Lucinda Williams: Suffragette Country
Mit einer soliden Band treibt Lucinda Williams die Rocksau durch ihre Lieder
Fabrik, Hamburg. „These musicians should be running the world“, schwärmt Produzent Hal Willner im Booklet von der Studiomannschaft, die das aktuelle Lucinda-Williams-Album „West“ weit über gängigen Americana-Mustern schweben und implodieren ließ. In die große kleine Tour-Welt indes reiste davon nur ihr Stammgitarrist Doug Pettibone. Weshalb Lucinda Williams in Hamburg konsequent mit „Are You Alright?“ und „Learning How To Live“ zunächst nur zwei unverfänglichere Songs des neuen Werks als Warm-up reicht, um dann über ein wackliges „Steal Your Love“ und ein noch schaumgebremstes „Those Three Days“ erstaunlich schnell die Rock-Sau rauszulassen. Die wird dann aber umso ausdauernder und mit reichlich Karacho durch die halbwegs gefüllte Fabrik getrieben.
Pettibone rüstet auf Gibson SG um, um „Out Of Touch“ in Neil-Young-Manier wummern lassen zu können. Für ein bissig-ätzendes „Changed The Locks“ hängt sich nun auch noch Frau Williams selbst eine Telecaster um, die sie dann erst mal nicht mehr hergeben mag. „Jetzt will keiner mehr meine Folk-Songs hören“, kokettiert sie irgendwann zwischen „Real Live Bleeding Fingers And Broken Guitar Strings“ und „Essence“.
Nicht ihre einzige Einlassung an einem Abend, an dem sie vermutlich mehr redet (und meist so irgendwie dahin) als früher auf einer ganzen Tournee. Über das dicke Textbuch vor ihr, weil sie sich den Teleprompter der bekannteren Kollegen nicht leisten kann („Immer noch besser als den Text zu vergessen“). Über das unheimelige Skandinavien, die dufte Hansestadt samt geschichtsträchtiger Graffiti in der Fabrik-Garderobe („fast wie im CBGB’s“) und London, wo sie heute irgendwie Typen wie Keith Richards und The Clash vermisst. Bis Lucinda Williams irgendwann die späte Einsicht überkommt: „Steve Earle kann ja das viel besser als ich.“
Das Reden, meint sie. Nicht das Rocken. Daist Lucinda Williams, die nicht nur optisch (rosa Bluse, dicker Ohrenklunker, viel Blond im Wuschel-Haar) zwischen Truck-Stop-Kellnerin und Country-Sutfragette changiert, dann doch mal wieder beim aktuellen Album angekommen, mit dem aufreizenden „Come On“, ihrer „Antwort auf den Cock-Rock“, wie sie vorher erklärt. Whitesnake und so.
Noch aktueller, weil ganz neu ist nur „Honey Bee“ – klingt ein bisschen, als ob Sonic Youth aus Versehen Blues-Rock spielen. „Joy“, der einzige Rückgriff aufs „Car Wheels On A Gravel Road“-Album, federt nicht mehr, sondern kracht nur noch. Und auch bei „Unsuffer Me“ das nicht einen Ex-Freund meint, aber den regulären Set stoisch beschließt, darf der voluminöse Schlagzeuger seinem schönen Namen Butch dann alle Ehre machen.
So wird die Sau – zugegeben, etwas spät – erst in der Zugabe wieder eingefangen. Da überrascht und verblüfft eine immer noch recht redselige Lucinda Williams dann allerdings vollends. Erst covert sie „Marching The Hate Machines“, einen Polit-Song der Thievery Corporation (!), dann entlockt sie ihrer sonst allenfalls soliden Vier-Mann-Band in „American Dream“ doch noch subtil-subversive Bar-Klänge und schließlich huldigt sie ausgiebig Fats Domino, mit einem sprühenden „I Live My Life“ und ihrem Beitrag zum kürzlich erschienenen „Goin‘ Home“-Tribute. „Honey Chile“. Dazu greift sie sich flugs zwei Drum-Sticks, klopft damit wild auf dem Hänge-Tom herum und irritiert damit nicht nur ihren Schlagzeuger.
War das noch Lucinda Williams? Oder doch schon (ein) Crazy Horse in New Orleans?