Los, Stimmung!
Christopher von Deylen hat als Schiller gigantischen Erfolg mit elektronischer Ambient-Musik - aber wer hört die eigentlich?
Mögen Sie Schiller? Also nicht den Dichterfürsten, sondern das Ambient-Pop-Projekt? Wenn ja, dann gehören Sie wahrscheinlich zu jener „schweigenden Mehrheit“, die Christopher von Deylen, der Mann hinter Schiller, in seinem Publikum erkannt haben will. „Das sind Leute, denen viele gar kein musikalisches Profil zugestehen würden. Aber auch wenn diese Menschen sich nicht durch ihren Look definieren, sind sie doch interessiert an Musik und wollen nicht einsehen, bis an ihr Lebensende nur Andre Rieu hören zu müssen.“
Es scheint, daß von Deylen, 35, selbst zu dieser schweigenden Mehrheit gehört. In der Nähe von Bremen auf dem Land aufgewachsen, konnte sich der kleine Christopher „ganz ohne sozialen Druck“ musikalisch entfalten. Der Opa schenkte ein Klavier her, und schließlich gab’s mit zwölf vom besten Freund jenes schicksalhafte, verrauschte Tangerine Dream-Tape, das die Begeisterung für elektronische Musik entfachte. Derart imprägniert gelang es von Deylen, nach Lehrjahren in Hamburger Studios, mit Schiller zu einem der derzeit erfolgreichsten deutschen Elektronik-Acts zu werden.
Dennoch: Von Deylen ist keiner von denen, die gerne großes Gerede um das eigene Tun machen. Und natürlich ist der Mann nett. Einer, der sein Idol Michael Cretu lieber gar nicht erst kennenlernen möchte, weil der so ein eingebildeter Fatzke sein soll, muß einfach nett sein. Man erwischt sich bei dem Wunsch, daß die Schiller-Musik ein wenig mehr von der Leidenschaft besäße, die ihr Schöpfer im Gespräch ausstrahlt – aber die benutzerfreundlichen Oberflächen seines neuen Albums „Tag und Nacht“ sind eben kein tiefempfundener Ausdruck der eigenen Befindlichkeiten, sondern an der Oberfläche wabernde Second-Hand-Gefuhlsesoterik. Von Deylen macht zwar „keinen Hehl daraus, daß bei Schiller die Form den Inhalt besiegt“, würde sich aber erwartungsgemäß doch „ärgern, wenn man den Begriff ,Gefälligkeit‘ auf meine Musik anwenden würde.“
Wir sitzen in des Produzenten Berliner Studio-Wohn-Kombination, und man wird verstehen, daß der Klangbastler leicht erregt ist. Schließlich hat er für das vierte Schiller-Album nicht nur monatelang daheim Knöpfchen gedreht, sondern auch eifrig sein Miles-And-More-Konto aufgebessert, um mit den wieder einmal zahlreichen Gästen in diversen Studios deren Beiträge aufzunehmen – das Konzept mit den Gastsängern ist eine der Grundsäulen des Schiller-Erfolgs. Einzig Mike Oldfield schickte die Gitarrenspuren als Sound-Files, da der Veteran „nur alleine arbeiten kann“. Pet Shop Boy Neil Tennant ließ ausrichten, er halte das ihm zugesandte Demo für „gorgeous kitsch“, sagte dann aber doch ab. Die Zusammenarbeit mit einem anderen Wunschkandidaten ist dagegen endlich zustande gekommen: Thomas D singt die erste Single „Die Nacht… du bist nicht allein“. Die Stammkunden entspannen schon längst mit „Tag und Nacht“.
Die Popularität – ein Umstand, mit dem sich der öffentlichkeitsscheue von Deylen mittlerweile weitestgehend arrangiert hat. Kürzlich war er gar zum ersten Mal bei einer großen TV-Show zu Gast. Und was passiert, wenn einer aus der „schweigenden Mehrheit“ plötzlich im Zentrum der Aufmerksamkeit steht, hat er am nächsten Tag erlebt: „Da bin ich das erste Mal auf der Straße gefragt worden: ,Bist du nicht der Typ von Schiller?“
Christopher von Deylens verschreckte Antwort: „Nein.“