Locas in Love Studiotagebuch VI: My Maudlin TV Career

Die Kölner Indieband Locas In Love auf den Spuren ihrer Helden: Mit Paul Savage (Ex-Delgados) nehmen sie in Glasgow ihr neues Album auf. Für uns berichten sie exklusiv von ihrer Reise und aus den Studios des Chemikal Underground-Labels.

Björn Sonnenberg (Gesang, Gitarre), Stefanie Schrank (Bass, Gesang, Keyboards), Jan Niklas Jansen (Gitarre) und Christian Schneider (Drums, Glockenspiel, Percussion) sind zusammen Locas In Love. Die Kölner fuhren Anfang 2010 nach Glasgow, um mit Paul Savage den Nachfolger ihres letzten Studioalbums „Saurus“ aufzunehmen. Dafür befanden sie sich in den Studios des Labels Chemikal Underground, dem wir neben den Delgados z. B. auch Mogwai und Aereogramme verdanken. Björn Sonnenberg hat exklusiv für uns Tagebuch geführt. Ein wunderbarer, unterhaltsamer Textwust, der auf tragikkomische Weise die Ereignisse erzählt, die zur Entstehung des Albums „Lemming“ führten. (Alle Teile finden Sie in der Spalte „Artikel“ rechts neben dem Text.)

6: My Maudlin TV Career

Wir kommen gut voran, wenn auch langsamer als erwartet. Das Umarbeiten mancher Stücke geht manchmal in Windeseile, manchmal brauchen wir einen halben Tag pro Song. Aus ‚Es ist alles wirklich so schlimm wie es scheint‘ haben wir alle Folk-Schunkeligkeit, die ein Dreiertakt oft automatisch hat, rausgeworfen und es zu einer Spacemen 3-mäßig mäandernden Reise durch die Welt des schönen Kraches gemacht. Dem Snyde werden oft Fills aberkannt, man kann ihm am Gesicht nicht ablesen ob er sie gerne hergibt, Schlagzeuger sind oft sehr eigen. Ich kann es nicht sicher sagen bzw. nicht für andere, aber ich persönlich glaube (häufig), daß man auf zwei Arten Schlagzeug spielen kann. Die eine ist Moe Tucker, Can, AC/DC, also kaum Becken, stoisch. Die andere ist Keith Moon, also nahezu nur aneinandergereihte Fills und sich am Ende in die Trommeln fallen lassen. (Es könnte aber auch sein, daß ich diese Regel schon morgen wieder für ungültig erkläre.)

Wir nehmen pro Tag zwei bis vier Stücke auf gerade, die schwierigsten und unfertigsten schieben wir allerdings noch vor uns her bis wir bereit dafür sind. Wir haben mittlerweile einen Alltag und es passiert wenig außer der Reihe. Um 9.30 sammelt uns Paul an der Wohnung ein, wir fahren ins Stduio und machen ca. 21 Uhr Schluß. Er wirkt stets konzentriert und scheint eine ungeheurliche Kondition zu haben, geht fast nie ans Telefon wenn es klingelt und macht nur kurze Pausen um eine Kleinigkeit zu essen oder Kaffee zu kochen. Viele Produzenten und Leute mit Studios leiten ihre Daseinsberechtigung v.a. aus Dauertelefonieren mit irgendwelchen (oft auch imaginären) Majorlabel-Kontakten ab, das ist immer unangenehm. Paul erzählt uns eine schöne Schote, wie er mit seiner ersten Band, noch vor den Delgados im Studio war. Der Zuständige hieß Marco, viel später stellte sich heraus, daß er Inder war, aber sich so sehr für seine Herkunft schämte, daß er zwar anders hieß, sich aber Marco nannte und seine Haare in einer Weise zu einem Pferdeschwanz band, damit man ihn für einen Italiener halten mußte. Er behauptete außerdem von sich, ‚perfect time‘ zu haben, als den absoluten Rhythmus. Als die ganze Gruppe in der Kneipe war zeigte er manchmal mit dem Finger auf und merkte an: Mistake! wenn er glaubte, einen Fehler im Schlagzeug zu hören. Einzig: das Lied, das dorten lief, war ein Stück von Spandau Ballet und den Rhythmus gab ein Drumcomputer. Einmal klingelte es, Marco öffnete und sagte zur Band, die mitten in der Aufnahme war, daß sie 10 Minuten Pause machen soll, er sei gleich wieder da; dann ging er mit dem Besuch in einen Nebenraum und gab eine halbe Stunde Schlagzeugunterricht.

Leider läßt sich nichts mehr herausfinden über Marco aus Edinburgh. Daß es mal eine Zeit ohne Internet gab, in der nicht alles und jeder erfaßt war, ist einerseits romantisch, in solchen Fällen aber schade. Der von Fischmob vor vielen Jahren gestellten Frage: ‚was macht FR David eigentlich heute?‘ liegt gewiß eine ähnliche Sehnsucht zugrunde: daß man mehr wissen möchte über etwas oder jemanden, lange nachdem sich das kurze Fenster, in dem man Zugriff bzw. Einblick hatte, geschlossen hat. FR David ließe sich gewiß erforschen dank Web, aber flüchtige Gestalten wie Marco oder irgendwelche Leute, mit denen man zur Schule gegangen ist: sie sind alle weg, verdampft in die Obskurität (Anmerkung zur Bemerkung Mitschüler nicht auffinden können: ich gehöre vermutlich einem der letzten Jahrgänge an, wo das wirklich so ist, d.h. die meisten Leute, die jünger sind als ich, empfinden es als Übertreibung und Schwindel, weil sie sich das Netz besser unterworfen haben und dort ’stattfinden‘, aber überraschend viele, mit denen ich zur Schule ging, sind wie vom Erdboden verschluckt, wenn man unter Erdboden eine Auffindbarkeit über mir zugängliche Kanäle versteht. Die meisten von ihnen haben vermutlich nicht mal email-Adressen oder teilen sich welche mit ihrer ganzen Familie. So sieht es nämlich aus.)

