Lemmy Kilmister: „Wenn ich morgen sterbe, kann ich mich nicht beschweren“
Er war der letzte Heuler des Rock’n’Roll. Im Alter von 70 Jahren ist Lemmy Kilmister zwei Tage nach einer Krebsdiagnose gestorben. ROLLING-STONE-Redakteurin Birgit Fuß hat den Musiker im Sommer zum Interview getroffen – und mit ihm über seine große Karriere gesprochen.
Lemmy Kilmister ist tot. Man muss das so deutlich sagen, weil man es sonst nicht glaubt – dass der Unverwüstliche es nicht geschafft hat, unsterblich zu sein. Kurz nach seinem 70. Geburtstag starb der Motörhead-Chef am 28. Dezember in Los Angeles an Krebs. Es war wahrscheinlich keine Überraschung für ihn, und man sollte ihm jetzt den Gefallen tun, nicht allzu sentimental zu werden. Das hat er sich selbst auch nie erlaubt.
Über Nachrufe sagte er einmal, es störe ihn, dass dann plötzlich jeder glorifiziert wird: „Ein Arschloch bleibt ein Arschloch, auch wenn es tot ist. Dann ist es eben ein totes Arschloch.“ Lemmy war kein Arschloch, er war ein aufrichtiger, wild entschlossener Mann, der sich niemals verbiegen ließ. Das wird ja gern gesagt, aber bei Lemmy stimmte es tatsächlich.
Im Sommer hatte ich das Glück, ihn noch einmal treffen zu dürfen. Sein Witz, seine Wut, sein unbedingter Willen – all das war ungebrochen, trotz seines fragilen Gesundheitszustands. Lesen Sie hier das Interview – und erinnern Sie sich an Lemmy, aber trauern Sie nicht. Er hat auch das gesagt: „Wenn ich morgen sterbe, kann ich mich nicht beschweren. Es war ein gutes Leben.“
Die 40-jährige Geschichte von Motörhead ist von einer erstaunlichen Konsequenz geprägt. Im besten Song des neuen Albums, dem gewaltigen „Thunder & Lightning“, singt Lemmy davon: „I always wanted the noise and the light …/ I always wanted the dangerous life“, raunzt er, und: „I never wanted to be nowhere else.“ Lemmy spielte schon als Teenager in diversen Bands, stieg 1972 bei den Space-Rockern Hawkwind ein, die ihn 1975 feuerten, als er wegen Drogenbesitzes festgenommen worden war. Kurz darauf gründete er Motörhead, benannt nach dem letzten Song, den er für Hawkwind geschrieben hatte. „Schnell und fies“ wollte er klingen, deshalb gelten
Motörhead als Heavy-Metal-Pioniere, auch wenn sie mit dem Genre nie etwas zu tun haben wollten. Ihr Hardrock war vielmehr vom Punk beeinflusst – und von Lemmys frühen Helden, den Rock’n’Rollern der 50er-Jahre. Ihr Über-Hit bleibt „Ace Of Spades“ von 1980, das Lemmy nicht für seinen größten Song hält („Broken“ mag er lieber), das aber seine Live-fast-Einstellung so knapp wie genau zusammenfasst: „You know I’m born to lose and gambling’s for fools/ But that’s the way I like it, baby/ I don’t wanna live forever.“
Nach 22 Studio- und zehn Live-Alben sind Motörhead längst ihr eigenes Genre. Ihr Schriftzug ziert H&M-Shirts, Lemmys Trink- und Kampfgeist sind legendär, man feiert ihn als den Letzten seiner Art. Bon Scott ist tot, Ozzy Osbourne hat nicht mehr alle beisammen. Also muss Lemmy die Fahne hochhalten, solange kein geeigneter Nachwuchs in Sicht ist.
Du bist einer der letzten großen Heavy-Rock-Stars. Warum?
Es gibt keine Helden mehr. Sie sind ausgestorben, weil es unpopulär wurde, vor einer Generation. Das Punk-Ding hatte viel damit zu tun – no more heroes and all that bullshit. Aber demnächst spielen wir mit den Stranglers, dann werden wir sehen, wer da gewinnt!
Ärgert es dich, wenn Leute behaupten, Motörhead würden immer nur dasselbe spielen, ähnlich wie AC/DC?
