Löwe und Wolf
Jazz For Beginners: Julian Benedikts Film ist ein exzellenter Einstieg in die Materie
Zum Jazz kam er durch die Disco. „Ich habe in einer Münchner Diskothek ein Stück von Chico Hamilton gehört“, erzählt Filmemacher Julian Benedikt, „und mir dann die erste Platte von ihm gekauft. Irgendwann habe ich eine Konzertanzeige gelesen: Chico Hamilton Quartet. Dort bin ich hingegangen und habe ihn kennengelernt. Ich habe ihn durch München geführt, und er hat mich nach New York eingeladen.“ Am Ende stand das Filmporträt „Chico Hamilton – Dancing To A Different Drummer.“ Das war 1994.
Aber der Jazz ließ Julian Benedikt dann nicht mehr los. 1998 kam sein zweiter Jazzfilm in die Kinos, „Blue Note – A Story Of Modern Jazz“. Anlass war ein Blue-Note-Festivalabend in Stuttgart: Der Veranstalter, Ulli Pfau, wurde auch Produzent des Films. Ursprünglich überlegte Benedikt, ob er den Film „The Lion And The Wolff“ nennen sollte, denn Alfred Lion und Frank Wolff, so hießen die Blue-Note-Bosse. Schon der Trompeter Lee Morgan hatte zu Ehren der beiden eine Komposition „The Lion And The Wolff“ getauft – und sie für Blue Note aufgenommen.
Ein Anknüpfungspunkt für den Film war jedenfalls gefunden: Lion (eigentlich: Löw) und Wolff stammten aus Deutschland, aus Berlin, waren den Nazis durch die Emigration nach Amerika entkommen. Gerne wird in Jazzerkreisen Lions deutsch-englisches Bekenntnis zitiert: „It must schwing!“ Beide Ehefrauen von Lion kommen im Film zu Wort. Die eine: Lorraine Gordon, geborene Stein, Herrscherin über New Yorks berühmte Jazzclub-Institution „Village Vanguard“. Von 1942 bis 1950 war sie mit Lion verheiratet, bevor sie Max Gordon ehelichte, den Vanguard-Besitzer.
Die andere Ehefrau: Ruth Lion. Sie war Alfreds Schutzengel und hielt nach seinem Ausstieg aus dem Business 20 Jahre lang alle Aufregung von dem Herzkranken fern – bis er 1985 zum Relaunch des Labels wieder an die Öffentlichkeit zurückkehrte: „Wir werden kommen, ich rede mit Ruth!“
Natürlich bittet Benedikts Film möglichst viele aus der großen Blue-Note-Familie vor die Kamera, darunter den Trompeter Freddie Hubbard und den Saxofonisten Johnny Griffin, die beide erst kürzlich (2008) verstorben sind. Auch Bernard Tavernier taucht auf, der Regisseur von „Round Midnight“, und Francis Paudras, Bud Powells Pariser Freund, Vorbild des Francis Borier in Taverniers Film. Der sprechbehinderte Andrew Hill spielt stumm Klavier. Sogar der sagenumwobene Gil Meile tritt in Erscheinung, Baritonsaxofonist und bildender Künstler, später Hollywood-Komponist und Elektronik-Pionier. Meile war der erste weiße Musiker, der einen Blue-Note-Vertrag bekam. Er war es auch, der Lion 1953 mit Rudy Van Gelder bekannt machte.
Benedikts Film ist dokumentarisch, aber nicht eingleisig: ein buntes, geschwindes Kaleidoskop aus Interview-Fetzen, Frank-Wolff-Fotos, Filmausschnitten und Musik von Blue-Note-Platten. Die Musik – von Thelonious Monk bis Cassandra Wilson – scheint den Rhythmus des Films vorzugeben. Nur auf Sidney Bechets „Summertime“, den ersten Erfolg des Labels, musste Benedikt in seinem Film-Soundtrack leider dann doch verzichten: Die Gershwin-Erben verlangten angeblich 25000 Dollar pro angefangener Minute. Verrücktes Amerika!
Eben dort war Benedikts Film freilich am nötigsten, denn der Durchschnitts-Amerikaner weiß nichts über Jazz. Das Aha-Erlebnis gipfelte dann auch in einer Grammy-Nominierung. Wenn es stimmt, dass der Film in japanischer Version 20 Minuten länger ist, wäre das nur gerecht. Denn 1982, als niemand in Amerika von Blue Note mehr etwas wissen wollte, startete Toshiba in Japan eine Reissue-Reihe und bestellte unveröffentlichte Takes aus New York. Die Japaner hatten immer schon Sinn für Qualität.