Lemmy Kilmister: Die letzten Tage im Leben des Motörhead-Sängers
Lemmy Kilmister war ein absolutes Original und wird schmerzlich vermisst.
Als Lemmy Kilmister starb, begann eine neue Zeitrechnung. Es gab die Jahre vor seinem Tod, in denen man sich gar nicht vorstellen konnte, dass er jemals nicht mehr da sein würde. Er war viel zu zäh, viel zu besonders. Der Vergleich mit der Kakerlake, die trotz Unmengen an Gift nicht totzukriegen ist, lag berechtigterweise auf der Hand. Seit dem 28. Dezember 2015 ist es die Zeit nach Lemmy. Der Umbruch gab die Gelegenheit, einen Blick auf Rock-’n‘-Roll-Klischees zu werfen, für deren Entstehen Lemmy zu einem beträchtlichen Teil gesorgt hatte. Im gleichen Moment war er das genaue Gegenteil dieser Klischees. Ein Paradoxon? Nicht wirklich. Die Trennlinie ist schmal, doch sie existiert. Sie ist dafür verantwortlich, dass Lemmy schon zu Lebzeiten zu einer Legende wurde.
Lemmy und die Widersprüche
Life fast, die young ist das erste Klischee, dass Lemmy widerlegte. Schnell lebte er, keine Frage. Der Exzess, der Alkohol, die Zigaretten und all die anderen Substanzen sind untrennbar mit Lemmy Kilmister verbunden, doch sie führten nicht zu frühen Schlagzeilen à la: „Rockstar stirbt jung an Überdosis“. Natürlich kann es nicht darüber hinwegtäuschen, dass Lemmy stark mit den Folgen seines Lebensstils zu kämpfen hatte. 2015 mussten mehrere Auftritte von Motörhead abgesagt werden, weil Lemmy über Atemprobleme klagte. Er litt zudem an Diabetes und musste 2013 wegen eines Hämatoms behandelt werden. Immerhin hatte Lemmy kurz vorher gegenüber dem britischen Guardian mitgeteilt, seinen Zigarettenkonsum auf eine Schachtel pro Woche zurückgefahren und Whiskey-Cola durch Wodka-Orange ersetz zu haben.
Gegenüber seinen Bandmitgliedern von Motörhead zeigte er dagegen widersprüchliche Züge was den Konsum von Drogen betraf. In einem Interview mit Loudwire erzählte Mikkey Dee nun von Lemmys strenger Regel. Aufgrund von gesundheitlichen Problemen hörte Lemmy Kilmister im Jahr 2013 damit auf, Drogen zu nehmen. Doch seinen Bandkollegen wurde gar nicht erst erlaubt, damit anzufangen: „Lemmy sagte zu mir: ‚Der Tag, an dem du Drogen nimmst, wirst du verdammt noch mal gefeuert.‘ Ich habe nie mit Drogen experimentiert. Ich trinke mein Bier, aber Lemmy stellte sicher, dass ich niemals Drogen nahm. Hätte ich das getan, wäre ich nicht mehr in der Band gewesen“, so Mikkey Dee.
Von Anfang an ein Außenseiter
Ian Fraser „Lemmy“ Kilmister wurde am 24. Dezember 1945 im englischen Stoke-on-Trent geboren. Sein Vater war Feldkaplan in der britischen Armee, seine Mutter eine Bibliothekarin. Nur wenige Monate nach Lemmys Geburts verließ sein Vater die Familie. Im Alter von zehn Jahren zog er mit seiner Mutter und ihrem neuen Ehemann nach Wales, was ihn als einzigen Engländer unter seinen walisischen Schulkameraden zum Außenseiter machte. Aus einer anthropologischen Perspektive sei es interessant gewesen, sagte Lemmy später, doch leicht war es keinesfalls. Mit fünfzehn wurde er ohne Abschluss der Schule verwiesen. Er schlug sich in den folgenden Jahren mit Gelegenheitsjobs durch.
Über den Umweg Manchester ergatterte er in London unter anderem einen Job als Roadie bei der Jimi Hendrix Experience. Seine Liebe zum Rock ’n‘ Roll hatte Lemmy früh entdeckt. 1957 bekam er seine erste Gitarre, um sein damaliges Ziel zu verfolgen – die Mädchen in der Schule beeindrucken. Überhaupt pflegte Lemmy Kilmister ein besonderes Verhältnis zum weiblichen Geschlecht. Eigenen Aussagen zur Folge habe er mit über tausend Frauen geschlafen, stets von einer Sehnsucht getrieben, die er wohl nie wirklich befriedigen konnte. Ein Grund dafür mag im Tod seiner großen Jugendliebe Susann Bennett liegen. Mit neunzehn setzte sie sich eine Überdosis Heroin, was auch Lemmy Kilmisters Haltung zu der Droge maßgeblich prägte. Kein einziges Mal habe er Heroin genommen oder irgendetwas anderes gespritzt, obwohl er abseits dessen jede erdenkliche Droge probiert habe. All die Jahre kritisierte er die britische Regierung, in der Kontrolle von Heroin versagt zu haben. Manche werden ihm deswegen ein Schwarz-Weiß-Denken vorwerfen.
