Katy Perry – Little Miss Sunshine
Ein Besuch in der Neonfarbenen zuckerwattewelt der Pop-Prinzessin Katy Perry. von Erik Hedegaard Fotos von Terry Richardson
Backstage öffnet Katy Perry die Tür ihrer Garderobe – sie ist kaum wiederzuerkennen. „Komm rein“, sagt sie. „Ich habe mir schon was angezogen, zumindest meinen Sarong. Also komm ruhig rein.“ Ich suche nach ihrem omnipräsenten Kussmund, aber die Lippen haben nicht mal Farbe und Gloss. Die Wangen sind fahl, die Augen unscheinbar – von Glanz und Glamour weit und breit nichts zu sehen. Nicht mal ihr berühmter Busen wogt wie gewohnt. Sie sieht wie 17 aus, nicht wie 26. Sie kann es einfach nicht sein.
Ein paar Minuten später steht die Kostümprobe auf dem Programm. Ihre „California Dreams“-Welttournee hat inzwischen die USA erreicht, die 50 Konzerte sind zum großen Teil bereits ausverkauft – auch das erste, so wichtige hier in der Gwinnett- Arena nahe Atlanta. Ihre Oufits sind erwartungsgemäß völlig verrückt: schrill-schreiende Streifenmuster, plüschige Katzenohren, haufenweise Zuckerwatte, psychedelisch sich drehende Scheiben. Alles muss „noch größer, noch besser, noch mehr“ sein, wie Perry es gern ausdrückt, und sie stellt sicher, dass auch jedes Detail perfekt sitzt. Sie geht ins Badezimmer und kommt als wandelnde Hochzeitstorte wieder heraus. „Ich hab nur Angst, das Ding löst sich in Einzelteile auf“, sagt sie. Sie schaut sich das Kostüm noch mal kritisch an und bleibt mit ihren Augen an zwei kleinen Plastikpuppen hängen, die auf der Vorderseite angenäht sind. „Nimm diese irren Puppen weg“, sagt sie. „Diese hier darf nicht zum Konzert – und ihre Schwester auch nicht.“ Sie tut, als würde sie frösteln. „Sie haben den bösen Blick, sie machen mir Angst.“
Dann ist es Zeit, die Arbeiten am Video zu „Last Friday Night (T.G.I.F.)“ zu begutachten. Es ist die fünfte Single aus ihrem zweiten Album „Teenage Dream“, das wie der Vorgänger „One Of The Boys“ mühelos die Multi-Platin-Barriere durchbrochen hat. Überhaupt ist die Statistik ihrer Karriere ein Schaulauf der Superlative: Perry ist der erste Popstar, der ganzjährig mit einem Song in den US-Top-Ten vertreten war. Sie bekam fünf Nominierungen für einen Grammy. Sie heiratete den britischen Krawall-Comedian Russell Brand, der für seine Heroin- und Sex-Sucht berüchtigt war, und hält ihn offensichtlich locker bei Laune – wie umgekehrt auch. Ihre Songs, oder zumindest acht Worte davon – „I kissed a girl and I liked it“ – schafften das Kunststück, in Amerika die konservative Rechte wie auch die orthodoxe Linke auf die Palme zu bringen. Sie wurde als kommerzielle Meister-Manipulatorin gescholten, hat sich aber immer ihre naive Unschuld bewahrt – selbst wenn sie schlüpfrige Texte singt wie „Infect me with your love and fill me with your poison“. Kurz gesagt: Sie ist die derzeit regierende Candy-Pop-Königin, die sich auf das anzügliche Zwinkern ebenso versteht wie auf das natürliche Lachen. Wer Lady Gaga nicht versteht, der versteht zumindest Katy Perry.
Das „Last Friday Night“-Video macht uns mit den trunkenen Abenteuern einer Kathy Beth Terry bekannt – natürlich gespielt von Perry -, die mit Zahnspangen und einer riesigen Hornbrille nicht gerade der Mittelpunkt der Party ist. Als der Rohschnitt des Videos abläuft, sieht man an einer Stelle etwas zu viel nackte Haut. „Meine Titten“, sagt sie. „Das müssen sie noch korrigieren. Anderenfalls wird sich der Screenshot dieses Bildes wie ein Lauffeuer verbreiten.“ Sie zeigt mit dem Finger auf den Monitor. „Da und da und da muss der Weichzeichner ran.“
„Titten abschwächen“, bestätigt die Assistentin.
