Lou Reed sang seine besten Songs, aber Gänsehaut bekam man vom steinerweichenden Background-Gesang
München, Herkulessaal. Der Rabe durfte fliegen, später am Abend. Bevor Lou Reed mit der Gedicht-Interpretation begann, meinte er zum Publikum: „Das hier ist nicht von Goethe, deshalb kennt ihr es vielleicht nicht.“ Und brummte noch hinterher, dass das ein Witz gewesen sei. Kalt erwischt, denn mit Witzen hatte ja niemand gerechnet im Seitensaal der Münchener Residenz, eher mit einer Komplett-Aufführung des Poe-Zyklus „The Raven“. Dass Lou Reed nur vier Stücke daraus sang und ansonsten einen hübsch zusammengestellten, gedimmt beleuchteten Best-of-Liederabend spielte, war die gute Nachricht. Einige der schlechten: Sein long time companion Fernando Saunders präsentierte erste Versuche auf dem E-Schlagzeug, durfte einen selbst komponierten Soul-Knödel im Stil von Terence Trent D’Arby vortragen und teilte sich den Hintergrundgesang mit Reeds neuem Freund Antony. Bildhaft gesprochen: Lou Reed knurrte großartig auf dem „Dirty Boulevard“, plötzlich öffneten sich zwei Mülltonnendeckel, Saunders und Antony guckten raus und jodelten: „Fly, fly away!“ Wenn keiner störte, wenn Reed als einziger Aufrechter im sitzenden New-York-Künstlerensemble stand und mit ruhiger, weit nach vorn gemischter Stimme „Day John Kennedy Died“ sang, war es toll. Die Selbstzensur fällt ihm halt etwas schwer zurzeit; über die pantomimischen Auftritte seines Tai-Chi-Lehrers Ren Guangyi konnte man sich wenigstens amüsieren. Wie gut, dass Lou Reed keinen Surflehrer hat.