Lollapalooza Berlin 2018: So war der Samstag – mit The National, Casper und The Weeknd
Die vierte deutsche Ausgabe des Lollapalooza Festivals fand zum ersten Mal im Olympiapark in Berlin statt. Das brachte vor allem am Abend viel Atmosphäre.
Vom Lollapalooza berichten Kristina Baum, Alena Struzh und Marc Vetter
The National
„Keine Ahnung, ob ich es in Zukunft noch oft machen werde, aber ich will damit den professionellen Zauber brechen. Unsere Gigs sollen sich waghalsig und unkontrolliert anfühlen“, sinnierte Matt Berninger einmal über seine Ausflüge ins Publikum, die inzwischen zum Markenzeichen von The National geworden sind. Im Line-up des Lollapalooza 2018 sticht die Band auch so heraus – immerhin gründete sich die Band noch im letzten Jahrtausend und hat Instrumente statt DJ-Mischpulte dabei.
Im Publikum lassen Männer mit schütterem Haar zu den Klängen des Openers „Nobody Else Will Be There“ die Schultern hängen, während die Arme unkontrolliert schlackern dürfen. Matt Berninger bringt sich indes für die bevorstehenden 75 Minuten auf Temperatur – mit reichlich klarer Flüssigkeit aus Plastebechern und noch verhaltenem Hüftwippen. Um Berufsmelancholiker zu sein und immer wieder zurück in dieselben dunklen Löcher kriechen zu wollen, braucht es Leidenschaft. Den Weg hinaus kennt Berninger in- und auswendig – inzwischen spielt er den Tourguide vorbei an jenen Abgründen, die ihn früher nicht schlafen ließen. Ein paar neue Attraktionen gibt es dabei aber immer noch zu bestaunen.Dass neongrüne Basecaps auf dieser düsteren Reise nichts zu suchen haben, sollte eigentlich klar sein. Schlagzeuger Bryan Devendorf muss seine Kopfbedeckung einbüßen – bei Berningers erstem Besuch im Publikum darf sich ein kleiner Besucher darüber freuen, vielleicht nicht zuletzt, weil er gleichzeitig den unsäglichen Mallorca-Kopfschmuck los wird, den ein Energydrink-Hersteller freizügig auf dem Festival verteilt:
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Die Schlusstakte von „I Need My Girl“ enden rumpelig: „Ich habe das Gefühl, ich hab was falsch gemacht. So fühle ich mich immer.“ Vielleicht also lieber noch einen Schluck aus dem Plastebecher? Kletteraktionen am Bühnenrand und zum großen Finale auch noch eine große Runde durch die ersten Reihen im Publikum, während die Band sich tosend dem Höhlenausgang nähert. Der große Abgang nach „Terrible Love“: Ein feierlicher Schluck aus der Champagnerflasche, hinüber übers Schlagzeug, alle Kabel aus den Ohren. Und jetzt bloß nicht noch mal zurück in den Abgrund schauen:
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Casper
Ganz theatralisch lässt Casper vor seinem Austritt den „Lang lebe der Tod“-Vorhang fallen – einfach auf die Bühne zu kommen ist inzwischen zu einfach. Der Rapper, auf den sich zurzeit diejenigen, die nicht viel mit Trap anfangen wollen, einigen können, zieht eine dementsprechende Menschenmenge zur Mainstage, mit der er gemeinsam ständig „alles abreißen“ will. Während des Konzerts werden alle Möglichkeiten der Pyrotechnik ausgeschöpft. Angenehm ist, dass Benjamin Griffey das meiste seiner HipHop-lastigen Musik live aufführt, statt einen Producer auf Knöpfe drücken zu lassen. Mit dem Satz „Ich bin noch ein bisschen schüchtern“ lädt sich der 35-Jährige drei Mal Unterstützung ein: Erstmal kommt für „Lass sie gehen“ der Hamburger Rapper Ahzumjot, später dann für „Keine Angst“ Max Drangsal Gruber. Das ist deutlich besser, als die Vocals auf „Lang lebe der Tod“ über Playback abspielen zu lassen.
