Lob der Leere: das wunderliche Genie Will Oldham alias Palace Music
Wer Will Oldhams Stimme jemals gehört hat, der ahnt schon, welche Abgründe sich auftun, wenn er auch nur etwas zu trinken bestellen soll. Die Kellnerin kommt und fragt, was er möchte. Er schaut kurz auf und guckt sie an, als wäre sie ein Marsmensch, der ihn um Feuer bittet Irgendwann kommt dann eine relative Klarheit in seinen Blick, und erringt sich nach einer zweiten kurzen Absenz die Frage ab: „Was gibt es denn?“ Nach einer erneuten Kommunikationskrise bestellt er schließlich ein Glas mit Apfelsaft. Aber das Gefühl, das sei jetzt genau das richtige Getränk, will sich nicht einstellen. Er schlürft darin herum, als wäre es egaL Es könnte auch ein doppelter Bourbon sein oder ein Glas Milch. Bei Will Oldham überhaupt einen kleinen Grenzverkehr zwischen Innenwelt und Außenwelt vorauszusetzen, fallt schwer. Bei jemandem, dem so adäquate Formen zur Veredelung seiner seelischen Zustände zur Verfügung stehen, ist das vielleicht auch gar nicht nötig. „Telefon und Telepathie“ nennt er als seine beiden bevorzugten Kommunikationsmittel – und manchmal kommt einem auch seine Musik wie eine konkretere Form der Telepathie vor. „Ich mache Musik für Leute, die die gleiche Sichtweise haben wie ich“, meint Oldham und spricht ganz langsam weiter. „In meinem Gesichtsfeld ist es leer. Da gibt es niemanden. Ich bin völlig auf mich selbst zurückgeworfen.“ Erstaunlich, daß solcher Existentialismus überhaupt eine Platte hervorbringen kann wie „Viva Last Blues“. Oldham hat sie unter dem Namen Palace Music herausgebracht – und sie enthält einige für seine Verhältnisse nachgerade extrovertierte Songs, wie zum Beispiel das Liebeslied „New Partner“. „Das hat aber nicht mit den Stücken selbst zu tun, sondern allein mit den Arrangements. Ich hatte immer das Bedürfnis, daß meine Musik Leute aufbaut und nicht herunterzieht. Es soll auch nicht um Einsamkeit gehen, sondern um den Triumph, den es bdeutet als Solitär leben zu können. Seinen Lebensstil hat Oldham entsprechend eingerichtet. Früher hauste er in einer Garage in seiner Heimatstadt Louisville, Kentucky. Als die Platte entstand, wohnte er noch in Alabama, mittlerweile hat er ein Zimmer auf Rhode Island. Dazwischen fahrt er mit ein paar nötigsten Sachen und (zur Zeit) einem Hemingway-Buch durch die Gegend. In Deutschland war Oldham schon oft, „aber es kommt mir sehr unwirklich vor, sobald ich wieder weg bin. Wenn ich in Amerika versuche, mir Köln vorzustellen, gelingt mir das nicht.“ Im Interview äußerst sich Oldham seltsam abfallig über Neil Young: „Das ist ein alter Mann, der langweilige Musik macht.“ Vielleicht steht aber auch nur die Seelenverwandtschaft mit dem JLoner“ Young im Wege. Will Oldham – verschlossen, enigmatisch und dennoch zu überraschender Herzlichkeit fähig – ist nicht nur einer der besten Songwriter und Sänger der letzten Jahre. Er belebt auch den alten amerikanischen Mythos des heroisch einsamen Drifters wieder, der manchmal nur noch seine Füße hört – oder seine Musik. Ralf Schlüter