London Calling 2.0
Zwei Britpop-Helden, der Ex-Bassist von The Clash und der größte Drummer Afrikas machen als The Good, The Bad & The Queen eine Platte - und zeigen die britische Hauptstadt aus einer neuen, sonderbaren Pop-Perspektive
Als die Anwohner und Touristen zum ersten Mal den Wal sahen, der am Big Ben und an den Houses Of Parlament vorbeischwamm, majestätischer als die Königin, da klang das zuerst wie eine bunte Tiergeschichte. Rätselhafterweise war der fünf Meter lange, vier Tonnen schwere Wal von der Nordsee aus 70 Kilometer lang der Themse gefolgt, bis in die Innenstadt von London. Ein Ort, wo er beim besten Willen nicht hinpasste. Nachdem er im Stadtteil Chelsea gestrandet war, versuchten Tierschützer noch, ihn zurück ins Meer zu schleppen, spätestens da war die Sache zur Tragödie geworden. Der Wal starb auf dem Weg ins freie Wasser, und irgendwie war das eine Art Flüchtlingsschicksal. Was im Januar 2006 passiert ist, hat Damon Albarn – bereits Sänger von Blur und den Gorillaz und trotzdem immer an noch neueren Projekten und Weltmusik-Kollektiven interessiert – zu einem dunklen Lied inspiriert, „Northern Whale“. Es klingt, als ob es halb an Land und halb unter Wasser stattfindet, mit einem trocken schreitenden Synthesizer, einem traurigen Rock’n’Roll-Stakkato-Piano und Gitarrengeräuschen, die wie unadressierte Funksprüche durch den Raum oder das Wasser hallen. ,A Northern whale wouldn’t leave until all England’s tears are done“, singt Albarn mit der trägen, schläfrig-gutturalen Version seiner Stimme – ein Song, der alles andere als leicht zu verstehen ist, der aber ein Wal-gewaltiges Bild evoziert, gemalt mit dunklen, schweren Pinseln. Ein zeitlupenhafter Tauchgang, wie im Traum die Themse entlang. Als hätte jemand die Folksongs eines Straßensängers aus North Kensington einem Dub-Produzenten mit Mütze zum Abmischen gegeben, so ist die ganze Platte von Damon Albarns neuer Band The Good, The Bad & The Queen. Und obwohl es auf die Dauer wahnsinnig langweilt, Albarn immer für jeden Mist in den Himmel zu loben, den er macht: Das ist Musik, deren schwarz glühende Magie meilenweit über den Luftnummern thront, die heutige Britpop-Bands spielen.
Sind The Good, The Bad & The Queen sozusagen… London bei Nacht? „London zwischen Nacht und Tag“, berichtigt Albarn. Auch zwischen Tag und Nacht? „Nein. Zwischen Nacht und Tag.“
Das Verdöste, die halb offenen Augen und das rostige Lachen kennt man mittlerweile aus vielen Interviews. Es wirkt so, als habe Albarn sich die lurchhafte Manier antrainiert, nachdem er vor gut zehn Jahren in einem BBC-Fernsehbeitrag zum Blur-gegen-Oasis-Duell sehr unvorteilhaft als siegesgewisser Schnösel stehenblieb und dafür viel Häme abbekam. Albarn erhebt sich für die Dauer des Gesprächs jedenfalls nicht vom Sofa des Kölner Hotelzimmers, in dem seine neuen Freunde neben ihm immerhin aufrecht sitzen: Simon Tong, häschenartiger Ex-Gitarrist von The Verve, und Paul Simonon, Ex-Bassist von The Clash, drahtig und stromsprühend, mit schwarzem Nadelstreifenjackett, Hut und Zahnlücke, der sich nicht davon abgehalten fühlt, zwischendurch auf dem Hotelteppich gesunde Stretching-Übungen zu machen. Tony Allen, Ex-Schlagzeuger und-Bandleader von Afrika ’70, dem Ensemble des großen nigerianischen Soul-Jazz-Radikalen Fela Kuti, ist heute nicht da, hat in den vergangenen Monaten aber ausführlichst mit den anderen geprobt.
