Lisa Stansfield im Interview: „’Heutige Musik ist Dreck‘ – wer kann so einen Unsinn behaupten?“
Lisa Stansfield über ihr neues Album, frühe Erfolge, Flops, John Carpenter, Freddie Mercury, die #MeToo-Debatte – und Toilettenpapier
„People hold on“ hiess der erste Hit von Lisa Stansfield, den sie 1989 für das House-Projekt Coldcut einsang. Mit ihrem Debütalbum, „Affection“, und Songs wie „All Around The World“ stieg sie danach zur erfolgreichsten britischen Soul-Sängerin auf. Seit den Nullerjahren wurde es ruhiger um Stansfield, 51. Ihr neues Werk, „Deeper“, ist eine Rückkehr zum Pop, der sie einst berühmt machte. Ein Gespräch über verstorbene Helden, Horrorfilme und die Gemeinsamkeit von Musikstilen und Toilettenpapier.
Mit Dance-Soul betraten Sie in Großbritannien Neuland. Empfanden Sie die Zeit als schwierig?
Heute sind mehr Soul-Sängerinnen als Soul-Sänger sichtbar. Es gab im Genre aber schon immer mehr Frauen als Männer, nur durften sie damals noch nicht Erfolg haben. Trends kommen in 20‑Jahre-Schleifen. Was jetzt in ist, gab es schon 1998 und gibt es 2038 wieder. Im britischen Soul-Radio hören Sie fast schon eine Renaissance meiner Musik. Was nicht heißt, dass ich es früher leicht hatte. In den USA wurde ich unterschätzt, weil ich weiß war.
„Everything“ ist wie Clubmusik von 1990: Pianogetriebener Rhythmus, Ihre Musiker tragen bestimmt weiße Hemden und Lederkappen …
Nur einmal hatte ich etwas anderes versucht: „The Moment“ wurde 2004 von Trevor Horn produziert, der Achtzigerpop-Legende. Aber das funktionierte nicht – große Namen allein bringen nichts. Kennen Sie „The Pagemaster“?
Nein.
Ein animierter Fantasy-Film mit Macaulay Culkin. Titelsong: „Dream Away“, ein Duett von Babyface und mir. Produziert vom großen David Foster, komponiert von Diane Warren. Nummer eins auf allen Kontinenten? Nein. A complete fucking flop. Babyface und ich waren nicht mal zusammen im Studio.
Sie waren Teil der House-Szene der Achtziger, wurden danach Soul-Star. Welche Ära empfanden Sie als die beste?
Als „die beste“? Wer kann das schon beurteilen? Ich kann Ihnen sagen, welche Toilettenpapier-marke „die beste“ ist. Gut, Musik ist eine persönliche, intime Sache, und das ist Toilettenpapier auch. Es muss darum gehen, sich für Einflüsse offenzuhalten. Wer Gewichtungen vornimmt, klammert sich an das Bekannte. „Heutige Musik ist Dreck“ – wer kann so einen Unsinn behaupten?
Stört es Sie, als „retro“ bezeichnet zu werden?
Meine Musik ist in gewissem Maße retro. Aber das steht mir auch zu. Denn ich war die Erste, die diesen Soul überhaupt gemacht hat. Halten Sie mich für arrogant – aber ich weiß, was ich kann.
Mit „Hercules“ offenbaren Sie sich als Horrorfilm-Fan.
Ich liebe John Carpenters Musik von „Anschlag bei Nacht“! Dafür erhielt er für „Hercules“ aber auch 50 Prozent der Rechte! Die Hook-line verfolgt mich mein ganzes Leben. In „Hercules“ geht es um eine Persönlichkeit. Ich singe: „Step to the side when I walk by.“ Das hat Hercules mit dem „Anschlag“-Helden Napoleon Wilson gemein: die Selbstsicherheit.
Auf „Billionaire“ singen Sie davon, vieles sein zu wollen, nur keine Milliardärin. Warum?
Es geht darum, alles kaufen zu können, nur Liebe nicht. Kennen Sie steinreiche Leute?
Nein. Sie?
Die sind völlig paranoid. Sie kreisen nur um eine Frage: Wie lange noch? Wie lange bleibe ich noch reich? Eddie Irvine, der Formel‑1-Fahrer, war in Irland mein Nachbar. Er nahm mich mit zum Grand Prix. Wo dort gefeiert wird, will ich morgens nicht aufwachen. Und alle haben Vertu-Handys, die aus Gold und Diamanten bestehen.
Mit dem legendären John Barry komponierten Sie 1993 für „Ein unmoralisches Angebot“ den Song „In All The Right Places“.
Ich werde die Live-Darbietungen nie vergessen! Zwei Wochen lang traten wir in der Schweiz auf und wurden dabei von einem Eiskunstläuferpaar begleitet. Zunächst sah das olympisch aus. Der Mann wirbelte seine Partnerin über den Kopf. Und doch hat er sie jede Nacht entweder fallen lassen oder sie flog gegen die Bande. Irgendwann wussten die Musiker und ich schon, wann das passiert, und jeder blickte in die Richtung, wo sich der Unfall ereignen würde. Die Eiskunstläuferin war wohl nicht so helle.
„Schlechter Geschmack ist okay! Darum geht es bei Bands andauernd!“
Ihr berühmtester Moment: 1992 betraten Sie beim Konzert für Freddie Mercury mit einem Staubsauger die Bühne, als Anspielung auf das „I Want To Break Free“-Video.
Ich sagte zu Roger Taylor, dem Queen-Drummer: ‚Ist es okay, wenn ich es wie einst euer Sänger mache: Staubsauger in der Hand, Lockenwickler im Haar? Oder ist es ein Zeichen schlechten Geschmacks?‘ Er sagte: ‚Klar ist das okay! Schlechter Geschmack ist okay! Darum geht es bei Bands doch andauernd!‘ Wäre Freddie anwesend, so Roger, hätte er mir applaudiert. Ich war damals einer der coolsten Popstars der Welt. Aber es war mir total egal, ob ich mich blamiere.
Elizabeth Taylor sagte, um auf Aids aufmerksam zu machen, zu den Massen: „Bitte benutzt Kondome!“
Solche Konzerte gibt es nicht mehr. Es war ein Fest der Informationen, ohne dabei belehrend zu sein. Im Zuge der #MeToo-Debatte etwa muss auch einmal daran erinnert werden, welche Rechte Frauen heute endlich haben. Vor hundert Jahren sind Frauen gestorben und haben Frauen getötet, um das Wahlrecht zu bekommen. Was jetzt noch fehlt? Gleiche Bezahlung!