Lieder auf der Höhe des Balles
Ein Holländer, ein Bayer und ein Kölner sitzen an einer Bar, plauder über Fußball. Fragt der Holländer den Bayern: „Sag mal, wieviele Tore hast du gehalten?“ Antwortet der Bayer: „Tore kann man nicht halten – die sind immer drin.“
Als Talkmaster Rudi Carell kürzlich in der „Prominenten Playback-Show“ von RTL die Torhüter Sepp Maier und Toni Schumacher ab Tina Turner und Rod Stewart auftreten ließ, waren sie musikalisch durchaus auf der Höhe des Balles. So wie für Macker im Fußball „Abseits ist, wenn der Schiedsrichter pfeift“, gelten für Mucker die Phrasen von der „Reibeisenstimme“ und „Rockröhre“. Sepp und Toni sind für den Fußball, was Tina und Rod in der Rockmusik darstellen: Schweiß und Biedersinn, Bier und Schlachtgesänge; eine Symbiose, die von weißen Männern geprägt wird, in der Frauen oft noch zum Herrenwitz taugen sowie Schwarze selten vorkommen. Auch im Fußball gibt es inzwischen Crossover und Girlism – aber keine Artikel über Rod, ohne seine überschaubaren Kickertugenden zu erwähnen, auch die Torwand des ZDF-„Sportstudios“ wird bis zum Gebrechen für ihn abgestaubt werden. Und daß die Tina schwarz und weiblich ist, bestätigt als Ausnahme nur die RegeL Zudem lebte sie lange im Bundesligaland und spielte in Fußballstadien.
Die Arien in den Arenen der Balltreter stammen vom Pop, Rock und Schlager. Der Schmährefrain „Zieht den Bayern die Lederhosen aus“ erklingt nach der Melodie des Beatles-Songs „Yellow Submarine“, und der Queen-Hit „We Are The Champions“ gehört längst international zum Siegestaumel wie Hupkonzerte. Der Kicker-Kanon reicht von Tonfolgen wie „OLE, ole, ole, Super Hamburg, St. Pauli“ bis zu „Nie mehr 2. Liga“, variabel nach Verein oder Tabellenplatz. Jeder Klub hat seine Hymne, die ergebendsten Anhänger kennen zwei Dutzend Lieder, mit denen sie ihrer Mannschaft huldigen und gegnerische Spieler verhöhnen. Musikpsychologe Reinhard Kopiez, Professor für Systematische Musikwissenschaften, deutet die Laute als religiöse Choräle. Das erstaunt nicht: Immerhin hat mal ein Verwirrter auch „Clapton is god“ an eine Wand gekritzelt, und Harald Juhnke folgt den Lehren von Bacchus, einst Gott des Alkohols und Amüsement. Kopiez lauscht entzückt, wenn die Fans aus Dortmund „Bobic, Bobic – hahaha“ skandieren und sich mit zwölf Klatschsequenzen in unterschiedlichen Rhythmen bis zur Zeile „Ole, hier kommt der BVB“ steigern. Fast wie Oper.
Oft schlägt dazu ein Musikant die Trommel. Oder er bläst eine Fanfare wie der Schalker Wilhelm Johannes Plenkers, in der Nordkurve des Gelsenkirchener Parkstadions bekannt als „Trompeten-Willi“, nach dessem Ibnstakkato, einst das Angrinssignal der Südstaatentruppen im US-Bürgerkrieg, die Leute in Block 4 „Attakke“ schreien. Ob nun gregorianische Gesänge oder germanisches Gegröle – Reinhard Kopiez‘ „musikalische Subkultur“ war meistens eine Ehre der Fanklubs und anderer Fanatiker. Dann kam Beckmann.
Seit „ran“ rockt und SAT.l-Oberjogger Fred Kogel mit seinem juvenilen Sportstatistiker Reinhold Beckmann für ein junges Quotenimage ihre TV-Fußballwerbeshow mit dem Drum’n’Bass-Gerassel „Krupa“ und „Ain’t Talkin‘ About Dub“ von Apollo 440 ankündigen, rollen die Bundesligavereine auch mehr Platten in ihre „offiziellen Fan-Shops“. Sie erscheinen „wie Schmeißfliegen“, poltert Claus Fabian, „und kosten richtig Asche“. Der Produzent vom Weserlabel hat mal Fußballgassenhauer und die bizarren Fan-Singles auf Vinyl gesammelt, „obwohl ich mir das selten anhören konnte“. Das gelingt auch heute nicht, etwa wenn der FC Bayern mit Andrew White selbstgefällig auf „To The Top“ die „Number One Hits der Charts“ ausschlachtet „Go West“ wird zerspielt, bei „Wind Of Change“ konnte nichts schlechter geraten, natürlich „Macarena“ angestimmt und wiederum „We Are The Champions“ von der ganzen Mannschaft heroisch abgesungen. Die Lieder sind so oder so kein Verlust, für Fabian jedoch „langweiliger und lieblos“. Schematisch ist auch die Optik, gerne mit dem Logo einer Biermarke als Präsentator versehen wie beim VfL Bochum-Produkt – Utensilien, die die Welt nicht braucht wie BVB-Rasierwasser, Bayern-Shampoo und das legendäre HSV-Autowachs.
