Locas In Love Studiotagebuch IX: „Dreckige Dödel’s!“
Die Kölner Indieband Locas In Love auf den Spuren ihrer Helden: Mit Paul Savage (Ex-Delgados) nehmen sie in Glasgow ihr neues Album auf. Für uns berichten sie exklusiv von ihrer Reise und aus den Studios des Chemikal Underground-Labels.
Björn Sonnenberg (Gesang, Gitarre), Stefanie Schrank (Bass, Gesang, Keyboards), Jan Niklas Jansen (Gitarre) und Christian Schneider (Drums, Glockenspiel, Percussion) sind zusammen Locas In Love. Die Kölner fuhren Anfang 2010 nach Glasgow, um mit Paul Savage den Nachfolger ihres letzten Studioalbums „Saurus“ aufzunehmen. Dafür befanden sie sich in den Studios des Labels Chemikal Underground, dem wir neben den Delgados z. B. auch Mogwai und Aereogramme verdanken. Björn Sonnenberg hat exklusiv für uns Tagebuch geführt. Ein wunderbarer, unterhaltsamer Textwust, der auf tragikkomische Weise die Ereignisse erzählt, die zur Entstehung des Albums „Lemming“ führten. (Alle Teile finden Sie in der Spalte „Artikel“ rechts neben dem Text.)
9: „Dreckige Dödel’s!“
Im Pub holte ich gestern Nachschub und wurde beim Bestellen an der Theke von einem angetrunkenen Gast angesprochen: ich sei nicht von hier und woher ich wohl käme? Ich ermunterte ihn, zu raten, er darauf: Are ye from New Zealand? Ich: no, go again. Er: Aussie? Erstaunt lüftete ich das Geheimnis. Bei den weit hergeholten Rateversuchen vermutlich zugrundeliegende Annahme: ein Mann kommt in die Bar, spricht ein recht flüssiges Englisch, das aber eindeutig nicht nach Schotte, Brite oder Amerikaner, den bekanntesten Akzenten, klingt. Englisch sprechen ja, fremd aber auch, Folge daraus: Australien oder Neuseeland.
Im deutschen Sprachraum passiert das aber auch, daß Leute zuhause in Köln z.B. ein Leben lang das Rheinländische gehört haben, das Konrad Adenauer schon so urviechhaft wirken ließ und fremde Akzente automatisch den Dialekten zuordnen, die ihnen die fremdesten scheinen. Einschub: ich schreibe das ohne etwas gegen das Rheinländische zu haben, au contraire. Aber Politiker, die nicht ordentlich sprechen, finde ich unangenehm, solange ich denken kann. Das wiederum mag damit zu tun haben, daß ich unter Ministerpräsident Erwin Teufel aufwuchs, der dann von dem kasperlpuppenartigen Sonderling G. Oettinger abgelöst wurde, während gleichzeitig Bundeskanzler Kohl mit seinem Look, Lieblingsgericht (Pfälzer Saumagen, meine ich) und seinem wie ausgedacht klingenden Heimatort (Oggersheim am Rhein) der Zunft der Imitatoren Munition lieferte. Unvergeßlich dabei die leider in Vergessenheit geratenen Till & Obel mit ihrem Mashup aus Lucilectric und Helmut Kohl. Das fand ich persönlich deutlich lustiger als den halbherzigen Mix aus Las Ketchups 2006er-Sommerhit ‚Aserejé/ The Ketchup Song‘ und Gerhard Schröder. Angela Merkel und ihr Kabinett der fiesen Langweiler geben comedymäßig überhaupt nichts her, glaube ich.