„Und haben sie schon die Pobacke korrigiert?“
„Ich glaube, der Ausschnitt wurde entsprechend verändert.“
„Lass mal sehen.“ Sie schaut genau hin. „Ja, so ist es prima. Okay, kann ich jetzt vielleicht mal den Trailer sehen – den neuen, ohne die Rülpser und Fürze?“
Keine Frage: Die Frau macht Nägel mit Köpfen. Aber ein bisschen irritiert ist man schon: Sind nicht Titten und Pobacken genau die beiden Faktoren, die ihre Karriere ans Laufen brachten? Und jetzt will sie die guten Dinger weichspülen oder gar rausschneiden? Ist das noch die wahre Katy Perry? Die selbe Frau, die ihre Twitter-Gefolgschaft wissen ließ: „Ich habe mich künstlich mit einem Katzen-Fötus befruchten lassen“? Also wirklich – was ist nur aus der Ulknudel geworden?
Entweder man hasst ihre Musik abgrundtief oder liebt sie leidenschaftlich. Entweder man glaubt, ihre Stimme habe das gewisse Etwas – oder hört in ihr das Abfallprodukt von Auto-Tune. Entweder man sieht in ihr einen Handlanger des großen Medienkonglomerats – oder hält sie für ein einmaliges Original. Entweder man ist von ihrer Präsentation, hemmungslos retro, burlesk, mit lachenden Törtchen auf dem Oberteil, begeistert – oder man sympathisiert mit den US-Muttis, die von ihrem Dekolleté so konsterniert waren, dass sie ihr Duett mit Elmo aus der „Sesamstraße“ verbannten. Denn das ist eine Tatsache, die man Katy Perry definitiv nicht absprechen kann: Alles, was sie macht, sagt, trägt (oder nicht trägt), sorgt für extreme Reaktionen. Sie polarisiert – was wiederum ihren Plattenumsätzen, aber wohl auch ihrem Ego zugutekommt.
„Seit ich neun Jahre alt bin“, sagt sie an einem Tag zwischen den Proben, „möchte ich eigentlich nur eins: den Leuten mit meiner Musik eine Freude machen. Manchmal mag es nur ein flüchtiges Lächeln auslösen, manchmal wird die Musik vielleicht zu einem Mantra oder Motto oder wie immer man das nennen mag, das deinem Leben einen Sinn gibt. Ich bin doch nicht übergeschnappt. Ich weiß auch, dass, California Gurls‘ nicht die Welt verändern wird. Aber ich bin damit aufgewachsen, Empathie für meine Mitmenschen zu empfinden – und diese Empathie stecke ich auch in meine Songs.“
Das mag arg schwülstig klingen, aber man sollte sich in diesem Zusammenhang ihre frühen Videos anschauen, als sie noch einen blonden Pferdeschwanz trug und mit großen, ernsten Augen auf der Suche nach der Wahrheit war. Oder selbst die etwas späteren, als sie bereits ihre Haare schwarz gefärbt hatte und in L.A. einen Fuß in die Tür zu bekommen versuchte: Sie sieht ein bisschen wie Chrissie Hynde aus, wenn sie mit ihrer Akustik-Gitarre in halbleeren Clubs spielt, deren Besucher ihr am liebsten den Strom abgedreht hätten, um sich in Ruhe an der Bar unterhalten zu können.
Mittlerweile, drei Jahre nach dieser Erleuchtung, kennt man Perry in- und auswendig. Man weiß, dass sie in Santa Barbara aufwuchs, als das mittlere Kind von gottesfürchtigen Wanderpredigern, die alles nur Erdenkliche unternahmen, um ihre Tochter von den weltlichen Verlockungen fernzuhalten: Partys waren nur erlaubt, wenn keine Jungs anwesend waren, Pop-Gazetten waren ebenso verpönt wie Filme und TV-Shows, ja nicht einmal „Lucky Charms“-Cornflakes kamen auf den Tisch, weil das Wort „lucky“ irgendwie mit „Lucifer“ assoziiert wurde. Man weiß, dass sie mit 14 nach Nashville ausrückte, einen Vertrag als „christliche Popsängerin“ an Land zog, sich aber nicht durchsetzen konnte; dass sie ihr Glück in Los Angeles versuchte und zwei weitere Deals unterschrieb, die ebenfalls ins Niemandsland führten; dass sie in dieser Zeit oft in Bars ging und beim Tanzen gern ihr Höschen aufblitzen ließ; dass sie einen Vertrag bei Capitol bekam und mit ihm die Gewissheit, dass dies ihre letzte Chance war – und dass sie eines Tages unter der Dusche stand, wo ihr die göttliche Erleuchtung zu den sehr weltlichen Worten „I kissed a girl and I liked it“ kam.