„Tony hat sich daran gewöhnt, ganz regelmäßig von Paris nach London zu pendeln“, maunzt Albarn vom Sofa herüber, „er sitzt praktisch immer im Zug.“ – „Die Reise von Paris nach London geht heute ja schneller, als wenn ich von meiner Wohnung aus mit dem Bus zum British Museum fahre“, sagt Simonon. „Tatsächlich.“
Eine Supergroup. Das ist das Richtigste und zugleich Lahmste, was man über The Good, The Bad & The Queen feststellen kann. Wir haben hier ja die powerchemische Verbindung zwischen einem Repräsentanten der wichtigsten Punkband Großbritanniens, zwei Männern von den ästhetisch und kommerziell bedeutendsten britischen Gitarrengruppen der Neunziger, dazu den laut Sprachgebrauch besten Drummer Afrikas. Dass Brian Burton alias Danger Mouse das Album produziert hat, der seit dem letztjährigen „Crazy‘-Erfolg seines Duos Gnarls Barkley der begehrteste, markenstärkste HipHop-Rock-Crossover-Mann der Welt ist, erhöht den Fettanteil zusätzlich. Und obwohl ein Großteil der Bescheidenheit einfach gut gespielt sein dürfte und The Good, The Bad & The Queen wohl giftigst beleidigt wären, wenn ihnen in den wenigen Monaten ihres Bestehens nicht so viel Aufmerksamkeit zuteil geworden wäre: Es fällt schon auf, wie wenig schrill, wie dezidiert leise und basslastig diese Supergroup klingt, sobald sie damit beginnt, ihre Musik zu spielen.
Der Startpunkt: Lagos, Nigeria, im Sommer 2004. Albarn und Simon Tong (der nach Graham Coxons problematischem Abschied als Bühnengitarrist bei Blur eingestiegen war und auch beiden Gorillaz mitspielt) hatten sich von Tony Allen in die berühmten Afrodisia Studios einladen lassen, für Sessions mit offenem Ende, aus denen etwas Ähnliches werden sollte wie Albarns experimentelles „Mali Music“-Album von 2002. Allen und Albarn wiederum hatten sich kennengelernt, nachdem der eine dem anderen im Blur-Song „Music Is My Radar“ eine Tribute-Zeile gesungen hatte („Tony Allen got me dancing“) und Allen daraufhin Albarn als Gaststar auf seine Soloplatte „Homecooking“ geholt hatte.
Was bei den so unvorstellbar relaxten 2004-er Lagos-Sessions herauskam, war Dämon Albarn am Ende jedoch – zu relaxt. „Die Stücke, die ich dafür geschrieben hatte, gefielen mir hinterher überhaupt nicht mehr“, sagt er auf der Couch in Köln, „sie waren schlecht, ich hatte zu wenig vorgearbeitet. Und zu viel Zeit damit vertrödelt, high in Lagos rumzuliegen: ‚Wahnsinn, hört euch die Grooves an!‘ Ich habe meine Lektionen gelernt. Punkt eins: Man darf nie zu viel kiffen, wenn man in afrikanischen Plattenstudios ist. Punkt zwei: Erst recht nicht, wenn man die Sessions selbst bezahlt.“
Zurück in London, musste das zweite Gorillaz-Album fertiggemacht werden, so dass er erst ein Jahr nach dem Trip dazu kam, über die Zukunft des missglückten Lagos-Projektes zu entscheiden. Möglich, dass der immer so demonstrativ um Grenzsprengung bemühte Albarn da bemerkte, wie der Exotismus mit ihm durchgegangen war, die Hybris, allein ein großes afrikanisches Orchester dirigieren zu können. Auf den bekifften Bändern waren es jedenfalls die einfacheren, näher am britischen Folk gelagerten Stücke, die ihn davon überzeugten, dass da noch etwas herauszuholen sei. Dazu fehlte nur noch ein gescheiter Bassist.