Aber zurück zur Sprachverwirrung: zumeist sind die Platzhalter für ’nicht von hier, aber ich kann es nicht genau zuordnen‘: Bayerisch oder irgendwas aus dem Osten. Nicht, daß man erwarten müsse, daß jedes Ohr, das man trifft, die manchmal feinen Nuancen hören kann und genau ausmachen, ob es nun irgendein Platt ist, Badisch, Thüringerisch, Sauerland oder Hessen, aber einen nicht sofort verortbaren Akzent sofort als ‚Bayern oder Osten‘ zusammenzufassen ist doch so lahm wie sämtliche Nudeln Spaghetti zu nennen oder zu glauben, daß man Schwule daran erkennen kann, daß sie gerne feiern und gut tanzen können (letzte Bemerkung angelehnt an eine Unterhaltung aus der WDR-Dokumentation über die Fussbroichs).
Stefanie ist jetzt krank, bei Niklas und mir bahnt es sich auch an. Vermutlich wurden wir leichtsinnig, als die klirrende Kälte nachließ. Snyder ist nach einer umständlichen Reise in Siegen angekommen, was beides seinem Typ entspricht. Er schreibt uns per email eine kurze Zusammenfassung:
Hallo,
bin endlich angekommen! Eine kurze Zusammenfassung:
– Der Zug in Glasgow ist ausgefallen
– Der alternative Zug kommt planmässig 35 Min. später an + Verspätung ca. 45Min.
– Taxi zum Flughafen
– Flug 2h Verspätung
– Bangen weil die die Boarding-Card auf Christian Frankfurt ausgestellt war
(…)
Trotz Erkältung und Erschöpfung kämpfen wir uns durch eine riesige Liste von Dingen, die wir unbedingt noch hier machen wollen, z.T. weil wir zuhause keine Möglichkeit haben, sie gut aufzunehmen (Klavier etwa, weil wir keines besitzen oder auch Wurlitzer, da wir nur ein Rhodes haben, was natürlich etwas ganz anderes ist), z.T. auch weil wir Pauls Meinung hören möchten. ‚Ist das Blut?‘ wird immer überraschener, Stefanie hat einen brachialen Fuzzbaß gespielt, ich eine ganz magere Rhythmusgitarre auf der Rickenbacker, die Alun von den Delgados gehört. Niklas reißt seinen Verstärker so weit auf, daß seine Gitarre vor lauter Obertönen klingt als spiele er ebow. Kennen Sie alle den ebow? Ein kleines Gerät, das per Magneten eine Seite dazu bringt, unendlich zu schwingen, was einen obertonreichen säuselnden Sound bringt, der daran erinnert, eine Seite mit Geigenbogen zu spielen. Entsprechend in den Mix integriert fragen Leute manchmal: oh, ist es ein Cello? Eine Art Orgel?
Ein wunderschönes Geräusch. Auf ‚New Adventures in Hi-Fi‘ von REM ist eines meiner 4 Lieblingslieder der Band, ein Duett mit Patti Smith, ‚ebow the letter‘; es stellt den Sound in Titel und Musik vor. Und wir selber spielen natürlich auch dauernd ebow, seinerzeit auf ‚Saurus‘ oder ‚Mabuse‘ etwa (ich erwähne ältere Stücke nicht weil ich ewiggestrig im Jahr 2007 lebe, aber da außer Paul und uns vieren noch niemand diese neuen Lieder kennt, möchte ich Sie nicht ausschließen und suche nach Dingen, die Sie eher kennen könnten als welche, die Sie definitiv nicht kennen können) und gerade vorhin bei einem noch unbenannten Instrumental, über das wir als ‚Galeere‘ sprechen. Es begann als 9-Minuten-Reise durch genau einen Akkord (E-Dur) zu einem uhrwerkartigen Rhythmus, den Snyder auf zwei Hängetoms und sonst nichts spielte. Aus Rücksicht darauf, daß irgendwer das alles irgendwann auch hören soll, haben wir es konzentriert und deutlich verkürzt. Wenig ist schlimmer als Bands, die glauben, daß es allen anderen genau so viel Spaß macht, ihnen beim Gniedeln zuzuhören, wie es ihnen selber Spaß macht zu Gniedeln. Wären mehr Bands so rücksichtsvoll, hätte es Genres wie Bluesrock, Jamrock und Progrock nie gegeben. Achtung Achtung, Erde an Robert Cray, Joe Bonnamassa, Jeff Beck und wie sie alle heißen: End- und sinnlos Solo spielen macht JEDEM Spaß. Aber so vieles, was dem Einzelnen Spaß bringt, sollte seine vier Wände niemals verlassen.
