Sie heirateten sie trotzdem …
War ich unglücklich! Betrogen und verheiratet.
Schöner Mist. Ich dachte mir, das kann nicht alles sein.
Sie waren praktisch in Elins Rolle … Tigers Frau…
So gesehen: ja. Es war ein Leben in einer falschen Ehe. Das volle Programm: Den ganzen Abend vor dem Fernseher sitzen und sonntags zum Bowling gehen. Vielen Frauen ging es übrigens am Anfang der 60er-Jahre ähnlich, sie hassten diese Existenz, oft mehr als die Männer. Und nicht nur Männer wollten aus diesem Gefängnis. Frauen mussten seit der Pille auch nicht mehr heiraten, um Sex zu haben. Die 50er-Jahre waren eine schreckliche Zeit. Jeder, der etwas anders behauptet, lugt. Einige Sexpraktiken galten damals als illegal, selbst in der Ehe. In Filmen aus dieser Zeit schlafen Eheleute in getrennten Zimmern. Das macht man höchsten nach 50 Jahren Ehe. Lächerlich!
Sie schlittern gerade in die nächste Ehe. Angeblich wollen Sie Crystal heiraten …
Ich könnte, aber ich hatte nie Glück damit. Ich habe Angst, die Sache zu ruinieren. Menschen in einer Ehe strengen sich nicht mehr an. Und die Sache geht doch immer wieder von vorne los: Sie wissen am Anfang einer neuen Sache einfach gar nichts, egal, wie alt sie sind. Vergessen Sie all die Ratgeber-Bücher.
Woran merkt ein Playmate, dass Sie nur Sex wollen? Und keine Beziehung …
Die Wahrheit ist: Man weiß es vorher nicht. Der einzige Weg aber ist, die Sache per Sex rauszufinden. Der Tradition nach darf ein Mädchen nie beim ersten Date mit einem Mann schlafen. Bei mit war es so: Wenn das Mädchen nicht beim ersten Date mit mir schlief, obwohl absolute Anziehung da war, war die Sache gelaufen. Da ist doch kein Vertrauen im Spiel.
Man könnte also sagen, 2O1O ist man keine Schlampe mehr, wenn man gleich mit jemand schläft?
Ich bitte Sie, absolut nicht! Alle guten Beziehungen, die ich seit den 70er-Jahren hatte, begannen im Bett. Und zwar in der ersten Nacht.
Tigers Geliebte sind alles keine Schlampen?
Das müssen Sie die fragen. Hugh muss los. Vielleicht sollte Tiger Woods mal ein paar Seminare beim großen, alten weisen Mann des Playboy-Mansion nehmen. Und vielleicht wird Hugh Hefner doch noch eine Art Guru, der den Amerikanern den Weg aus einer Welt der Doppelmoral und der falschen Erwartungen zeigt. Oder doch nur ein netter Pfau. Pfaue, so sagt das Internet, „wollen zusammen leben und sich gegenseitig nahe sein.“