Lieblingsalben der 80er: Yellow Magic Orchestra – „Technodelic“
Es ist nicht weniger als ein Meilenstein der elektronischen Musik.
Obwohl YMO in ihrer Heimat Japan nach einem Werbedeal mit dem Kassettenhersteller Fuji gerade berühmter als die Beatles und mindestens so berühmt wie Buddha waren, entschloss sich die Gruppe, mutig in neue Dimensionen vorzustoßen: „Technodelic“ ist das erste Pop-Album, dessen Gerüst fast komplett aus Loops und Samples zusammengesetzt ist.
Maschinen wie der LMD-649-Sampler waren so brandneu, dass die Elektro-Pioniere gerade mal Zeit gehabt haben dürften, die Bedienungsanleitung zu überfliegen. Dass Hosono und Sakamoto schon seit Kunst-Uni-Tagen Anfang der Siebziger mit Synthesizern jeder Couleur experimentierten, zahlte sich nun aus. In Kombination mit den live eingespielten Drums von Takahashi nahmen die zehn Songs in 43 Minuten so ziemlich alles vorweg, was in den nächsten 15 Jahren im Feld der elektronischen Musik passieren sollte, von New Wave („Pure Jam“) über Elektro-Funk („Seoul Music“), Industrial („Neue Tanz“) bis hin zu IDM („Light In Darkness“).
Von den ohnehin irreführenden Kraftwerk-Vergleichen emanzipierte sich das Trio hier endgültig. YMO versuchten zwar ebenfalls, elektronische Avantgarde und Pop miteinander zu verquicken, kamen auf der anderen Seite des Globus jedoch zu Lösungen, die vielschichtiger, verspielter und auch um einiges tanzbarer waren als jene der Düsseldorfer Kollegen (von denen Sakamoto, Takahashi und Hosono zugegebenermaßen große Fans waren).
Während Kraftwerk mit dem Klischee des kalten, effizienten, aber irgendwo im Ingenieursherzen doch auch romantischen Deutschen spielten, bedienten YMO das Stereotyp vom hochenergetischen Plastikplaneten Japan, der von außen gleichermaßen bunt wie beunruhigend erschien. Als Referenzen aus dem Westen taugen allenfalls noch „My Life In The Bush Of Ghosts“ von Brian Eno und David Byrne, das ein paar Monate früher erschien, und die Talking Heads im Allgemeinen, mit denen YMO für das Gymnastikvideo zur Single „Taiso“ sogar zusammenarbeiteten.
Trotz verschachtelter Rhythmen und nervenaufreibender Klänge konnte „Technodelic“ den Siegeszug des Yellow Magic Orchestra nicht unterbrechen. Ein Jahr nach Erscheinen hatte in Japan niemand mehr Platten verkauft als sie. Und während die Band ab 1984 eine fast zehnjährige Pause einlegte, fand ihr Sound über die DJ-Sets von Afrika Bambaataa Eingang in die ersten Hiphop-Jams und auch in die Untergrund-Clubs von Detroit, wo der Viervierteltakt aus der hier allgegenwärtigen Roland-TR-808-Drum-Machine zu dystopischem Techno ausgehärtet wurde.