Kleine Pisser, die nicht genug Erfolg haben, schimpfen natürlich über die, die schon einen gewissen Status haben. Fuck them, ich werde mich nicht ändern. Ich habe immer gesagt: Ich hoffe, ihr mögt das neue Album. Wenn nicht, machen wir einfach so lange weiter, bis ihr mal eines mögt.
Wo sind deine Nachfolger, siehst du welche?
Metallica? Die sind extrem erfolgreich, aber natürlich vor allem eine Geldmaschine. Mir war es eigentlich immer egal, ob ich Geld verdiene. Ich hatte ja nie einen richtigen Job. Wir hatten genug, um zu leben. Eine Zeitlang habe ich auch mit Dope gedealt, das hat geholfen.
Du hattest nie einen Plan B?
Nein. Nie. Niemals. Nicht, seit ich zehn war. Ich war stur. Und es hat ja funktioniert. Man muss wissen, was man will und was man tut. Ich weiß das. I don’t fuck around.
Du fängst immer erst an, im Studio Texte zu schreiben, wenn die Musik bereits fertig ist. Ist das nicht stressig?
Ich mag den Druck, ich bin gern gestresst. Man sieht seine Feinde nur, wenn man in Alarmbereitschaft ist. Auch wenn es nur eingebildete Feinde sind.
Dazu gehören bei dir auf jeden Fall Politiker. Es gibt kein Motörhead-Album, auf dem du nicht gegen die Politik wetterst.
Politiker sind alle Bastarde, dabei bleibt es. Sogar Obama. Er hätte der zweite John F. Kennedy werden können, und er hat es versaut. Er hat es schwer mit dem Senat und dem Kongress, aber das war bei Kennedy auch so, der ein Katholik in einer protestantischen Nation war. Er hat’s recht gut gemacht. Mit Obama habe ich kein Mitleid, er ist nicht stark genug. Egal was er Gutes bewirken will, der Senat wird es schon stoppen.
Was würdest du machen, wenn du einen Tag lang an der Macht wärst?
Ein Tag reicht ja nicht, man müsste zehn Jahre US-Präsident sein, und das ist gesetzeswidrig. Ich würde Schusswaffen abschaffen. Jeder Idiot, jeder Schimpanse kann schießen lernen, das ist einfach. Aber wenn man jemanden mit einem Messer töten muss – das ist eine andere Geschichte. Das muss man in die Hand nehmen, jemandem in den Körper stechen und ihn dann dabei anschauen, wenn er stirbt. Das ist viel schwerer. Wenn man das machen müsste, um jemanden umzubringen, gäbe es viel weniger Morde. Manche Irre kann man natürlich nicht stoppen, aber so viele gibt es davon nicht.
Gehst du wählen?
Wählen halte ich für unwichtig. Am Ende kommt sowieso ein mieser Typ an die Macht. Außerdem bin ich immer noch Brite, kein US-Bürger. Die geben mir die Staatsbürgerschaft nicht, weil ich zweimal mit Drogen erwischt wurde. Ich bekomme immer nur eine Arbeitserlaubnis für ein Jahr. Die wissen gar nicht, dass ich dort lebe und nicht mehr weggehe. Offensichtlich breche ich schon das Gesetz, nur indem ich dort lebe. (Lacht)
Bist du eigentlich zufrieden mit dem Status, den Motörhead heute haben?
Wir sind bei Festivals immer die größte Band unter den kleinen. Diese zweite Reihe ist der beste Platz. Wer ganz oben steht, muss am Ende vor lauter umherwehenden Pappbechern spielen, während die Leute schon nach Hause gehen. Wenn wir auftreten, sind noch viele Chicks da, das ist cool. Zu viel Erfolg macht Bands kaputt. Purer Wahnsinn.
Im Herbst gibt es wieder das Motörboat, eine Kreuzfahrt, bei der diverse Metal-Bands auftreten. Passt das zusammen?
Warum nicht? Wir machen das jetzt jedes Jahr, mir bringt’s Spaß. Ich bekomme die Eigentümerkabine. Diesmal wird es noch lustiger werden, weil Slayer unsere Vorgruppe geben müssen. Das kotzt die bestimmt an!
Warum spielen Motörhead eigentlich immer mit Metal-Bands zusammen, obwohl …
(Unterbricht:) Frag mich nicht! Ich sage ja ständig: Wir machen Rock’n’Roll, keinen Heavy Metal. Aber weil wir lange Haare haben, enden wir immer bei diesen Bands, die gar nichts mit uns zu tun haben.