Für drei Stücke kommt auch der aktuelle beste Kumpel, Marteria, vorbei. Das Duo spielt Lieder vom gemeinsamen Album „1982“. Dabei öffnen sich überall in der Menge Moshpits, es ist schließlich ein Mitmachkonzert. Was Casper oder Marteria sagen, wird brav gemacht. Bei „Mittelfinger hoch!“ wird genau das gegen Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Homophobie gemacht. Ein bisschen Chemnitz lebt auf, wo der Musiker einige Tage zuvor aufgetreten ist – das Ereignis kommentiert Casper auch: „Es geht nicht darum, ein nettes Gratiskonzert zu spielen. Es geht darum, dass man den Arsch in der Hose hat und hinfährt und sagt, das ist scheiße! Es geht darum, dass in diesen Zeiten wer schweigt, zustimmt und wir dürfen auf jeden Fall nicht passieren lassen, dass sich eine so dunkle Geschichte nochmal wiederholt.“ Nach einer gelungenen Show bedankt sich Casper beim Publikum und sagt, er hätte großen Spaß gehabt – man hat ihn aber sicherlich schon motivierter erlebt als in dieser 80 Minuten.The Wombats
„Danke, dass ihr euch NICHT David Guetta angeschaut habt!“, rufen die Wombats zum Abschied. Diesen Wunsch hat man dem Trio sehr gerne erfüllt, denn ihre Show, die letzte auf der Alternative Stage, hat eine unglaubliche Wucht. Die kleine Bühne ist grundsätzlich der große Geheimtipp dieses Jahres, denn hier hat man nicht konstant das Gefühl, von den strömenden Menschenmassen erdrückt zu werden – es verhält sich eher wie auf einem kleinen Festival. Dazu passen die Briten perfekt: Sie spielen ein Best-of ihrer knapp zehnjährigen Karriere; „Moving To New York“, „Give Me a Try“ und natürlich den Radiohit „Tokyo“. Es ist – wie für so viele Acts beim Lollapalooza – das Ende einer langen Festivaltour, und das sieht man den Wombats ein wenig an, sie machen Fehler, manchmal versagt Matthew Murphys Stimme. Trotzdem ist das Konzert für das Publikum wie ein kleiner Zeitsprung in die herrlichen Indie-Zeiten der 2000er: Die Menge ist euphorisiert, singt all die in den Indie-Clubs verinnerlichten Klassiker mit und tanzt mit den Wombat-Tänzern mit, die für einen Moment auf die Bühne springen und sie wie einen Spielplatz aussehen lassen. Es ist ein glorreiches Konzert, weil es auf das schaut, was einmal war – jedoch absolut keine Nostalgie transportiert. Ein Augenblick voll Freude. Und wer die Größe von „Let’s Dance To Joy Division“ nicht verstanden hat, der ist sowieso nicht ernst zu nehmen.
+++Shortcuts+++
Vier Ausgaben Lollapalooza, vier verschiedene Veranstaltungsstätten. Das ist ein kleiner Rekord für sich. Aber eben auch eine echte Chance. Jede Location bot Vor- und Nachteile. Die Weitläufigkeit des ehemaligen Flughafen Tempelhofs wird nun von der architektonischen Prägnanz des Olympiaparks mitsamt Olympiastadion gespiegelt. Durchaus eine kluge Entscheidung, weil sowohl genügend Platz zum Verweilen als auch genügend Raum zum Bewegen in jede Himmelsrichtung vorhanden ist. Einziger Nachteil: Manchmal fühlt man sich dann doch wie bei einem Leichtathletikfest oder wahlweise bei einem Heimspiel der Berliner Hertha. Nur mit wesentlich angenehmeren Besuchern.
