Letzter Ausweg: Internet-Nische
Neulich habe ich ein Bild von Markus Kavka in der Zeitung gesehen. Kennen Sie den noch? Der inzwischen 41-Jährige fing 1997 als Moderator bei VIVA an, wechselte später zu MTV und sieht heute eigentlich noch genauso aus wie damals: dezent bajuwarischer Kumpeltyp mit ehrlichen Ansagen und kecker Punkersträhne. Anders als seine ehemaligen Kollegen – Heike Makatsch, Charlotte Roche, Nora Tschirner, Oliver Pocher, Stefan Raab nutzte Kavka das Musikfernsehen nie als Selbstdarstellungs-Forum und Sprungbrett für die eigene Karriere. Kavka schien an das zu glauben, was er tat und präsentierte: Indie-Bands, die immer viel zu erzählen hatten, Querköpfe mit eigenem Stil. Bloß: Man bekam seine Sendungen kaum noch zu sehen, weil sie ständig Termin und Uhrzeit wechselten. Und immer wenn man MTV mal wieder eine Chance geben wollte, buhlten gerade zwei Surfer um die Gunst einer blonden Strandläuferin. Und spätestens wenn die Klingeltonwerbung die jüngsten unter den Zuschauern abholte, wechselte man den Sender.
Deshalb muss man es jetzt in der Zeitung lesen: Markus Kavka, das Urgestein des deutschen TV-Musikjournalismus, hat schon seit letzten Oktober keine Sendung mehr auf MTV: „ich hätte mich gerne von euch verabschiedet, das ging aber aus bestimmten Gründen nicht“, schreibt Kavka auf seiner Website.
Und jetzt raten Sie mal, wo der knuffige Moderator gelandet ist? Richtig, bei MySpace, dem MTV der Gegenwart. Während die Musikkanäle heute nur noch Unterschichten-Fernsehen für Party-Ballermänner ausstrahlen, lässt Rupert Murdochs kunterbunter Kinderhort das alte Do-it-yourself-TV wiederauferstehen. Im Februar debütierte auf MySpace die wöchentliche Sendung „Kavka vs. The Web“. Und einen Moment lang war alles wieder wie in den Neunzigern: charmant trashige Kulissen, interessante Newcomer wie Bonaparte und Super 700 und ein Moderator, der so sympathisch wirkt, dass man ihn sofort unter die Top-12-Freunde „adden“ würde wenn man denn eine MySpace-Seite hätte. Trotzdem hat man das Gefühl, einem Schwindel aufzusitzen, denn die Sendung dauert nur schlappe sieben Minuten und stellt auch noch einen „MySpacer der Woche“ vor.
Macht Kavka vielleicht einfach nur Werbung für MySpace? Das Freundschafts-Netzwerk versucht ja schon seit Längerem neue Einnahmequellen zu erschließen, indem es sich verstärkt auch als Entertainment-Portal präsentiert. MySpace Music wildert massiv in den Jagdgründen der Plattenindustrie, geht aber auch gern Kooperationen mit selbiger ein, etwa bei den inzwischen mit großer Regelmäßigkeit stattfindenden und überhaupt nicht geheimen „Secret-Gigs“, die dafür sorgen sollen, dass ohnehin schon massiv gehypte Bands noch mehr zum Gesprächsthema werden.
Gleichzeitig versucht man sich auch im boomenden neuen Geschäftsfeld „Web-TV“: Die im Mai 2008 gestartete, eigens fürs Internet produzierte Serie „They Call Us Candygirls“ drehte sich in bis zu acht Minuten langen Episoden um vier Berliner Girls und deren Leben zwischen Dancefloor, Liebe und Großstadtszene.
Solche Clips sind ein alter Hut: Schon in der Boomzeit der New Economy trieben die beiden reizenden Prada-Meinhof-Mädchen beim Internetsender „Freshmilk“-TV ihr unterhaltsames Unwesen. Rene Pollesch stellte die mehrteilige Fake-Seifenoper „world-wide-web-slums“ 2001 vom Hamburger Schaupielhaus aus ins Netz. Diese kreativen Ideen litten damals noch an einer zu langsamen Übertragungsrate. Heute ist DSL in Deutschland Standard, und das Internet boomt: Mehr als die Hälfte der Nutzer sehen sich Videos im Netz an; unter den 14- bis 29-jährigen sind es sogar 84 Prozent. Vorm Fernseher versammeln sich heute nur noch die Alten – der durchschnittliche Zuschauer von ARD und ZDF ist 59 bzw. 60 Jahre alt. Aber auch bei Privatsendern wie RTL (46 Jahre) und SAT 1 (51 Jahre) gibt es eine Tendenz zur Vergreisung.
Die großen Firmen und ihre Medienberater machen sich da natürlich Gedanken. Marktforscher der Firma AB! Research glauben, dass der europäische Markt für Online-Video-Werbung in den nächsten drei Jahren von derzeit 200 Millionen auf 2,5 Milliarden US-Dollar wachsen wird. Wo wird dieses Geld landen? Bei den trashigen Soaps auf MySpace – oder bei den wackeligen Amateur-Videos auf YouTube? Realistischere Chancen hat der neue US-Megaplayer Hulu.com. Das Joint Venture von NBC, Fox und weiteren TV-Sendern bietet kostenloses Streaming von Serien und Filmen, die einen größeren Appeal als kotzende Pitbulls haben. Aber glauben Sie bitte nicht, Sie könnten sich das heute Abend am eigenen Notebook ansehen. Die Übertragung nach Deutschland verhindert ein fein gesponnenes Urheberrecht.
Und was bedeutet die veränderte Medienlandschaft für Markus Kavka? Immerhin ist sein neuer Arbeitgeber Rupert Murdoch auch Mitbesitzer von Hulu.com. Man könnte sich engagierten Musikjournalismus in einer deutschen Variante vorstellen. Doch es sieht so aus, als wäre Kavka zufrieden: Er wolle mit seinen Zuschauern die Freude teilen, im Netz täglich auf „Tausende von neuen Sachen“ zu stoßen. Dafür reichen auch sieben Minuten, oder?