Leslie Feist und „Multitudes“: Zurück als Mahnerin und Mutter
Mit einem Mini-Konzert im Netz meldet sich die kanadische Songwriterin eindringlich zurück: neues Album „Multitudes“
Sechs Jahre sind nicht nur im Showbusiness eine lange Zeit, in der so einiges passieren kann. Eine Pandemie etwa. Und das Werden eines neuen Lebens. Oder ein Todesfall. Nach ihrem letzten Studioalbum „Pleasure“ aus dem Jahr 2017 ist es still geworden um die Award-gekrönte Singer/Songwriterin aus Nova Scotia. Mit nunmehr 47 Jahren steht (Leslie) Feist vor einem Neuanfang.
Zwei prägende Ereignisse haben das Wirken der Künstlerin, die 2007 mit ihrem Happy-Track „1234“ einen weltweiten Single-Hit feiern konnte, regelrecht auf den Kopf gestellt: Die Geburt ihrer Tochter und der plötzliche Tod des Vaters.
Ihre Erlebnisse und Gefühle hat sie in ihr kommendes Album „Multitudes“ einfließen lassen, das am 14. April 2023 erscheint (siehe Tracklist unten).
Bereits 2021/22 gab es internationale Tour-Termine von Feist unter diesem Titel. Das Hin-und-Her während der Covid-Ära hat aber alle weiteren Aktivitäten einfrieren lassen. Eine Periode des Rückzugs und der Unsicherheit. Zuletzt stieg Feist als Support Act aus der Tournee von Arcade Fire aus – kurz zuvor wurde Win Butler von mehreren Fans des sexuellen Missbrauchs bezichtigt.
Nun erscheinen vorab drei Albumtracks namens „In Lightning“, „Love Who We Are Meant To“ sowie „Hiding Out in The Open“. Diese Stücke hat sie in der Nacht auf Mittwoch (15. Februar) während eines Mini-Konzerts vorgestellt, das im Netz übertragen worden ist. Betrachter sahen ein Ostküsten-Szenario. Nach einem Schwenk über die Straße geht die Protagonistin in eine weiße Studio-Location, mit allerlei Effekten. Hinten in der Ecke sitzt ein bärtiger Mitarbeiter, der Notizen auf „Valentinstag-Herzchen“ aus buntem Papier kritzelt, die er am Ende verbrennt. Symbolismus live on tape.
Miss Feist, ganz in Weiß, ist durch eine Überblendungs-Trick-Technik, die geheimnisvoll und geisterhaft aussehen soll, mehrfach gespiegelt. In einigen Szenen sind gleich drei Leslies auf dem Computer- oder Smartphone-Bildschirm zu sehen. Eine melancholisch-markige Einstimmung in ihr sechstes Soloalbum.
Laut ihrer Plattenfirma ist das Album „Multitudes“ wieder mit einem illustren Team entstanden, darunter die langjährigen Studiogefährten Robbie Lackritz (The Weather Station, Bahamas, Robbie Robertson) und Mocky (Jamie Lidell, Vulfpeck, Kelela) Blake Mills (Bob Dylan, Fiona Apple, Perfume Genius) und Joseph Lorge, die für den finalen Mix verantwortlich zeichnen; wobei Mills in der Endphase auch als Co-Produzent agiert hat.
Die bereits veröffentlichen Tracks zeigen Feist eher nachdenklich. Der Rock’n’Roll muss warten. „In Lightning“ eröffnet mit einem heftigen Clash aus schepperndem Schlagwerk, Gitarren und hell flatternden Geigen. Streicher-Arrangeur Miguel Atwood-Ferguson hat dabei ganze Arbeit geleistet
In einer Art „Akt des Anti-Zeitgeistes“ blendet Feist den modernen Mahlstrom unserer Welt aus. Hörerinnen und Hörer sollen tiefer blicken und zu etwas finden, das elementarer und persönlicher ist als das, was der Spiegel offenbart: „And in lighting flashes flash to show our natural age/And the lightning lights me up to be as God as I say“, heißt es Text.
Beim Online-Minikonzert trug sie ganzheitlich weiße Klamotten und brach ihre Albumtracks „unplugged“ herunter, etwa, wenn sie zerbrechlich das alterslose Gefühl von „Love Who We Are Meant To“ anstimmte. Im Studio ist dieses Stück ausgestattet mit kaskadenartigen halbakustischen Gitarren und üppigen Orchesterschwellungen.
„We will struggle with the truth/That sometimes we don’t get to/Love who we are meant to“, heißt vielsagend in den Lyrics.
Hier das vollständige Tracklisting von „Multitudes“ (in der deutschen Übersetzung etwa „musikalische Vielzahl/Vielfalt“)
In Lightning
Forever Before
Love Who We Are Meant To
Hiding Out in The Open
The Redwing
I Took All Of My Rings Off
Of Womankind
Become The Earth
Borrow Trouble
Martyr Moves
Calling All The Gods
Song For Sad Friends