Der Slow- und Streetfood-Trend mag inzwischen auch bei den großen Festivals angekommen sein – dafür gibt es nun sogar ein eigenes Areal. Aber es liegt in der Natur der Sache, also einer Großveranstaltung mit vielen hungrigen Menschen, dass all das dann doch keine große Rolle spielt. Natürlich gibt es Pizza, Pasta, Burritos und Falafel. Kann man alles essen. Für Spezialitäten (zum Beispiel einen exzellenten Veggie-Burger mit Schwarzbohnengrundlage in der Nähe des Haupteingangs) muss man aber natürlich etwas warten. Wer es schnell will, bekommt ruckzuck Fish And Chips knapp hinter der Main Stage 1. Herrlich anachronistisch: Vor der Alternative Stage findet sich eine kleine Fischbrötchenbude, die so gar nicht auf dieses Festival passen will und gerade deshalb das perfekte Angebot für das etwas andere Kurzmahl liefert.
Auch in diesem Jahr sind die Blumenmädchen auf dem Lollapalooza in der Mehrzahl. Manche von ihnen haben sogar einen Strauß auf dem Kopf – und Glück, dass die Sonne in diesem Jahr ihr Feuer bereits in den vergangenen Wochen verschossen hat. Wie sähe denn auch ein von der Hitze vertrocknetes Blumenbouquet aus?
Für den lokalpatriotischen Anstrich sorgen am Samstag nicht nur K.I.Z., sondern auch Von Wegen Lisbeth. Auf der Alternative Stage spielt die einmal als Fluchtweg bekannt gewordene Formation in die Dunkelheit hinein und hat dafür Neonlicht, pulsierende Bäumchen und natürlich allerhand Kinderglockenspiel dabei. Die einstige Schülercombo hat einen sehr angenehmen Draht zu den Befindlichkeiten der Millenials, verbindet Punk-Attitüde mit Abiturballblues. Die Musiker freuen sich hörbar über die gute Unterstützung des Publikums und geben versponnenen Gaga-Tracks wie „Sushi“ an diesem Abend genügend Luft, um nicht albern zu wirken. „Chérie“ (gleichsam Bilderbuch wie Modern Talking) wird zur Anti-Smartphone-Hymne erklärt und die düsteren Ereignisse in Chemnitz werden, wie auch bei anderen Konzerten an diesem Abend, ebenfalls erwähnt und verbal aus der Welt geschafft („Der Untergang des Abendlandes“). Clever und tanzbar.
Auf dem Papier ist The Weeknd der größte Headliner auf dem Lollapalooza. Abél Tesfaye versteht sich aber eigentlich als der Schatten all der großen RnB-Stars, seine Songs spiegeln die fahle Traurigkeit nach der Party, das Kotzen nach dem Koks. Die Show des selbsterklärten Starboys ist aber trotzdem eine einzige Demonstration von Cock-Skills – mit wummernd-wuchtigen Bässen und grellem Licht. Feuerwerk wie bei Armin Van Buuren nebenan auf der Perry’s Stage im Olympiastadion gibt es zwar nicht. Dafür klotzt das abschließende „The Hills“ mit Feuerfontänen wie bei Rammstein. Kann man machen. Aber der Musiker kommt darüber hinaus überraschend kühl und unnahbar daher. Die religiöse Selbsterniedrigungsnummer „Pray For Me“ (eigentlich ein Duett mit Kendrick Lamar, hier gleich am Anfang) hat so überhaupt nichts Schmerzgebeugtes. Und die Bühne verlässt The Weeknd, der die Gimmicks seiner Songs fast so anzählt wie die EDM-Granden nebenan, sprachlos. Das geht so schnell, dass man die deutsche Stimme, die nur Zehntelsekunden nach dem Auftritt darauf hinweist, nun K.I.Z. oder The Wombats zu besuchen, fast für die des Rappers hätte halten können.
Dass diese Ansprache nötig ist, hat einen Grund: Nur wenige Meter neben der Main Stage spielt David Guetta. Anscheinend der wahre Headliner an diesem ersten Festivaltag, denn die Perry’s Stage im Olympiastadion hat sich in Windeseile gefüllt. Kein Platz mehr für all die Schaulustigen, die sich vorgenommen hatten, auch diesen DJ einmal in ihrem Leben live zu sehen. Natürlich ein echter Frustfaktor, weil ja all die Ränge aus Sicherheitsgründen leer bleiben mussten. Aber auch eine Situation, die sich am Sonntag ausschließen lassen dürfte.