Besser passt, dass Brian May auf dem neuen Song „The Devil“ Gitarre spielt. Wie kam es dazu?
Er ist mit uns befreundet. Bei unserem 25. Jubiläum kam er in Brixton auf die Bühne und spielte „Overkill“ mit uns. Mit Queen steht er ja eher stoisch herum – und dann kam dieser Typ mit seiner Gitarre zu uns und warf sich auf die Knie und flippte völlig aus. Er hatte offensichtlich jahrelang darauf gewartet.
Wie gehst du mit Heldenverehrung um? Es gibt ja nicht wenige Motörhead-Fans, die dich vergöttern.
Ach, das darf man nicht überschätzen. Man ist jung, man liebt eine Band – jeder kennt das, auch wenn’s bei manchen halt die fucking Pixies sind. Jeder fixiert sich auf eine Band, und dann will man seine Helden natürlich auch treffen. Wenn ich zum Rainbow gehe, begegne ich oft Touristen, die in ihren zwei Wochen Urlaub so viele Prominente wie möglich sehen wollen. Das ist schon okay, ich würde nie jemanden wegschicken. Für mich ist es vielleicht nur ein weiteres Autogramm, aber für die Leute ist es vielleicht wirklich wichtig. Man will den Leuten ja auch vermitteln, dass manche von uns keine Arschlöcher sind.
Der Lemmy, den man durch sein Auftreten, seine Musik und die Autobiografie kennt – ist das der wahre Lemmy?
Wie ich gesehen werde, hängt ja immer von dem ab, der mich anschaut. Manche verstehen mich, andere – ein Beispiel: Ich bekam mal einen Brief von einem Typ aus Kansas oder einem anderen verdammten Ort, der mir schrieb, er habe all meine Alben gehört und festgestellt, dass ich ein White-Power-Typ wäre. I beg your pardon? Ich lebe mit einem schwarzen Mädchen zusammen. Was ist los mit dir, bist du irre? Die Leute sehen, was sie sehen wollen. Mir egal, Verrückte gibt es überall.
Weil früher alles besser war
Er klingt jetzt bärbeißig, aber auf seine Karriere ist Lemmy durchaus stolz. Auf das erste Mal, als Motörhead im Marquee spielten. Das erste Mal, dass es ausverkauft war. Er erinnert sich an den ersten Ausflug nach Amerika und daran, wie aufregend das war. „Es gibt so viele Momente. Und so vieles, was man noch nicht erreicht hat. Also: weitermachen“, schnaubt er. „Ich würde gern in Indien, China und Afrika spielen. Aber wir werden da nicht gebucht. Wir sind zu gewalttätig für diese Länder.“ Da fällt ihm das Fußballstadion in Chile ein, in dem die Zuschauer bei einem Motörhead-Konzert völlig durchdrehten. Sie zündeten Feuer an, sie richteten Chaos an, es war ein Fest. „So wie früher“, sagt Lemmy grinsend. Woran liegt es eigentlich, dass besonders Menschen, die Rockmusik lieben, oft behaupten, dass früher alles besser war? Mit versteinertem Gesichtsausdruck antwortet Lemmy: „Ganz einfach: weil früher alles besser war.“ Und jetzt geht’s los: die
Abrechnung mit der Moderne.
Dir fehlt heute die Begeisterung bei Konzerten?
Na ja, Deutschland ist immer noch gut, aber Frankreich ist schon den Bach runtergegangen. Und Großbritannien? Die glotzen doch nur auf Lady Gaga. Wollt ihr mich verarschen? Die ist ein schlechter Witz.
Jack White hat schon keine Lust mehr aufzutreten, weil alle nur ihre Smartphones hochhalten und deshalb nicht mehr klatschen können.
Das Internet wird uns noch alle umbringen. Wenn es mal jemand schafft, das amerikanische Verteidigungssystem zu knacken, dann sind wir alle tot. Es gab ja schon genug Versuche. Am besten wäre es, die Zeit zurückzudrehen. Als die Beatles damals in der „Ed Sullivan Show“ auftraten, sank die Kriminalitätsrate in New York um 30 Prozent. Sogar die Kriminellen blieben zu Hause, um sich die Beatles anzuschauen!
