Lou Reed zum 80. Geburtstag: „Er hatte immer eine Meinung!“
Garland Jeffreys über eine Freundschaft, die mehr als ein halbes Jahrhundert währte
Lou Reed hat es uns nie leicht gemacht, ihm nahe zu kommen. In Interviews ließ er seine Gesprächspartner*innen oft auflaufen, und auch in seiner Kunst folgte auf Momente der Intimität und Nähe eine schroffe Ablehnung. Für jedes „Pale Blue Eyes“ oder „Perfect Day“ gibt es ein „Sister Ray“ oder „Metal Machine Music“. Zu seinem 80. Geburtstag haben wir mit einem Mann gesprochen, der Reed über ein halbes Jahrhundert lang sehr nahe war: dem Songwriter Garland Jeffreys. Ein echter New Yorker, wie der ein Jahr ältere Reed in Brooklyn geboren. Seine musikalische Karriere startete Anfang der Siebziger. So wie sich in seiner Familie die Kulturen trafen, reflektiert auch seine Musik die verschiedenen Traditionen, die in seiner Heimatstadt verschmolzen. Hierzulande blieb er immer ein Geheimtipp, obwohl er es 1992 mit seiner Single „Hail Hail Rock’n’Roll“ in die Top-20 schaffte. „Ich finde, dass das Spotlight Garland öfter hätte finden sollen“, erklärt Laurie Andersen, die von 2008 bis zu seinem Tod 2013 mit Reed verheiratet war, in einer Jeffreys gewidmeten Dokumentation, die in diesem Jahr erscheinen soll.
Wie haben Sie Lou Reed kennengelernt und was war Ihr erster Eindruck von ihm?
Wir trafen uns 1961 in der Cafeteria der Syracuse University. Er war im zweiten Jahr und ich war ein Neuling. Wir kamen ins Gespräch und stellten fest, dass wir beide Musik liebten, besonders Doo Wop, und das war unsere erste Verbindung. Vielleicht, weil ich aus Brooklyn komme und Erfahrung mit dem Singen an Straßenecken hatte? Nicht viel, aber ein bisschen. Ich scherze immer gerne, dass ich ein viel besserer Sänger war als er, und er gab es zu! Mein erster Eindruck? Er war schon damals cool!
Haben Sie seinen Professor und Mentor Delmore Schwartz gekannt?
Ich stand Delmore nicht nahe und hatte keinen Unterricht bei ihm, weil ich Kunstgeschichte im Hauptfach und Lou Englisch im Hauptfach studierte. Aber wir saßen beide jeden Nachmittag mit ihm in der berühmten Orange Bar und hörten ihm zu. Er war ein großer Redner. Vieles davon habe ich damals nicht verstanden. Delmore kümmerte sich wirklich um Lou, als Künstler und als Mensch. Ich erinnere mich, wie er einmal zu mir sagte, er mache sich Sorgen um Lou, aber mir ist nicht ganz klar, warum das so war. Er fühlte sich definitiv sowohl väterlich als auch kollegial.
Weder Lou Reed noch Sie hatten damals vor, Musiker zu werden. Was hat sich dann geändert? Haben Sie über ihre Entscheidung gesprochen?
Ich kann mich nicht wirklich erinnern, darüber gesprochen zu haben, eine Entscheidung zu treffen. Es war organisch. Ich denke, er kam aus der Position eines Dichters, er hat anders Texte geschrieben als ich – ich weniger von Lyrik beeinflusst als er und daher waren meine Texte nicht so dicht wie seine. Wir sind beide Ende der 60er-Jahre hier und da in der Stadt aufgetreten und haben gespielt. Ich denke, wir wussten, dass wir keine „normalen“ Pop-Karrieren einschlagen wollten, also probierten wir es aus, hatten ein wenig Erfolg und machten weiter!
Was war der erste selbst komponierte Song, den Lou Ihnen vorgespielt hat?
Kann mich nicht erinnern. Ich habe 1976 bei „You Wear It So Well“ (vom Album „Rock’n’Roll Heart“) Background-Vocals gesungen, was eine Ehre war. Einer meiner Lieblingssongs ist „Perfect Day“, aber ich bin mir nicht sicher, wann ich ihn zum ersten Mal gehört habe. Ich habe mich auch wirklich in „My House“ (vom Album „The Blue Mask“, 1982) verliebt, weil ich es vor ein paar Jahren bei einer Show im Lincoln Center gespielt habe und erfahren habe, dass er es über Delmore geschrieben hat. (Im Text heißt es: „My friend and teacher occupies a spare room/ He’s dead – at peace at last the Wandering Jew/ Other friends has put stones on his grave/ He was the first great man that I had ever met.”)
Wie würden Sie ihre Freundschaft beschreiben – hat sie sich im Laufe der Jahre verändert?
Unsere Freundschaft war ganz einfach. Wir haben einander vertraut und waren loyal. Wir haben uns als Künstler respektiert. Es hat sich über die Jahre nicht viel verändert, vielleicht ein bisschen, als er anfing, so vergöttert zu werden und nicht mehr so verfügbar war. Manchmal haben wir den Kontakt verloren und uns dann irgendwann wieder verbunden. Aber der Faden war immer da.
Gab es jemals eine Konkurrenz zwischen Ihnen als Songwriter?
Nein, nie. Wir waren sehr unterschiedlich und spielten in verschiedenen Sphären, verschiedenen Welten.
Das öffentliche Image von Lou Reed ist, dass er dieser toughe, schlecht gelaunte Typ war. War er auch privat oft so?
Ich bin sicher, dass die Leute bemerkt haben, dass Lou diese schlecht gelaunte Seite sowohl als Image als auch als Schutzschild kultiviert hat. Es war nützlich. Das Echte daran war, dass er sich nicht gern mit Leuten befasste, die er für dumm und ignorant hielt, und dass er ehrliche Menschen im Gegensatz zu Schwindlern und Speichelleckern sehr schätzte. Privat war er „normaler“ und ungeschützter und weicher. Aber er hatte immer eine Meinung!
Welcher seiner Songs fängt seine Persönlichkeit am besten ein?
„Perfect Day“.
Wann haben Sie ihn zum letzten Mal gesehen?
Es war ein paar Monate, bevor er starb. Wir haben zu zweit in einem Restaurant in der Stadt zu Abend gegessen. Zu der Zeit schien es ihm körperlich gut zu gehen und er war guter Laune, also war ich nicht auf seinen gesundheitlichen Niedergang vorbereitet, obwohl er wahrscheinlich schon begonnen hatte.