Es ist kurz nach 13 Uhr am nächsten Tag, Zeit für die morgendlichen Rühreier. Sie gibt zu, dass die Rituale und physischen Anforderungen einer Tournee ihr Stress-Level bis in den roten Bereich getrieben haben. Nach dem Aufstehen ist sie noch immer ungeschminkt und trägt einen unauffälligen Pyjama. Meine Frage, ob sie vor dem Essen auch bete, verneint sie, „weil ich so etwas wie eine göttliche Gnade eh zu jedem Zeitpunkt in mir verspüre. Statt ein herkömmliches Gebet zu sprechen, schlage ich mir lieber hemmungslos den Bauch voll.“
Heute allerdings stochert sie nur mit der Gabel im Essen herum, sieht müde und ausgelaugt aus. „Ich hab noch immer das Sandmännchen in den Augen“, sagt sie, „und bin überhaupt nicht in der Stimmung, richtig wach zu werden.“ Sie redet über das Gefühl, hier und heute Katy Perry zu sein. Für ihre Fans, sagt sie, habe sie immer ein Lächeln übrig, auch wenn sie mal nicht so gut drauf sei, auch wenn sie an einem freien Tag lieber komplett abschalten würde. „Ich erinnere mich noch, wie ich das erste Mal nach L.A. kam und Gwen Stefani kennenlernte, die einfach bezaubernd und zuvorkommend war – und dann eins meiner anderen Vorbilder traf, die sich als ausgemachte Zicke herausstellte. Meine Gefühle für diese Person, die Zicke, sind mausetot, während ich immer ein Fan der Person sein werde, die sich freundlich und zuvorkommend verhielt.“
Sie sagt, dass sie die Normalität ihres früheren Lebens vermisst, dass sie nicht mehr zum Shoppen oder Tanzen gehen kann. Selbst der einst regelmäßige Besuch des „In-N-Out-Burger“ sei jetzt problematisch. „Ich bestelle immer den, Double-Double‘ mit Zwiebeln, keine Fritten, kein Milchshake, nur den Cheeseburger. Selbst wenn mir das Zeug aus dem Mund tropft – ich möchte es nicht anders.“
Das ist also die Situation, mit der sie sich arrangieren muss: Allen lustigen, farbenfrohen Katy-Perry-Videos zum Trotz besteht ihr Leben nicht nur aus Zuckerwatte und süßen Katzenohren. „Du kannst ja mal einen Tag in meine Schuhe schlüpfen und mir dann erzählen, wie’s dir ergangen ist“, sagt sie. „Die Dinger sind nämlich mit Glitter besetzt, aber manchmal rutscht ein Kristall in den Schuh und dann unter einen Fußnagel – und es schmerzt wie Hölle. Das Gleiche ist mir erst gestern passiert: Ich zog mein Katzenkostüm an, und dabei geriet ein Kristall unter den Fingernagel. Macht wirklich keinen Spaß.“
Noch vier Stunden bis zum ersten Auftritt der Tournee. In ihrer Umkleidekabine setzt sich Perry vor einen großen Spiegel und lässt ihr Team an die Arbeit. Der Vorgang, der sie in die offizielle Katy Perry transformiert, heißt intern „Glam“ – wie in „It’s time for Glam“ – und erfordert rund drei Stunden Arbeit. Dann ist der Augenblick gekommen, die Verwandlung ist abgeschlossen: Sie ist nicht mehr die blasse Doppelgängerin, sondern die aufgedrehte, quirlige Katy Perry, die wir kennen. Die Metamorphose ist geradezu beängstigend perfekt. „Oh, heute Abend werden wir Spaaaß haben“, sagt Perry, „jede Menge fetten, heißen Spaß. Es kribbelt mir jetzt schon in den Fingern.“ Dann stolziert sie ins Rampenlicht hinaus, winkt und wirft Kusshändchen und ruft „Hello, Atlanta!