Gesungen haben wir bislang nicht, durch die Erkältungen klingen unsere Stimmen schlecht, deshalb machen wir mit Instrumenten weiter. Stefanie hat ein Doppel-Stylophone mit einer Art Baß-Manual, das mit zwei Stiften gespielt wird. Es klingt wie ein landendes / startendes Raumschiff aus 50er-Jahre-Science-Fiction-Filmen. Überhaupt sind wir jetzt an einem Punkt, wo der Zufall mitmachen darf. Wenn wir das Gefühl haben, daß ein Song nach etwas verlangt, was wir nicht genau benennen können, versuchen wir, Dinge von alleine passieren zu lassen, das bringt oft die schönsten Ergebnisse. So wie die Alarmanlage im Studio. Sie spielt eine kleine Melodie und währenddessen hat man Zeit, den Code einzugeben, bevor sie losgeht. Natürlich nehmen wir sie auf. Oft stellen wir Mikrofone nicht vor den Verstärker sondern in den Gang oder irgendeinen anderen Raum und sehen, ob es einen interessanten Hall gibt.
Mit Arbeitsamkeit verdrängen wir den Gedanken daran, daß wir schon fast wieder weg sind und nur noch wenig Zeit ist bis wir alles abbauen und aufräumen müssen, was sich schon nach wenigen Tagen so anfühlte als sollten wir hier für immer bleiben und aufnehmen. Immerhin, wir nehmen viele schöne Aufnahmen mit nach hause und tütenweise günstige Platten und DVDs, die wir gekauft haben; aber ein großer Reiz ist es nicht, zum Schiff zu fahren, den Ozean mit 38 km/h zu überqueren, das Mietauto in Holland zurückzugeben und zwei Schrottautos in Köln loszuwerden (übrigens hat die bescheuerte Werkstatt, die uns mit dem Bus so fies reingeritten hat, sich per email gemeldet und will ab jetzt 6 Euro pro Tag erheben, die der zerlegte Sprinter bei ihnen auf dem Hof steht. Ach, es sind solche Teufel! Und als Absender-Name in ihrer email-Adresse ist ‚Mail‘ angegeben. Die sind so doof, daß sie nicht mal ihren Firmennamen eingetragen haben).
Ich spüre auch, daß ich trotz der großen Freude über die Aufnahmen gerade dabei bin, in die Phase einzudringen, die ich mehrmals pro Album habe und in der ich alles verwerfen möchte um bessere Stücke zu schreiben. Stefanie und Niklas reagieren darauf angestrengt, ich verdenke es ihnen nicht.
Je nachdem, wie hektisch es noch wird, melden wir uns noch einmal vor der Abreise, ansonsten live vom Schiff, denn da hat man viel Zeit zur freien Verfügung. Für den letzten Abend haben wir uns mit Emma, Paul und Ben verabredet, wir wollen nochmal im Battlefield Rest essen gehen und Beatles-Rockband spielen.
