Lollapalooza 2015: So war der Sonntag – mit Muse, Belle And Sebastian, Tame Impala uvm.
Am Sonntag (13. September) spielten Muse das wohl spektakulärste Konzert. Außerdem beeindruckten Tame Impala mit glitzerndem Pop und Stuart Murdoch von Belle And Sebastian mit den schönsten Bühnenansagen.
My Morning Jacket
In ihrem Heimatland sind My Morning Jacket ein richtig großer Act und eine sichere Bank auf Festivals. In Deutschland sieht es allerdings etwas anders aus. In den letzten Jahren war die Band aus Kentucky nur für einige handverlesene Konzerte in Europa. Vielleicht ist das der Grund, warum die Männer um Sänger Jim James auf der 2. Mainstage nicht wirklich viele Zuhörer für ihre Gitarren-Epen begeistern können. Dabei dürften My Morning Jacket eines der lautesten Konzerte gegeben haben. Songs wie „Off The Record“ von ihrem Großwerk „Z“ türmen sich live zu wahren Soundungetümen auf; „Touch Me I’m Going To Scream Part 2“ und „Victory Dance“ haben zudem auf der Bühne einen völlig anderen Biss als auf Platte.
Keine Frage also: My Morning Jacket sind eine Festival-Band. Aber gerade die neuen Lieder ihrer hörbar von Pink Floyd inspirierten LP „The Waterfall“ geraten etwas zäh und bemüht psychedelisch ohne einen ähnlichen Sog zu entwickeln wie z.B. „One Big Holiday“. Das mag im Vergleich zu den aktuellen Liedern eher ein fröhlich-plumper Stampfer sein, verfehlt seine Wirkung auf das zunächst zaghaft reagierende Publikum aber nicht. So gewinnt man neue Fans. (mv)
Belle And Sebastian
Stuart Murdoch hat nicht nur einige der schönsten Melodien in petto, die je ein Schotte geschrieben hat, sondern auch die besten Bühnenansagen. Hier sind ein paar Highlights:
„Mein Frau, die zu Hause in Schottland ist, hat vorhin noch zu mir gesagt: Was immer du tust, zieh’ bitte nicht diese Hose an!“ (Stuart Murdoch, in leuchtend silberner Discohose)
„Ich schäme mich dafür, Brite zu sein. Wir nehmen viel zu wenige Flüchtlinge auf. Wäre Schottland ein eigenständiges Land, würden wir gemeinsam mit Deutschland für die gute Sache einstehen.“ (Stuart Murdoch vor „Allie“)
„Nimm das blöde Ding da weg. Es geht nicht um das Selfie. Es geht niemals um das Selfie!“ (Stuart Murdoch zu einem jungen Mann, der die Einladung zum Tanzen auf der Bühne dafür nutzte, dem sympathischen Sänger in der silbernen Hose ungefragt sein Smartphone ins Blickfeld zu zwängen und für ein Selbstporträt zu posieren)
„Vielen Dank, Berlin. Das ist unser letztes Lied.“ (Stuart Murdoch vor „Get Me Away From Here, I’m Dying“, dem schönen Abschluss eines wunderbaren Konzerts) (jj)
Sam Smith
Dass man es beim Lollapalooza längst nicht mehr mit dem klassischen Festival der Sub- und Gegenkultur zu tun hat (gibt’s die überhaupt noch?) wird am deutlichsten beim Auftritt des neuen „Bond-Sängers“ Sam Smith. Begleitet von einem Chor schwarzer Soul-Stimmen bespielt der bei Sonnenuntergang die größere der beiden Hauptbühnen. Selten hat man in so ein mit Freundlichkeit verzerrtes Gesicht geblickt, das Haar sitzt perfekt, die goldene Uhr und das silberne Schlagzeugpodest glitzern im fahlen Licht von den Bühnenleinwänden. Die Musik ist Premium-Pop zum Wohlfühlen und Schmusen, ein professionell ausbalanciertes Amalgam aus den Bee Gees, George Michael, Pharrell und Marvin Gaye.
Viele Besucher sitzen entspannt auf dem Beton und senden gute Laune aus, nicht wenige scheinen noch an diese durch Castingshows aufgestellte Gleichung zu glauben, dass eine Schöne Stimme guter Musik gleichkommt. Dazu passend verzückt der 23-Jährige Sänger vor allem mit Coverversionen, Amy Winehouse „Tears Dry On Their Own“ leitet er erst in „Ain’t No Mountain High Enough“ und schließlich in Chics „Le Freak“ über. „These Songs are no longer mine, they are yours!“ ruft er mit glänzenden Augen und verschenkt anschließend sein Herz mit einem samten gesungenen „Can’t Help Falling In Love“. Die Nacht ist hereingebrochen. Jemand hat Wunderkerzen mitgebracht. (fp)
Beatsteaks
„Wir sind mit dem Fahrrad hier!“, rief Sänger Arnim Teutoburg-Weiß lachend, und es schien, als könnte er selbst kaum fassen, dass diese fünf Berliner Jungs, die nun schon seit zwanzig Jahren zusammen Musik machen, die größte Rockband der Nation sind.* Sie haben die Songs, sie haben die Energie, sie haben die Technik, sie haben das Herz. Teutoburg-Weiß ist ein eleganter Sänger und brachialer Hype-Man zugleich; er stichelt das zunächst zögerliche Publikum zu Höchstleistungen an und bringt die Menge zum Tanzen, dass man die Freudenschreie bis nach Britz hört.