Was ist falsch gelaufen in der Rockmusik?
Die größte Bedrohung für Rockmusik ist Rapmusik – wenn man es als Musik bezeichnen möchte, dass jemand zu einem geklauten Drumloop spricht. Klar, Eminem kann Texte schreiben, davon wird das Backing allerdings auch nicht besser. Aber offensichtlich mögen Mädchen HipHop, macht sie wohl scharf. Kim What’s-Her-Name, die für ihren großen Arsch berühmt ist, hat einen Rapper geheiratet, und ihre Schwester auch.
Bisher hast du noch alles unbeeindruckt überlebt. Punk, Hair-Metal, Grunge kamen und gingen, und Lemmy blieb immer Lemmy.
Das ist mein Prinzip: Niemals einem Trend folgen, keinen imitieren. An das glauben, was man macht – sonst ist man eine Hure, nichts anderes.
Aber bestimmt gab es Versuche von Plattenfirmen, dich etwas einzunorden?
Das ging sofort los, mit dem ersten Vertrag. Einer wollte einen Friseur-termin für uns vereinbaren, zum Haareschneiden. Danach war mir klar: Wer nicht nach unseren Regeln spielt, kann gleich abhauen. I don’t care, fuck them.
Eine gesunde Einstellung, aber kommt man damit heute noch durch?
Wir schon, wir verkaufen immer noch Alben. Aber mir ist es eigentlich wurscht, ob die Leute Platten kaufen, runterladen oder klauen. Wir sind ja sowieso schon dafür bezahlt worden. Ich spiele nicht für meine Zeitgenossen oder für andere Bands, ich spiele für mich selbst. Alle anderen sind mir egal. Solange wir Alben verkaufen, mache ich weiter. Wenn nicht, höre ich auf. Klingt logisch, oder? Ich habe ja sowieso nicht mehr so lange, ich werde dieses Jahr 70.
„I know myself like no one else/ Nothing to defend“, singt Lemmy in „Till The End“, der neuen, sehr anrührenden Ballade. Es ist eine Hymne auf die Freundschaft. Die Motörhead-Crew ist „seit 20 Jahren sehr stabil“, so Lemmy, von dem einen oder anderen Todesfall abgesehen. Auch wer anderswo mehr Geld verdienen könnte, bleibt lieber bei ihm. Loyalität ist Lemmy wichtig – vielleicht gerade weil er zwar zwei Söhne hat, aber mit dem Konzept der konventionellen Familie nie viel anfangen konnte. Motörhead ist sein Leben, die Crew sein Bezugssystem. Auch weil sie sich natürlich (nicht nur finanziell) auf ihn verlassen, will er noch ein wenig durchhalten.
Lemmys Gesundheitsprobleme sind gut dokumentiert. Vor 15 Jahren wurde Diabetes bei ihm diagnostiziert, er machte erst mal weiter wie bisher. 2013 bekam er Herzprobleme, ihm wurde ein Defibrillator implantiert. Er wollte schnell wieder auf die Bühne. Beim Wacken-Open-Air musste er den Auftritt abbrechen, einige weitere Konzerte absagen. Das gefiel ihm gar nicht, Schwäche passte nicht zu seinem Selbstbild. Seitdem gibt er besser auf seine Gesundheit acht – in einem angemessenen Rahmen.
