Zwanghaftes Zocken bei Lena Meyer-Landrut: Gibt es so etwas wie eine Handy-Spielsucht?
Sängerin Lena Meyer-Landrut hat gestanden, süchtig nach Online-Spielen auf ihrem Smartphone zu sein. Das Phänomen ist noch relativ neu, die Folgewirkungen werden wissenschaftlich aber differenziert betrachtet.
„Ich bin nicht gefährdet, spielsüchtig zu sein – ich glaube, ich bin spielsüchtig. Ohne Witz.“ Das sagte Lena Meyer-Landrut, angesprochen auf das Thema, im „SWR3“-Podcast „1 plus 1 – Freundschaft auf Zeit“.
Um dann auszuholen: „Manchmal habe ich dann so Anfälle, dass ich sage, ich lösche die Scheiße, jetzt komm’ ich runter davon. Dann gehe ich durch ’nen Entzug und dann lade ich es mir halt wieder runter. Der Selbstschutz funktioniert bei mir nicht mehr. Das heißt, ich bin in der Sucht.“
Eine mutige Beichte, denn Spielsucht gehört zu jenen vielen (anerkannten) Süchten, die den Betroffenen große Probleme bereiten, aber die meist von anderen Menschen gar nicht bemerkt werden. Zu groß ist die Scham, zu gefährlich können die Folgen der Reaktion von Mitmenschen, von Familienmitgliedern, Freunden, Arbeitskollegen oder im Fall von Prominenten der ganzen medialen Öffentlichkeit sein.
Die Sog- und Suchtwirkung von „Candy Crush“ und Co
Die 32-jährige Musikerin spricht ein wichtiges Thema an, denn bei der von ihr erwähnten Handy-Spielsucht handelt es sich um ein relativ neues Phänomen, das erst in Erscheinung trat, als immer mehr Spiele eigens für die Verwendung mit Smartphones entwickelt wurden. Hier unterscheidet sich die Nutzung erheblich von jenen der Videospiele, die früher einmal ohne Online-Angebot auskamen.
Meyer-Landrut nennt selbst „Candy Crush“, Bauernhof-Spiele (gemeint sind „Golden Farm“, „Farmville“ oder andere) genauso wie klassische Gesellschaftsspiele wie Uno oder Bingo in ihrer Digitalversion. Ihr Problem begründet die Sängerin auch damit, dass sie die Spiele kaum von ihrem Gerät löschen könne.
Warum ist das so? Weil fast alle Spiele, die auf Smartphones gängig sind, meistens kostenlos sind, aber oft In-App-Käufe enthalten. Das sind in der Regel Features, mit denen man entweder schneller zum Erfolg kommt, länger spielen kann (ohne Werbung) oder bestimmte begehrte Items bekommt. Zugleich sitzen Spieler nicht mehr im eigenen Boot. Fast alle Smartphone-Games lassen sich online gegen andere spielen. Permanent ist zu sehen, wie erfolgreich andere bereits sind, Bestenlisten, auch verbunden mit Freunden in den Social-Media-Plattformen, informieren stets, wie sehr man im Grunde im Rückstand ist. Das erzeugt einen hohen Druck, weiter am Ball zu bleiben und besser zu werden. Ein echtes Suchtdruckpotential, das Folgen für die Betroffenen haben kann.
Die WHO hat „Gaming Disorder“ als Sucht anerkannt
Aber handelt es sich dabei wirklich um ein Verlangen, das der klassischen Spielsucht wie man sie mit Casinos und Lotto-Spielern verbindet, gleicht? Lena Meyer-Landrut berichtet in dem Podcast-Interview, dass sie früher auch regelmäßig an der Konsole hing, keinen Moment fand, nach eigenem Wunsch für das gerade genutzte Spiel auszusteigen. Die Computerspielesucht ist vergleichbar mit dem, was hier nun als Handy-Spiele-Sucht zu verstehen ist. Aber sie ist doch anders.
Zunächst einmal kann für beide Bereiche eingegrenzt werden, dass sie eine Erscheinungsform der Online-Sucht sind. Das ist eine anerkannte psychische Störung. Die World Health Organization (WHO) bezieht dabei inzwischen sogar die „Online-Spielsucht“ mit ein, hat sie als „Gaming Disorder“ in ihre Internationale Klassifikation der Krankheiten (ICD-11) mit aufgenommen.
Suchtverhalten zeigt sich demnach in folgenden Bereichen:
- Vernachlässigung von Pflichten und Verpflichtungen: Die Betroffenen widmen immer mehr Zeit dem Spielen und vernachlässigen dabei ihre Arbeit, Schule/Studium oder andere Verpflichtungen.
- Verlust der Kontrolle: Betroffene haben Schwierigkeiten, die Spielzeit zu begrenzen und hören oft nicht auf zu spielen, auch wenn sie es sich vorgenommen haben.
- Entzugserscheinungen: Das Fehlen des Spiels kann zu Reizbarkeit, Unruhe und anderen Entzugserscheinungen führen.
- Fortschreitende Verschlechterung von Beziehungen: Die Spielsucht kann zu Konflikten in Beziehungen führen, da die Betroffenen weniger Zeit mit Familie und Freunden verbringen.
- Fluchtverhalten: Oft spielen die Betroffenen, um vor realen Problemen oder emotionalen Belastungen zu fliehen.
- Fortgesetztes Spielen trotz negativer Konsequenzen: Die Betroffenen setzen das Spielen fort, selbst wenn es finanzielle oder gesundheitliche Probleme verursacht.