„Die Zusammenarbeit mit den Bassisten in Nigeria war ein Albtraum“ erklärt der sich streckende Albarn, der sein Handy im Liegen oft auf den freien Bauchstreifen zwischen Hosenbund und hochgerutschtem Hemd legt. „Wenn afrikanische Bassisten Tony sehen, dann sagen sie zu sich: Jetzt muss ich mindestens eine Million Töne spielen, denn dies ist der beste Schlagzeuger Afrikas!‘ Das klingt dann so: Duddliduddliduddel… Komisch. Gar nicht gut. Als Paul dazu kam – es hat nicht sofort geklappt, aber der Zusammenklang von seinem Bass und Tonys Drums hat sich bald komplett einzigartig angehört.“
Bevor wir dazu kommen, wie in diese eh schon komplizierte, äußerst indirekte Gruppen-Genese auch noch der Ex-Clash-Bassist Paul Simonon verwickelt wurde: Die Band The Good, The Bad & The Queen ist gewissermaßen eine Studie über den Zusammenhang zwischen Nachbarschaft und weiter Distanz, über Internationalismus und lokale Anbindung, über tatsächliche und virtuelle Entfernungen im Pop. Ein bisschen wie der Wal, der sich in die Stadt verirrte, wo er schon laut Lebensraum überhaupt nichts zu suchen hatte, aber wie ein guter Bekannter begrüßt wurde – bei Albarn war es ja lustigerweise die Perspektive von Nigeria aus, die ihm sein London wieder klar machte und es zum musikalischen Thema eines Albums werden ließ. Der Drummer kommt schnell mit dem Zug aus Paris, ist schneller als der Museumsbesucher im Stadtbus. Und als Dämon Albarn den in der Rockgeschichte verloren gegangenen Bassisten Simonon endlich am Telefon hatte, merkte er, dass der all die Jahre gleich um die Ecke gewohnt hatte.
„Ich sage normalerweise immer Nein, wenn jemand fragt“, sagt Paul Simonon, 51. Nach dem Ende von The Clash im Jahr 1986 hatte er nur noch 1991 als vorübergehendes Mitglied der Latin-Rockabilly-Band Havana 3 a.m. ein Album veröffentlicht, hatte ansonsten keine öffentliche Musik mehr gemacht, war ausschließlich Maler und Designer. Bis im April 2006 eben Albarn anrief, den Simonon 1995 auf Joe Strummers Hochzeit kennengelernt hatte. Simonon ersparte es den anderen, sich groß überreden zu lassen. „Mich hat beeindruckt, was Dämon verkörpert, seine Überzeugung, sein Talent, seine Musik. So einen Anruf kriegt man selten. Erst recht nicht von jemandem, der nur zwei Straßen entfernt wohnt.“
Weder Albarn noch Simonon hatten es gemerkt, aber die zwei waren in North Kensington, im West-Londoner Bezirk W10, knapp nördlich von Notting Hill, seit vielen Jahren enge Nachbarn gewesen, ohne sich je zu begegnen. „Das kann passieren in London“, sagt Albarn. „Seither treffen wir uns natürlich ständig. Wir gehen öfter zusammen in den Pub.“ Simon Tong, der im Lauf des Dreier-Interviews nichts Interessantes sagt, sich aber intensiv bemüht, wohnt im Süden der Stadt. „Er muss den Reisepass mitnehmen, wenn er uns besucht.“
Unmittelbar vor ihrer Tür in W10 spielt auch das Album „The Good, The Bad & The Queen“, zwischen Nacht und Tag und Nacht und Nebel, wie wir wissen, und zwischen dem Grand Union Canal, der dort die Stadt durchzieht, dem Gaswerk vom Kensal Green, das Paul Simonon für das Single-Cover „Herculean“ gezeichnet hat, zwischen Emperor’s Gate und Lord Hills Bridge, den Straßen, die in den Texten erwähnt werden und die Songs der neuen Band geografisch exakt verorten. Der latente Kriegszustand, in dem sich London seit dem Irak-Feldzug befindet, steht in den Texten, die Erinnerungen an die Achtziger und den Falkland-Konflikt, die Melancholie, musikalisch natürlich Reggae, Folk. Music-Hall-Entertainment, die afrikanischen Spuren.