Übrigens wird die Temperatur ganz allmählich erträglicher, ganz am Anfang war es im Studio selber auch bitterkalt, weil Rohre eingefroren waren, jetzt wird es wohnlich. Als Bis ‚Eurodisco‘ aufgenommen haben war es -19 Grad Celsius, brr. Wir essen meistens Toastbrote, Kekse und Suppe. Es geht schnell und schmeckt uns.
(Der Teil, in dem ich von unserem Vorankommen mit dem Album berichte, endet für heute hier. Es folgen Details, die ich selber zwischen privat und (für Außenstehende) unnütz einstufen möchte. Nur damit keiner jetzt eine Minute weiterliest und sich dann ärgert, daß gar nichts mehr über unsere Verzerrer kommt; damit geht es in der nächsten Folge weiter).

Weitere Bizarro-News, die per email eingingen: meine Mutter wurde in Sacramento von einem Pitbull angefallen, mein Vater hat es mir geschrieben. Es ist aber glücklicherweise nichts weiter passiert, sonst würde es sich verbieten, das auszubreiten. Außerdem bekomme ich eine Rolle in ‚Richter Alexander Hold‘ angeboten. Ich bin in einen Verteiler geraten, weil ich in einem dunklen Moment meines Lebens bei der Strafgericht-Show eine kleine Rolle gespielt habe. In abscheulich häßlicher Klamotte mußte ich 2006 in einem himmelschreiend doofen Fall als Jürgen ‚Spike‘ Möller dummes Zeug reden und konnte mir den Text nur schlecht merken, weil mir alles so peinlich war, auch daß die anderen Kleindarsteller sich erhofften, entdeckt zu werden. Ich wollte unerkannt die 150 Euro für zwei Tage Schmach in die Hosentasche stecken und davonlaufen, zu dieser Zeit war ich sehr arm.

Zusammen mit Stefanie habe ich 2001 auch mal als Komparse in einem unangenehmen Oswalt Kolle-TV-Film mitgewirkt. Der Hauptdarsteller, der in unserer Szene ‚bekifft‘ spielen mußte und gefühlte 30 Minuten mit verdutztem Gesicht eine Treppe herunterwackelte hat in Inglorious Basterds von Quenty Tarantiny den Goebbels gespielt, darauf hätten wir damals nicht unbedingt gewettet. Naja. Ich wundere mich über das Rollenangebot, als mir eine Rolle in Ingo Lenßen angeboten wurde, sagte ich sie obwohl die Bezahlung besser gewesen wäre mit großtuerischer Geste ab, mit den Worten: die einzige Rolle, die ich noch spielen werde ist eine in K11. Auf die warte ich noch, Richter Hold schlage ich heute dankend aus. Ich erlaube mir aber, das email-Anschreiben einzukopieren inkl. eines Tippfehlers, dessen Ausbeutung zugegeben kindisch ist, aber auch gleichzeitig zu gut, um es nicht zu tun:

Viele Grüße & bis später,
Björn & Locas

Lieber Björn,
erstmal wünsch ich dir ein super Jahr 2010!
Habe auch gleich mal wieder eine Rollenanfrage für dich zum guten Start ins neue Jahr. Der Dreh wäre am 19.01.2010. Abreise wäre am folgenden Tag.
Ich schicke dir mal eine kurze Beschreibung des Falles damit du dir einen kleinen Eindruck machen kannst, was dich da so erwartet.
Kurzfassung:
Auf einer Party, die dein Kumpel Maximilian geschissen hat, hat seine Freundin ihn beobachtet wie er aus dem Bad mit einer anderen Frau kam die kurz zuvor Sex hatten.
Seine Freundin hat natürlich einen riesigen Wirbel veranstaltet. Klamotten und CD´s von ihm aus dem Fenster geschmissen.
Als er das alles unten aufsammeln wollte, ist ihm noch ein schwerer Glasaschenbecher auf den Kopf gefallen.
Er erlitt einen Schädelbasisbruch und leidet seitdem unter einer retrograden Amnesie.
Du bist als Zeuge im Gericht geladen. Zuerst mimst du noch den Spaßvogel. Du sagst aus das du die beiden beim Sex beobachtet hast. Als der Verteidiger dir vorwirft, dass du das alles nur erfunden hast um dich an Maximilian zu rächen, weil er dich seit Ewigkeiten vernachlässigt, wehrst du dich heftig.
So, das war es im Groben.
Ich würde mich sehr freuen wenn du dich bei mir melden könntest.
Liebe Grüße,
***
(Name von mir wegen Diskretion durch Sterne ersetzt, gez. Björn)

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