*Keine empirisch nachweisbare Aussage. Aber wer käme denn noch in Frage? Man muss nur einmal „Hier kommt Alex“ oder „Unrockbar“ mit „Hand in Hand“ oder „Milk & Honey“ vergleichen, und jegliche Nachfrage erübrigt sich.**
** Ebenfalls keine empirisch nachweisbare Aussage.
Seeed
Seeed für die Berlin-Premiere des Lollapalooza zu buchen, war natürlich ein geschickter Schachzug der Veranstalter (ein noch besserer, sie nur wenige Minuten nach den Beatsteaks antreten zu lassen). Das „mobile Reggae-Sondereinsatzkommando“ aus der Hauptstadt muss nur „bling bling“ machen „und alles ist vergessen“. Sagenhaft geschmeidig gelingen die Übergänge zwischen den aneinandergereihten Hits; anders als z.B. Macklemore versteht die Band tatsächlich etwas von Timing, Rhythmus und Überraschungseffekten. Allein die grandiose Coverversion des Black-Songs „Wonderful Life“ war es wert, dass man sich nicht schon in die Schlange stellte, um möglichst weit vorn beim darauffolgenden Konzert von Muse zu stehen.
Wie selbstverständlich landen die selbst auch auf Pop-Wellen in Rheinland-Pfalz gespielten Kracher mit Regional-Einschlag wie „Dickes B“ beim ekstatisch im Takt mitspringenden Publikum. Da zuckt es sogar den am Rande der Bühne stationierten Polizeibeamten in den Beinen und sie tanzen kurzerhand – wenn auch mit der gebotenen Vorsicht – mit. Wie selbstverständlich fügen sich dann auch die Peter-Fox-Momente ein, wenn Seeed seine (immer noch großartigen) Hymnen „Schwarz zu blau“ und „Schüttel den Speck“ mit Saxophon und Posaune aufpimpen. (mv)
Tame Impala
Die Lieder des neuen Albums „Currents“ gehören auf große Bühnen; sie brauchen ein Publikum, Scheinwerfer, Nebelwände. Nur unter dem Nachthimmel eines Festivals entfalten die gigantischen Melodien die größtmögliche Wirkung. Sänger Kevin Parker freut sich über einen euphorischen Empfang und singt beseelt seinen glitzernden Pop. Auch den psychedelischen Brechern der ersten beiden Alben wird Raum gegeben; die Mitsing-Einladungen von „Elephant“ und „Feels Like We Only Go Backwards“ nimmt das Publikum gerne an. Es ist eine Freude, Parker so entspannt musizieren zu sehen. Der letzte Abend einer langen Europa-Tournee gerät für die Australier zu einem triumphalen Erfolg. (jj)
Muse
Wann sind Muse eigentlich so berühmt geworden? Schon eine Stunde vor Beginn drängen sich die Menschen vor der roten Hauptbühne, um einen guten Blick auf die britische Rockband um Matthew Bellamy zu erhaschen. Dabei findet bei ihnen das Spektakel vor allem auf den beiden Seitenleinwänden statt, die man auch kilometerweit weg noch sehen kann. Bedeutungsschwer wird dort die schwarz-weiße Bühnenperformance mit Computergrafiken und Publikumseindrücken gemischt, Motto: Bildschirmschoner trifft paranoide Angstneurose. Kampflugzeuge, Gefahrensymbole und gruselige Kinderkarusselle flirren und pulsieren, es fehlt eigentlich nur noch, dass jemand 3D-Brillen verteilt.
Sänger Bellamy verzichtet auf Ansagen und lässt stattdessen die Gitarre sprechen. Breitbeinig wirbelt er sein Saiteninstrument umher als wäre es eine futuristische Wunderwaffe, bleischwer donnern die Riffs, turmhoch surren die Soli-Pirouetten, während sich Bellamy immer wieder schnuteziehend ins Falsett legt. Das ist Progrock für Sturmfluten, eine monströse Dreieinigkeit aus Wucht und Wimmern und Technik-Megalomanie. In der Menge brechen bei Songs wie „Plug In Baby“ die Dämme, es müssen auch eine Menge Gitarristen darunter sein, einige Solos bekommen Szenenapplaus. Beim U2-artigen „Madness“ wird es kurz funky, Mädchen sitzen auf den Schultern ihrer Männer und spielen mit geschlossenen Augen Dirigentin. Gegen Ende regnet es erst Papierflitter, dann kommen riesige Ballon-Bälle von der Bühne geflogen. Die Band schmettert als Zugabe das schwer groovende „Uprising“ und das komplexe „Knights Of Cydonia“. Maximal mitreißend – wenn man auf Action-Flme steht. (fp)