Bevor ich es vergesse möchte ich mich für Ihre Zeit bedanken, denn wenn Sie diese Zeile lesen haben Sie bereits viel Zeit auf dieser Seite verbracht. Das freut nicht nur die Band Locas In Love sondern sicher auch Daniel Koch, Ihren Redakteur. Als Online-Redakteur ist der schönste Lohn generierter Traffic auf der betreuten Website – stelle ich mir jedenfalls vor. ‚Feedback‘ in einem Forum ist es in vielen Fällen sicher nicht. Kennen Sie das amazon-Forum? Es ist vermutlich das Irrwitzigste von allen. Wer dort seine ‚Gedanken‘ postet, muß dies ja wohl in totaler Ermangelung einer seinem Typ auch nur entfernt entsprechenden Website tun und entsprechend gaga liest sich alles, was dort eingetragen wird. Die Idee, dort zu posten scheint mir ähnlich zielgerichtet, als würde ich diese Reiseerinnerungen nicht auf www.rollingstone oder der Locas-Seite veröffentlichen, sondern auf DIN A 5-Zettel kritzeln und im REWE-Markt an die Pinwand hängen. Nehmen Sie mich beim Wort und lesen Sie einfach mal beliebig in ein, zwei spinnerte Threads im amazon-Forum rein. Unverständnis und Kurzweil gleichermaßen verspricht Ihnen:
Björn Sonnenberg für Locas In Love
ps: bevor ich es vergesse, der Hamilton Advertiser ist da, es ist die schiere Freude. Eine ganze Seite ist dem Studio gewidmet und auch wir tauchen prominent in Bild und Text auf (wenn es technisch umsetzbar ist, wird Daniel hier einen Link einbauen, der zu einem Scan des Artikels führt. Wenn in dieser Klammer kein anklickbarer Link auftaucht, hat er sein Möglichstes getan, aber die Programmierung der Seite ließ es nicht zu [Anmerkung des Redakteurs: „‚Natürlich klappt das!“. Deshalb hier Link 1 und hier Link 2 in der Klammer der Klammer sozusagen]). Der Reporter hat bei seiner Recherche vermutlich genau diese Seite hier gefunden, vermutlich als eine Episode frisch gepostet wurde und deshalb obenan auf der Startseite erschien. Daraus wurde dann, daß wir wohl schon auf der Titelseite des Rolling Stone standen.
Die Aufbauschung, die Journalisten gerne betreiben ist manchmal lustig, manchmal ärgerlich. Ich habe mir in der 11. Klasse ein taz-Abo gewünscht und von meinen Eltern bekommen, das ich seither beziehe. Obwohl ich die Zeitung gerne lese, strengt die gelegentliche linke Besserwisserei, die als ‚Diskussionsfreude‘ verkauft wird, und alles, was mit Humor zu tun hat, häufig an. Im letzten Jahr habe ich mich zwei mal furchtbar geärgert, eigentlich beide Male über dieselbe Sache. Der Teaser für das Interview, das mit Sven Regener gemacht wurde, hatte zur Überschrift ‚Wir sind keine Dödel‘, ein Satz, der im Interview selber kaum eine Rolle spielt und den ganzen Artikel in ein ganz schlechtes, billiges Licht stellt. Selbst wenn man kein Fan von SR oder seiner Band ist, muß man doch zugeben, daß er ein sympathischer und intelligenter Typ zu sein scheint, der gut spricht und auf den Erfahrungs- und Geschichtenschatz eines langen und interessanten Lebens zurückgreifen kann. Diese Überschrift hat so etwas doof-billiges, ganz schlimm. Wer den Artikel lesen möchte: im Internet-Archiv der taz steht er, Überschrift: „Ich war ein Riesenarsch“.
Das zweite mal war es die Überschrift zum Interview mit Charlotte Gainsbourg. Ein Satz, den sie im Zusammenhang mit dem Chateau Marmont gesagt hat (zumindest in den Ohren des Interviewers, was nicht bedeutet, daß sie ihn wirklich gesagt hat) wurde für die unmögliche Überschrift „Ich mag’s dreckig!“ (samt Apostroph und Ausrufezeichen – Satzzeichen, die ich in den meisten Fällen und so auch hier als minderwertig einstufe) zweckentfremdet. Ich kenne das aus Interviews, besonders mit Karpatenhund, daß oft O-Töne falschen Bandmitgliedern zugeordnet oder einfach nach Bedarf von Autoren selber verfremdet, verdreht oder komplett erfunden werden, aber bei einer ‚richtigen‘ Zeitung finde ich es immer ganz enttäuschend, wenn so ein Billo-Journalismus getrieben wird, der auf Billo-Punchlines wie „Ich mag’s dreckig!“ setzt. Naja. Aber meistens lese ich sie dennoch gerne.