Die Online-Spielsucht ähnelt so anderen Formen der Abhängigkeit, wie zum Beispiel der Drogen- oder Alkoholsucht – wenngleich hier keine Abhängigkeit von einer Substanz vorliegt. Das ist auch der Grund, warum unter Wissenschaftlern keine Einigkeit besteht, wie mit dieser Form der Sucht umgegangen werden muss. Tatsächlich helfen verhaltenstherapeutische Maßnahmen, wesentlich mehr als bei anderen substanzbasierten Abhängigkeiten. Doch die Rückfallquote ist schon deshalb hoch, weil gesellschaftliche Sanktionen, anders als bei Alkohol- oder Drogensucht, kaum vorhanden sind. Wer exzessiv spielt, wird nicht auf sein Fehlverhalten angesprochen. Es gibt nur wenige professionelle Anlaufstellen (wie etwa die Anonymen Alkoholiker im Fall der Alkoholsucht) und ganz allgemein gehen die wenigsten Online-Spielsüchtigen davon aus, dass sie behandlungsbedürftig sind, selbst wenn sie bereits in vielen Bereichen ihres Lebens die Kontrolle verloren haben.
Das Smartphone ist stets verfügbar und lädt rund um die Uhr zum Spielen ein
Bei der Handy-Spielsucht kommt noch hinzu, dass die Einstiegshürde extrem gering ist (fast jeder hat ein Smartphone, auf jedem können Onlinespiele heruntergeladen werden) und zum Teil nicht einmal Geld dafür eingesetzt werden muss (was wiederum zu einem anderen Suchtdruck führt als etwa bei der klassischen Spielsucht – der monetäre Einsatz, der potentiell erhöht werden kann und Adrenalin- und Endorphinausschüttung steuert, fällt erst einmal weg, wird aber durch soziales Bewusstsein, also Bestenlisten und/oder gemeinschaftliches Spielen mit gleichzeitigem Chatten ersetzt).
Dabei erscheint das Smartphone als permanentes Trigger-Gerät. Ein Leben ohne Drogen und Alkohol ist zwar nicht einfach, gerade wenn es gelungen ist, die Sucht sozusagen zu „trocknen“, aber möglich. Trotz zahlloser Herausforderungen im Alltag ist der Verzicht bei entsprechender professioneller Betreuung machbar (wenngleich die Rückfallquote trotz verbesserter klinischer und psychotherapeutischer Maßnahmen immer noch sehr hoch ist). Bei Handys ist das deutlich anders. Ein Leben ohne sie ist nicht mehr möglich. Sie begleiten einen sozusagen vom ersten Morgengang bis zum Tagesende im Bett.
Die Folgen: Die Handy-Spielsucht kann sich negativ auf die physische und psychische Gesundheit auswirken, denn exzessives Spielen führt oft zu Schlafstörungen, sozialer Isolation und anderen Problemen. Nicht jeder, der Smartphone-Spiele spielt, ist zwangsläufig süchtig, auch das Potential, eine Sucht zu entwickeln, ist bei den Menschen sehr unterschiedlich ausgeprägt. Die meisten können Spiele auf dem Smartphone in Maßen genießen. Bei anderen wird sozusagen ein möglicherweise sogar genetisch veranlagtes Risiko zur Spielsucht – und das aufgrund der Nutzung bereits in sehr frühen Altersstufen – aktiviert und aufgrund der angesprochenen geringen Einstiegshürde und mangelndem Druck, das Spielen zum Beispiel in der Öffentlichkeit oder im geteilten Privatleben einzustellen, über die Zeit verstärkt.
Wenn Anzeichen einer Sucht auftreten, ist es ratsam, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen, um die Sucht zu bewältigen. Therapie, Beratung und Unterstützung durch Fachleute ist nachweislich ein Weg aus der Handy-Spielsucht. Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung bietet hier Hilfe an, Leitfäden für betroffene Familien und Informationsbroschüren für Interessierte, die helfen wollen. Auch das Gespräch mit der rund um die Uhr erreichbaren und kostenlosen Telefonseelsorge kann ein erster Schritt aus dem Suchtkreislauf sein.
Ein Mittel, um die Sucht zu besiegen: Alltag ändern
Zu ihrem früheren exzessiven Konsum von Videospielen sagte Lena Meyer-Landrut übrigens in dem Podcast-Gespräch: „Das mach’ ich jetzt nicht mehr, weil ich das Gefühl habe, ich bin zu alt und ich schaffe es zeitlich nicht mehr. Das fickt dann einfach mein Leben und davon will ich weg.“
Das lässt sich gewiss auch auf die Handy-Spielsucht übertragen: Sobald das Bewusstsein vorliegt, wie viel Zeit und Kraft solche Spiele rauben – wenngleich ihr Unterhaltungsgewinn und auch das Gefühl, mit anderen gemeinsam zu daddeln oder sich zu messen, natürlicherweise mit einem Glücksgewinn verbunden ist und dazu noch allzu menschlich – dann ist der Ausstieg relativ schnell möglich. Denn der ist, anders als bei anderen Abhängigkeiten, bei denen Substanzen im Spiel sind, durch eine Veränderung des Alltags schnell zu erreichen. Auch wenn das Smartphone bei der nächsten Langeweile gewiss wieder lockt. Aber auch mit dem Handy lassen sich viele Dinge machen, die keine Sucht erzeugen.