Man will ihn jetzt ja nicht so direkt fragen, wie es um ihn steht, aber nach ein bisschen Herumgestotter meinerseits hat Lemmy offensichtlich Mitleid, lächelt milde und sagt entwaffnend ehrlich: „Honey, you don’t get better from 70.“ Er hat sich daran gewöhnt, im Sitzen aufzunehmen, weil sich seine Beine durch den Diabetes häufiger taub anfühlen, aber: Bitte keine Mitleidsbekundungen! „Ich kann noch stehen, wir geben ja immer noch Konzerte, aber im Studio, wenn man den gleichen Scheiß zehnmal spielen muss, ist es einfach bequemer zu sitzen.“ Er raucht angeblich nur noch eine Schachtel Zigaretten pro Woche, wobei die Hälfte dieser Ration nach dem heutigen Interviewtag dann schon aufgebraucht wäre. Zwei Jahre lang hatte er sogar komplett aufgehört (keine Hypnose, Ersatzprodukte oder ähnliches – „Willenskraft!“), doch in Gesellschaft raucht er einfach gern: „Ist so ein soziales Ding. Wie trinken. Tomatensaft macht einfach keinen Spaß.“
Am 24.12. wird Lemmy Kilmister 70 Jahre alt. Bisher ist er vor Geburtstag und Weihnachten immer nach Las Vegas geflüchtet – „so kann man mich nicht mit Überraschungspartys quälen“. Als er 40 wurde, hat er mit dem Zählen aufgehört. Die 70 behagt ihm nicht, er denkt lieber nicht zu viel darüber nach, sonst wird er noch „scheißkrank“. Dass er schon scheißkrank war, verdrängt Lemmy. Stattdessen denkt er jetzt an Phil Taylor, Spitzname „Philthy Animal“, der von 1975 bis 1992 bei Motörhead trommelte und nach einem Hirnaneurysma nicht mehr derselbe ist. „Er ist jetzt sehr langsam, und Phil war nie langsam. Er war mir immer einen Schritt voraus. Jetzt redet man mit ihm wie mit einem alten Mann. Wie mit einem, der nur eine Phil-Taylor-Maske aufhat. A shame. Shame about Würzel, too. But what can you do? So viele sind inzwischen tot.“
Ex-Motörhead-Gitarrist Michael „Würzel“ Burston starb 2011 an einer Herzerkrankung. Lemmy fasst zusammen: „Die erste Rock’n’Roll-Generation ist tot, bis auf Jerry Lee Lewis und Chuck Berry. Mick Jagger ist jetzt 72, er springt immer noch herum, immerhin. Und Keith Richards – na ja, auf Fotos sieht er frisch aus, aber ich möchte nicht die Knoten hinter seinen Ohren sehen! Keith war unser Elvis – mit seinen Koteletten und seiner Besonderheit: Er lächelte nie. Heute kann man den Fucker nicht mal mit der Brech-stange am Grinsen hindern.“
Die Stones sind wie Motörhead immer noch unterwegs. Graut dir nicht manchmal davor, wieder auf Tournee zu gehen? Wird es dir nie zu anstrengend?
Noch nicht. Noch freue ich mich aufs Touren. Im vergangenen Jahr war es schon hart, da habe ich kaum ein ganzes Set durchgehalten, aber jetzt ist es wieder besser. Ich fühle mich fit genug.
Leonard Cohen gibt mit 80 noch Konzerte, das geht also.
(Lacht gallig auf) Diese Musik kann man auch flach auf dem Rücken liegend machen! Aber er hat Schlag bei den Frauen, das muss ich ihm zugestehen.
Vergisst du manchmal Songtexte?
Ich singe bei den neueren Stücken manchmal dreimal die gleiche Strophe, weil ich mich nicht erinnern kann. Aber bei der Lautstärke hört man den Text ja sowieso nicht, insofern ist das egal.
Aufhören ist also immer noch keine Alternative.
Was würde ich machen, wenn ich aufhören würde: zu Hause sitzen, bored shitless? Keine attraktive Alternative. Ich mag, was ich mache. Paul Di’Anno (der Iron-Maiden-Sänger vor Bruce Dickinson) singt jetzt in einem Rollstuhl – so weit würde ich nicht gehen. Aber solange ich kann, mache ich es. Ich reise gern. Phil mag’s nicht mehr so, aber ich habe nie das Interesse daran verloren. Die anderen haben auch Familien und Kinder, die sie aufwachsen sehen wollen, was verständlich ist. Aber vier, fünf Monate im Jahr unterwegs sein – das ist doch nicht so schlimm. So schnell wachsen die auch nicht!
Tourneen sind ja keine normalen Reisen. Siehst du überhaupt etwas von all den Städten, die du besuchst?
Manchmal ist es schon schwierig. Wenn man auf Tour ist, schaut jeder nach einem. Die Motörhead-Fans wissen immer, wo man ist und wo man hinwill. Am Konzerttag kann man kaum ungestört sein.
Verkleiden wäre keine Lösung? Ein Baseball-Cap oder so?
Ich kann mich doch nicht wie ein Idiot verkleiden, so verzweifelt bin ich nicht. Und mein Gesicht verrät mich sowieso.
(Birgit Fuß, ROLLING STONE 09/2015)