Studiobesuch bei Lightning Recorders: Hier entsteht der Sound von früher
Axel Praefcke ist Tontechniker in einem analogen Aufnahmestudio in Berlin. Er sorgt dafür, dass die Musik von zeitgenössischen Rock'n'Roll-Bands so klingt, als wäre sie in den 50er-Jahren aufgenommen worden.
„Einmal haben wir bei einer Session Lautsprecher überall im Studio verteilt – auf der Treppe, auf dem Klo – um einen bestimmten Sound zu erzeugen“, erinnert sich Axel Praefcke. Er ist Tontechniker bei Lightning Recorders, einem analogen Tonstudio im Berliner Osten. Wen es in die unscheinbar gelegene, alte Fabrikhalle im Stadtteil Karlshorst zieht, der ist auf der Suche nach einem ganz bestimmten Klang – dem halligen, scheppernden Sound der 1950er Jahre. Praefcke weiß, wie er diesen am besten reproduziert und hilft Bands, ihn auf ihren Aufnahmen umzusetzen.
Dafür imitiert er alte Aufnahmetechniken mit originalem Equipment aus damaliger Zeit – und wenn es sein muss, verteilt er auch mal Neumann-Mikrofone und Tonverstärker im kompletten Gebäude. „Bei der Aufnahme damals haben wir nach irgendwas gesucht, was sich später niemand erklären konnte. Deshalb wir an alle Instrumente Mikrofone gestellt und in einer unglaublichen Aktion die Lautsprecher überall hingestellt.“ Die Instrumente wurden dann indirekt über die Boxen aufgezeichnet. „Das klang komisch, aber auch super klasse“, erzählt Praefcke. So verrückt läuft der Alltag im Tonstudio aber nicht immer ab. „Solche Aktionen machen echt Spaß, aber gehen nur, wenn man wirklich Zeit hat.“
Aufnehmen wie vor 70 Jahren
Praefcke ist selbst in mehreren Rock’n’Roll-Bands aktiv: Er ist Sänger der Gruppe Cherry Casino and The Gamblers und spielt bei den Round Up Boys. Im Jahr 2003 gründete er das Studio mit seinem Bandkollegen Ike Stoye. Anfänglich wurden sie von dem Plattenlabel Rhythm Bomb Records unterstützt, für das sie damals ausschließlich Aufnahmen produzierten. Seit 2008 arbeiten die Männer unabhängig. Stoye hat sich 2021 aus der Produktion zurückgezogen. „Ike ist bei den Sessions zugange, bei denen ich als Studiomusiker arbeite und daher nicht in der Regie sitzen kann“, erklärt Praefcke.
In der Regie „kommt die ganze Technik zusammen“. Der Raum wird von einem 12-Kanal-Mischpult, dem „Herzstück“, dominiert. Die Konsole wurde eigens für das Studio angefertigt und basiert auf originalen Schaltplänen der Elektrik-Konzerne Pultec und RCA. Die Signale aus dem Pult werden dann zu zwei Vier-Spur-Bandmaschinen von Telefunken geführt – und wieder zurück, damit die Aufnahmen abgehört werden können.
Über eine Sprechanlage kann der Tontechniker mit den Musiker*innen im Aufnahmeraum kommunizieren und sie durch ein Fenster sehen. Der Raum auf der anderen Seite ist besonders gestaltet: Es gibt keine parallelen Wände, damit sich Schallwellen nicht treffen. Daran befestigt sind Holzpaneele für einen „lebendigen“, vollen Klang. Im Gegensatz zu Schaumstoff, der sonst oft in beispielsweise Sprechkabinen verwendet wird, bricht Holz die Schallwellen, statt sie zu absorbieren. Neben einem Schlagzeug, einer Gitarre mit Gibson-Verstärker und einem Flügel stehen in dem Raum überall Mikrofone, darunter Klassiker aus Amerika, wie das Western Electric 639b, und der „Holy Grail“ der Mikrofone, das Neumann M49.
„Wir wollten, dass unsere Musik wie die auf alten Schallplatten klingt“
Das Studio ist tief in Praefckes Passion für Musik, Kleidung und Style der 1950er Jahre verwurzelt. „Wir waren ein paar Kumpels, die eigentlich eine Band machen wollten. Wir haben uns immer auf Konzerten getroffen und andere Bands angeguckt. Irgendwann fingen wir an, selbst Fünfzigerjahre-Musik zu machen und uns so zu stylen“, erzählt er. Mit sitzender Haartolle und den ersten einstudierten Liedern kam der Wunsch, die eigene Musik aufzunehmen.
Die Band besorgte sich ein Tonbandgerät und schnitt bei Proben mit. Schnell merkten die Musiker: Das klingt absolut nicht so wie früher. „Wir wollten, dass die genauso klingt, wie das, was wir auf unseren Schallplatten hören – so wie die Aufnahmen von Ricky Nelson“, erzählt der Berliner. Damit die Demo-Tapes alt und hallig klingen, begann er Mikrofone auf Flohmärkten zu kaufen. „Das fing an mit irgendwelchen kleinen Mikrofonen für Tonbandgeräte bis hin zu professionelleren Mikros, mit denen wir dann die Aufnahme gemacht haben.“
So entsteht der typische 50s-Sound
Die nächste Enttäuschung kam, als Praefcke die ersten professionellen Aufnahmen mit seiner Band machen wollte. Die Studios produzierten nicht den gewünschten Klang: „Wir haben gemerkt, dass der Prozess, wie die Aufnahmen dort gefertigt wurden, nicht so sein kann, wie es früher war.“ Damals stand beispielsweise der Sänger mit seiner ganzen Band im Aufnahmeraum, erläutert er.
Den typischen Klang des Rock’n’Roll erzeugt er in seinem Studio nicht nur mit einer Auswahl an alten Mikrofonen. Wichtig ist auch, wie er diese positioniert und wie laut die Musiker bei den Aufnahmen spielen. Das Wissen haben Praefcke und Stoye aus Büchern und von Fotografien, die in den 50er Jahren während Studiosessions geschossen wurden. Natürlich probierten sie auch viel aus, um bestimmte Klänge zu erzeugen, und mit der Zeit kam Routine.
Stehen die Mikrofone und Musiker*innen so, wie sie sollen, wird die Musik eingespielt, abgemischt und von den zwei alten Bandmaschinen aufgezeichnet. Danach digitalisiert Praefcke das Tonband, speichert die Aufnahme und schickt sie ans Presswerk. „Im Grunde ist das eine Errungenschaft, dass wir heute analoge Aufnahmen digital speichern können. Das wäre der Traum eines jeden Studiobesitzers gewesen – Masterbänder verlustfrei überspielen und speichern.“ Die Bänder werden danach wieder verwendet, bis sie an Qualität verlieren oder an die Musiker*innen verkauft.
Lightning Recorders ist auf Rock’n’Roll spezialisiert, dennoch sind dort ebenso andere Genres willkommen. Praefcke erzählte, dass auch schon Liedermacher „Bob-Dylan-mäßig“ ihre Titel eingespielt haben. „Das war einmal etwas völlig anderes, ohne krach, bumm, bang und Rock.“ Auch waren Jazzmusiker und Dichter im seinem Studio. „Ich freue mich über jeden, der andere Musik macht – auch Rockmusik. Die wurde in den gleichen Produktionsstätten gemacht und mit den gleichen Mikrofonen wie Rock’n’Roll. Nur klang die Musik am Ende anders“, erzählt der Tontechniker. „Rockmusik wurde einfach anders mikrofoniert und fertig.“