„Es sind zuviele Leute dabei“, so Fabian, „die eine schnelle Mark machen wollen. Die pressen CDs quasi über Nacht.“ Am schnellsten ist der neue UEFA-Cup-Gewinner Schalke 04. Nach ihrem Halbfinalsieg gegen Teneriffa brachten die Königsblauen „UEFA-Finale – nur der S04“ heraus – noch bevor Inter Mailand als Endspielgegner feststand. Das Jubellied nach dem, auch Captainjack bekannten, Einpeitscher-Rhythmus der US-Marines beginnt immerhin mit dem Attacke-Solo von Trompeten-Willi. Als Identifikations-Bonus gibs eine „Fan-Version“, wohinter das Präsidium ein Ausrufezeichen setzten ließ! Geschäft geht vor Geselligkeit.
Das Management Fortuna Düsseldorfs etwa verprellte den Fanklub, da es für das Vereinslogo auf dessen Platte mit eigenen Liedern eine Lizenzgebühr verlangte. Das Fan-Werk erschien daher nur mit dem nicht copyrightpflichtigen Löwen aus dem Fortuna-Banner. Ahnlich hat Claus Fabian 1994 fürs St Pauli-Fanzine „Der Übersteiger“ die Platte „Auf ein Lied, FC“ veröffentlicht Darauf dreschen die Kiez-Punks Rubbermaids „You’ll Never Walk Alone“, ein Coversong der Adicts-Single. 1991 hatte das einstige Fanzine „Millerntor Roar!“ das Original von 1982 für Videoszenen über St. Paulis Sieg bei den Bayern benutzt. Es wurde in der Fankurve zur Ode an die Spieler. Die Version der Rubbermaids aber durfte im Stadion nicht gespielt werden. Offiziell erschien das Lied dann 1996 auf „Die Pauli Platte“, interpretiert von Gerry And The Pacemakers. Das passierte 1988 auch mit Willy Pumas „St Pauli Rap“, den Manager Georg Volkert als unbrauchbar ablehnte. Kurz daraufstellte der Klub, dem Mythos nach eine Solidargemeinschaft, seinen recht identischen „Super-Pauli-Rap“ vor.
Britische Vereine sind nicht nur beim Kick mit dem Kapital weiter, sie haben zudem die besseren Songs. Mit „Three Lions“ der Lightning Seeds avancierte der offizielle Song des englischen Nationalteams wärend der EM zum Hit, und die ARD griff für ihre Reports klug auf „Don’t Look Back In Anger“ von Oasis zurück. Leider haben Ash für das Video ihrer Single „Kung Fu“ nicht mit Trittflegel Eric Cantona gedreht Die Amerikaner haben für schwere Fälle die Basketballer Shaquille O’Neal und Dennis Rodman. Fußball aber ist wie Rock – oder Pop und Schlager – rück wärtsgewandt Deutschen kids wird „Hier spricht der Bieberer Berg“ über Erwin Kostedde im SZ-Jugendheft „Jetzt“ von einem Altschreiber angedient Die „Spex“-Altavantgardisten förderten die Sammlung „Spitzenreiter“, der Doppelpässe von Country, Free Jazz und House glücken, aber die mit der „Sportschau“-Melodie anpfeift. Ist das jetzt Easy Listening? „Die Spieler waren früher Kultfiguren“, meint Fabian, und schwärmt von den Ständchen, die Gerd Müller, Radi Radencovic oder Charly Dörfel trällerten und auf “ Vom Stadion ins Studio „neu verlegt wurden. Mario wollte ja mit Dolly Buster, durfte aber nicht Bobic paßt zum Punkrock. Lothar und Lolita könnten eine Italo-Version von „Time To Say Goodbye“ singen.
Vielleicht bei Harald Schmidt.