Es ist, als habe Damon Albarn das naive, affirmative London-Porträt der berühmten Blur-Platte „Parklife“ bewusst durch ein neues, impressionistisches, zwielichtigeres Bild ersetzt. Das zwar oberflächlich wieder als ein Stück englische Heimatarbeit erscheint, aber in Wahrheit einen weiten Weg durch Orte, Zeiten und Kulturkreise zurückgelegt hat. Die Verweise auf Velvet Underground und Edvard Grieg, die man beim aufmerksamen Hören findet, sind dabei wohl höchstens kleine Gags, die sich ein Team aus derart Altbewährten mal leistet.
Nachdem Dämon Albarn sich beim Zimmerkellner auf Deutsch schönen Streuselkuchen bestellt hat, erlaubt er einem sogar, die gegenübersitzende Interessengruppe eine Band zu nennen. „Obwohl wir keinen Bandnamen haben. The Good, The Bad & The Queen ist nur der Titel des Albums.“ Man könne auch originell sein und die Band mit einem Geruch bezeichnen, grient Albarn, „und immer, wenn jemand uns in einem Text erwähnt, muss er an die Stelle eine kleine Scratch’n’Sniff-Folie kleben… und so-und-so wurden stark beeinflusst von…“, kratzt, schnüffelt. Simonon, mit leicht hyperaktiver Aura, scheint ungeduldig zu werden.
Er hat bei den bisherigen Auftritten von – ach was – The Good, The Bad & The Queen einige Beobachter an die verklärten Clash-Shows erinnert, durch seine typischen Sprunggelenk-Bewegungen, die nach 20 Jahren noch dieselben sind. Beim ersten größeren Konzert im Londoner Roundhouse Ende Oktober sahen sie mit ihren Hüten und Anzugjacken wie eine fahrende Bänkelsängertruppe aus, verspielten sich noch oft, so dass Albarn sich neckisch beim Publikum entschuldigte. Natürlich ist das, trotz der großartigen Besetzung, am Ende seine Band, an der er gemessen wird. Und was immer man ihm vorwerfen kann, das Spröde, die so pflichtbewusst wirkende Weltoffenheit: Die Musik von The Good, The Bad & The Queen verdankt ihre Brillanz gerade den Macken ihres Sängers.
Ob man sich menschlich verstehen muss, um zusammen Musik zu machen? „Das ist bei jeder Gruppe anders“, sagt Simonon. „Natürlich ist es wichtig, dass man zumindest ein Stück weit befreundet ist. Es gibt dann oft genug Momente, in denen man sich im Sinn der Sache als Gegner wiederfindet, aber deswegen nicht gleich alle Zuneigung aufgibt.“
„Musik kann Leute zu allerbesten Freunden und zu allerschlimmsten Feinden machen“, sagt Dämon Albarn dann. „Das habe ich selbst schon erlebt…“, und lacht, weil alle wissen, dass er an den Ex-Blur-Gitarristen Graham Coxon denkt, von dem es immer noch heißt, er werde vielleicht zur Band zurückkommen. „Musik ist eine so gefühlsintensive Angelegenheit, dass sie Menschen eng zusammenführen und völlig voneinander entfremden kann. Manchmal sogar beides gleichzeitig.“
Das klingt jetzt leider sehr hippiehaft: wie die Musik das emotionale Nest baut, indem alle historischen, geografischen und kulturellen Entfernungen zur unmittelbaren Nähe zusammenschnurren. Oder auch nicht. Könnte es denn sein, dass The Good, The Bad & The Queen sich bald total zerstreiten? „Nein! Das gibt die Chemie zwischen uns wirklich nicht her.“
Dabei soll es doch Nachbarn geben, die sich erst nach und nach als Monster entpuppen.