Lucinda Williams bezaubert bei ihrer ersten Deutschland-Tour mit jeder Menge Rock’n’Roll
Hamburg, Fabrik. „Rock’n’Roll“ sind ihre ersten Worte, als sie die Bühne in der halbwegs gefüllten Fabrik entert. Sie sieht auch aus wie Rock’n’Roll (wie wir ihn kannten): Wuschelmähne, nabelfreies Top unter Lederjacke, Klunker um Hals und Hüfte. Und „Drunken Angel“, der erste Song, zeigt gleich die Kehrseite des Mythos Rock’n’Roll. Aber der richtige Rock’n’Roll muss sich noch gedulden. Behutsam tasten sich Lucinda Williams und ihre drei Begleiter in die Show, mit einer Pedal Steel, die durch „Ventura“ weht wie ein Windhauch im Abendrot am Pazifik. Und für „Car Wheels…“ greift mal eben der Produktionschef zur Mandoline. Dann, nach „Fruits Of My Labour“, will sie ob der verwitterten Balken des Etablissements gern etwas über die Geschichte desselben erfahren. Irgendeiner ruft tatsächlich „Beatles!“ nach oben. Woraus Lucinda nur den Schluss ziehen kann, dass deshalb an diesem kalten Mai-Abend hier soviel Liebe in der Luft liege zwischen Bühne und Auditorium. Aber es nicht die (falsche) Legende, es ist die Liebe zur Musik, die den Vibe der Zuneigung schafft und eine Frau und drei Männer auf den Grund von Country, Blues, Rock’n’Roll führt Williams‘ Stimme, für die Worte zu finden immer ins Reich des Pathos fuhren muss, ist dabei der eine Pol. Und dann ist da Doug Pettibone, ein Gitarrist, der offenkundig zu keiner verschenkten Note fähig ist und traumwandlerisch Understatement und Entgrenzung versöhnt. Mit „Sweet Side“, in das sie ihren ganzen Trotz wirft, und ab „I Lost It“ rockt’s dann wirklich, unterbrochen nur noch von „Still I Long For Your Kiss“: Danach will man sterben, die nächstbeste Frau küssen oder mit Pferden flüstern können. Dann: „Righteously“, der Blues-Kracher „Atonement“. Vor dem Frühwerk „Change The Locks“ endedigt sie sich ihrer Lederjacke, Oberarm-Tatoos sollen ja auch Rock’n’Roll sein – und greift selbst zur E-Gitarre. „Essence“ rauscht heran und dahin. In der Zugabe ist Lucinda Williams dann doch noch mal ganz auf der Erde, unten am „Lake Charles“. Die schleichende Blues-Verlockung „Come To Me“ wäre ein perfekter Schlusspunkt. Aber Lu und ihre drei Männer sprühen lieber noch mal kräftig Funken mit ,Joy“ und fordern entfesselt „Get Right With God“. Rock’n’Roll war auch ihr letztes Wort.