Leslie Mandoki: Von Dschinghis Khan zu Béla Bartók
Leslie Mandoki veröffentlicht gemeinsam mit seinen Soulmates „Utopia For Realists: Hungarian Pictures“ – ein Fusion-Album mit viel Pathos und Persönlichkeit
Den „ungarischen Quincy Jones“ nennen ihn die Musiker, mit denen Leslie Mandoki in seiner Band Mandoki Soulmates spielt. Was wie ein haltloser Vergleich wirkt, bekommt durch die Menschen Gewicht, die ihn ziehen, darunter Al Di Meola, Jack Bruce, Ian Anderson und Bobby Kimball, um nur einige zu nennen. Denn sie, nebst einem guten Dutzend anderer namhaften Kollegen, musizieren leidenschaftlich gerne mit dem in Tutzing bei München lebenden Musiker und Produzenten. Warum es ihm gelingt, diese All-Star-Band um sich zu scharen, beantwortet Mandokis Musik.
Aktuelles Beispiel: „Utopia For Realists: Hungarian Pictures“, das bei dem auf Progressive Rock spezialisierten Label InsideOut erscheint. Ein Konzeptalbum, dessen Essenz auf die Musik von Béla Bartók sowie Mandokis eigene Vergangenheit zurückgeht. Bereits vor zwei Jahren in Kombination mit „Living In The Gap“ erschienen, findet sich der Ursprung der „Hungarian Pictures“ noch weiter in der Vergangenheit. Seit 2004 spukte Mandoki die Idee im Kopf herum, Motive und Melodien des klassischen Komponisten Béla Bartók mit Rockmusik zu verbinden. Erste Konzepte entwickelte er mit Jon Lord, Organist von Deep Purple, und Greg Lake, der mit Emerson, Lake & Palmer auf „Pictures at an Exhibition“ bereits Mussorgsky in die Welt des Prog Rock geholt hatte. Mandoki hatte Bartóks Musik schon als Junge im Elternhaus kennengelernt, bevor er sie am Konservatorium eingehender studierte.
In den genreübergreifenden Werken seines Landsmanns glaubte Mandoki einen verwandten Geist zu finden – und genug Inspiration, um die anspruchsvollen Melodien weiterzuentwickeln und in einem neuen Kontext zu verarbeiten.
Die neue Version von „Utopia For Realists: Hungarian Pictures” ist im Gegensatz zu ihrem Vorgänger zwanzig Minuten länger ohne Änderung der Tracklist, dafür weisen die beiden Longtracks nun mehr Musik auf und zählen zu den Höhepunkten des Albums.
Vor allem im zyklisch aufgebauten und aus mehreren vermeintlich unabhängigen, dennoch harmonisch miteinander verbundenen Abschnitten bestehenden „Transylvanian Dances“ gelingt die Verschmelzung von Virtuosität und Eingängigkeit. Während in den neuen Arrangements der klassischen ungarischen Tänze die Finger der Gitarristen Al Di Meola und Mike Stern über die Griffbretter flitzen, erzählen die eingestreuten Songpassagen in leicht schwülstigem Pathos von Leslie Mandokis bewegter Lebensgeschichte.
Aufgrund seines politischen Aktivismus im Umfeld der studentischen Opposition war Mandoki Mitte der 1970er vor dem Regime der in Ungarn regierenden Kommunisten geflohen. Zu Fuß gelangte er durch den Karawankentunnel zuerst nach Österreich und schließlich nach Deutschland. Mit seinem Album verarbeitet Mandoki also nicht nur seine musikalischen Wurzeln, sondern auch seine biografischen Herausforderungen. Nicht immer funktioniert die Symbiose aus Persönlichem und Musikhistorischem elegant. Wenn in „Return To Budapest“ die Musik, deren Weg man stets folgen sollte, besungen wird, klingt es eher nach den epischen Achtzigerpopballaden von Pink Floyd als nach Bartók wie im anschließenden „Barbaro“. Der rasanten, instrumental belassenen Komposition merkt man dank der treibenden Rhythmen und den wilden, pfeilschnellen Läufen auf der Orgel die Nähe zu Bartóks Werk an – und damit verbeugt Mandoki sich nicht nur vor dem ungarischen Komponisten, sondern auch vor seinen beiden verstorbenen Freunden, die das Projekt mit ihm ursprünglich erdachten: Dem Organisten Jon Lord, hier würdig vertreten von Jazzmusiker Corey Henry, und Greg Lake, der mit Emerson, Lake & Palmer Bartóks „Allegro barbaro“ vor über fünfzig Jahren als „The Barbarian“ interpretierte.
Im „Making of“, das auf der Blu-ray zu sehen ist und weniger den Entstehungsprozess des Albums als den Zusammenhalt der namhaft besetzten Mandoki Soulmates beleuchtet, vergleicht Jethro-Tull-Mastermind Ian Anderson Leslie Mandoki mit einem General, die Band als unter ihm dienende Armee – statt Gewalt bringe sie Frieden in die Welt, via Musik. Um in dieser Analogie zu bleiben, gewinnt „Utopia For Realists: Hungarian Pictures“ die Schlacht, trotz einiger kleiner Verluste.
Fabian Broicher ist Musikredakteur beim Radiosender egoFM; sein Podcast „Das Musikalische Quartett“ ist überall dort zu hören, wo es Podcasts gibt.