“. Und nur Minuten später schwebt sie schon auf einer Wolke aus Zuckerwatte, die mit einer Spezial-Hydraulik unter die Hallendecke geschoben wird. Für eine kleine Ewigkeit schwebt sie da oben, bis es wieder Zeit wird, zur Erde zurückzukehren und ihren Fuß auf die Bühnenbretter zu setzen. Sie lächelt ohne Unterbrechung. Sie ist voll in ihrem Element. Sie liefert das, was das Publikum erwartet – und noch mehr. Natürlich bringt sie all ihre Hits, aber auch ein Medley ihrer derzeitigen Favoriten: Jay-Z’s „Big Pimpin'“, Rebecca Blacks „Friday“ und Willow Smith‘ „Whip My Hair“, alle mit einer großzügigen Portion Dekolleté serviert. Und im Gegenzug bekommt sie, was sie sich gewünscht hat: 10.131 glückliche Gesichter. Zum Ende bespritzt sie die ersten zehn Reihen mit einer Seifen-Mischung, die wie Schlagsahne aussieht, singt noch einmal die letzten Zeilen von „California Gurls“ und verschwindet hinter der Bühne.
Am Tag darauf im Hotelzimmer ist Perry wieder im Pyjama, wieder müde („sooo müde“), wieder ohne Make-up, wieder ein 17-jähriges Mädchen. Sie erzählt davon, was ihr Ehemann neulich einmal sagte. „Er meinte:, Jetzt, wo ich verheiratet bin, mag ich nicht glauben, dass ich früher 20 Mal in der Woche Sex hatte. Dafür bin ich inzwischen ein verdammt guter Gärtner geworden.‘ Er hatte wirklich mehr Sex als jeder, den ich kenne. Und wenn man dann in einer monogamen Beziehung lebt … Ich jedenfalls konnte da nicht mithalten. Es ist eine ausgewachsene Sucht, und er war heftig drauf. Es war wirklich sex, drugs and alcohol. Aber inzwischen ist er clean und fit. Er hat sich völlig verändert. Wenn ich einen Kater habe, schaue ich ihn an und sage:, Wie zum Teufel konntest du dir jeden Tag Heroin verpassen, wenn ich drei Gläser Wein trinke und danach nie mehr einen Tropfen Alkohol anfassen möchte?'“ Sie macht eine Pause. „Aber ich bin heilfroh, dass er überlebt hat. Gott schütze ihn.“
Aber was ist mit dem Foto, das er twitterte – und auf dem sie so normal und menschlich aussah, wie sie gerade jetzt auch wieder aussieht? War sie da nicht sauer? „Nein“, sagt sie. „Ich sehe nicht jeden Tag der Woche wie ein aufgetakelter Transvestit aus.Das ist nur ein übertriebener Teil meiner Persönlichkeit. Mein Äußeres zeigt die strahlende Fassade, während mein Inneres schon etwas ernsthafter ist. Das Foto zeigte eine normale, durchschnittliche Frau, die aber große Träume hat. Insofern macht es vielleicht jedem Mädchen Mut, selber ein überlebensgroßer Cartoon zu werden.“
Perry greift kurzentschlossen nach einem Filzstift und malt mir ein Bild von der Person, die sie in Wahrheit ist. „Ich brauch aber ’ne Weile“, sagt sie und vertieft sich in ihr Porträt. Die Minuten verstreichen. „Und … ich bin noch immer nicht fertig.“ Schließlich hält sie das Meisterwerk hoch. Es zeigt eine Katze, ein Herz, einen Cheeseburger und Sonnenstrahlen. Sie liefert die Interpretation gleich mit: „Es ist ein glückliches Kätzchen, versteckt hinter einem Herzen mit lustigen Pünktchen, das wiederum auf einem klassisch amerikanischen Cheeseburger thront.“ Offensichtlich ist sie mit ihrem Selbstporträt äußerst zufrieden. Sollte sie auch, denn es ist definitiv attraktiver als das Foto, das ihr Ehemann über Twitter verbreitete. Und viel treffender auch.