Lisa Hannigan – Poesie aus Büchern
Mit ihrem zweiten Album avanciert die Irin Lisa Hannigan zur neuen Hoffnungsträgerin des sensiblen Folk-Pop-Songs.
Zart sitzt sie auf dem kleinen Sessel in ihrer Berliner Hotelsuite. Lisa Hannigan faltet die Hände, legt sie auf ihren Schoß und hört zu. Dunkle Augen blinzeln in dem schönen, offenen Gesicht. Sobald sie anfängt zu sprechen, erwachen ihre schmalen Finger zum Leben. Mit ruhigen, bestimmten Gesten unterstreicht sie jedes Wort, als dirigierte sie so ihre leise Sprechstimme. „Es ist immer eine seltsame Zeit, wenn man die Songs schreibt, arrangiert, aufnimmt, das Artwork entwirft – und auf einmal muss man auf die Bühne und die Songs spielen.“ Ihre Augen suchen dabei den verregneten Himmel ab, die Hände bewegen sich immerzu. „Man weiß einfach nicht, wie das laufen wird.“
Dabei muss sich die 31-Jährige keine Sorgen machen. Längst hat sich die einstige musikalische Begleiterin des irischen Folk-Barden Damien Rice einen Namen als Songschreiberin gemacht. Schon ihr Solodebüt „Sea Saw“ wurde 2009 in England für den renommierten Mercury Prize nominiert. „Passenger“ hat sie mit ihrer Band in nur zwei Wochen im walisischen Ort Bryn Derwyn und in London aufgenommen. Bereits im Herbst im englischsprachigen Raum veröffentlicht, begeisterte es Kritiker und Fans gleichermaßen – Erfolge, die auch ihrer Band gehören, die sie selbst als „Familie“ bezeichnet, sechs „starke, gutaussehende Jungs“, die Lisa Hannigan stets auf ihren Reisen begleiten.
Nicht so bei ihrem Konzert-Debüt in Berlin. Geladen wurde in einen kleinen Club in Prenzlauer Berg – leider zu klein für den Andrang: Schon eine halbe Stunde nach Einlass ist der winzige Raum berstend voll, draußen zieht sich die Schlange fast bis zur nächsten Kreuzung. Hannigan hat keine Wahl: „Ich muss zwei Mal spielen“, sagte sie und schaut treuherzig wie ein Labrador-Welpe. Mit Mandoline, Gitarre und Ukulele steht sie auf der Bühne. Selten hat ein Publikum so andächtig gelauscht wie bei diesem Auftritt der Irin. Mit ihrer rauen, energischen Stimme trägt sie sechs Songs aus „Passenger“ und das Stück „Lille“ aus ihrem Debüt vor. Trotz der verschwiegenen Verzücktheit der Zuschauer erntet Lisa Hannigan auch einige Lacher, als sie den ironischen-morbiden Text zu „Safe Travels, Don’t Die“ rezitiert. „Please cross at the lights/ And don’t start fire or fights and/ Don’t dabble in heights on caffeine“ seufzt sie, ohne dabei eine Miene zu verziehen, während es um sie herum gackert und gluckst. Inspiriert wurde der zarte Folksong mit den makabren Zeilen von „The Gashlycrumb Tinies“, einem Bilderbuch von Edward Gorey. Die „Tinies“, das sind 26 Kinder, eines für jeden Buchstaben des Alphabets, die alle einen schrecklichen Tod erleiden. „Es ist sehr schwarzer Humor, fürchterlich fantastisch“, kichert Hannigan verschmitzt. „Die Kinder werden mit Teppichen erstickt oder von Bären angegriffen. Das klingt jetzt absolut grausam, aber es ist eben wirklich witzig.“
Überhaupt spricht die Sängerin sehr viel über Bücher. Das erste Lied ihres neuen Albums, ein opulent arrangierter Popsong namens „Home“, wurde nach der Lektüre von Paul Murrays „Skippy Dies“ fertiggestellt. „Es geht darum, nicht daheim zu sein, das Gepäck überall hin mitzunehmen. Auf einmal denke ich an etwas, das vor zehn Jahren geschehen ist, und frage mich, warum? Diese Erinnerungen trägt man überall mit sich. Das Gefühl, nicht zu Hause zu sein, treibt sie an die Oberfläche.“ Lisa Hannigan muss nicht zu Hause sein. Sie ist bei sich selbst angekommen.