Hawkwind und Motörhead
Sein Faible für Amphetamine und LSD entwickelte er während der Zeit, in der er in der Space-Rock-Band Hawkwind Bass spielte. Eigentlich hatte er darauf gehofft, Gitarrist der Gruppe werden zu können, doch er ließ sich umstimmen. Lemmys charakteristisches Bass-Spiel war zeitlebens auf seinen Hintergrund als Gitarrist zurückzuführen. Er spielt Akkorde, keine einzelnen Töne, und schlug die Saiten mit der rechten Hand fortwährend wie ein Gitarrist an. Zwischen 1971 und 1975 feierte er einige Achtungserfolge mit Hawkwind, doch die gemeinsame Zeit endete schnell. Auf einer Tour in Kanada wurde er an der Grenze mit Amphetaminen erwischt, für ein paar Tage in den Knast gesteckt und als Konsequenz von Hawkwind gefeuert.
Kurz darauf gründete er Motörhead, benannt nach dem letzten Song, den er für Hawkwind geschrieben hatte. Die 40-jährige Geschichte von Motörhead war von einer erstaunlichen Konsequenz geprägt. In „Thunder & Lightning“, singt Lemmy davon: „I always wanted the noise and the light …/ I always wanted the dangerous life“, raunzt er, und: „I never wanted to be nowhere else.“ „Schnell und fies“ wollte er klingen, deshalb gelten Motörhead als Heavy-Metal-Pioniere, auch wenn sie mit dem Genre nie etwas zu tun haben wollten. Ihr Hardrock war vielmehr vom Punk beeinflusst – und von Lemmys frühen Helden, den Rock-’n‘-Rollern der 50er-Jahre. Ihr Über-Hit bleibt „Ace Of Spades“ von 1980, das Lemmy nicht für seinen größten Song hält („Broken“ mag er lieber), das aber seine Live-fast-Einstellung so knapp wie genau zusammenfasst: „You know I’m born to lose and gambling’s for fools/ But that’s the way I like it, baby/ I don’t wanna live forever.“
Die letzten Tage von Lemmy Kilmister
Über Nachrufe sagte er einmal, es störe ihn, dass dann plötzlich jeder glorifiziert wird: „Ein Arschloch bleibt ein Arschloch, auch wenn es tot ist. Dann ist es eben ein totes Arschloch.“ Lemmy war kein Arschloch, er war ein aufrichtiger, wild entschlossener Mann, der sich niemals verbiegen ließ. Das wird ja gern gesagt, aber bei Lemmy stimmte es tatsächlich. Im Interview mit ROLLING-STONE-Redakteurin Birgitt Fuss sagte er im Sommer vor seinem Tod: „Wenn ich morgen sterbe, kann ich mich nicht beschweren. Es war ein gutes Leben.“
Lemmy Kilmister starb im Alter von siebzig Jahren, nur zwei Tage, nachdem er von seinen Ärzten die Diagnose erhalten hatte, an einem aggressiven und unheilbaren Prostatakrebs erkrankt zu sein. Herzinsuffizienz und Herzrhythmusstörungen wurden ebenfalls als Todesursache bestimmt. Wie Motörhead auf ihrer Facebook-Seite mitteilten, verstarb ihr Frontmann im Kreise seiner Liebsten während er noch einige Runden auf einer Spielkonsole zockte. Dabei nutzte er sein Lieblingsgerät – ein JVL iTouch -, das er von seiner Stammkneipe „The Rainbow“ geschenkt bekam. Kilmister galt als leidenschaftlicher Spieler, der auch auf Tour keine Gelegenheit verstreichen ließ, sich in Bars vor Spielautomaten zu setzen.
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Abschied von seinem Freund Ozzy
Ozzy Osbourne sprach in den darauffolgenden Tagen über die letzten Momente, die er gerne mit Lemmy Kilmister an dessen Sterbebett verbracht hätte. Und die, die er tatsächlich mit dem Motörhead-Boss verbringen konnte – wenn auch nur am Telefon. Osbourne sprach an Lemmy an, auch wenn der selbst nicht mehr fähig war, Wörter zu artikulieren. „Ich rief ihn an dem Tag an, an dem er später sterben würde“, erinnerte sich der Sänger. „Ich wusste, er würde von uns gehen. Er hat meine Stimme jedoch nicht wiedererkannt.“ Doch Osbourne blieb hartnäckig. „Ich sagte zu ihm: ‚Ich bin’s, Lem, Ozzy‘.“
Allerdings habe Kilmister nur noch eine Art Gurgeln hervorbringen können. Das habe für Ozzy den Ausschlag gegeben zu handeln. „Zum Teufel, Lemmy, ich fahre jetzt los!“ Ozzy habe seine Ehefrau für die Fahrt einspannen wollen. „Ich sagte, los, Sharon, ab ins Auto. Wir rasen zu seiner Wohnung. Als wir aufbrachen, hielt sie mich fest. ‚Er ist schon verstorben‘.“ Osbourne weiter: „Oh Mein Gott. Das hat mich extrem stark getroffen.“
Gedenken aus der Musikwelt an Lemmy Kilmister
Zahlreiche weitere Musiker zeigten sich bestürzt über den Tod von Lemmy. Radio-DJ Eddie Trunk war einer der ersten, der die Nachricht verbreitete. Nur wenig später folgten Lemmys enge Freunde Sharon und Ozzy Osbourne.
Besondere Worte fand Josh Homme, Frontmann der Queens Of The Stone Age: „Eigentlich bin ich angepisst, weil Lemmy tot ist. Das ist beschissen. Einer der letzten WIRKLICHEN Rock’n’Roll ‚motherfuckers’ ist gegangen und ich vermisse ihn“, schrieb Homme in seiner Botschaft. Der Sänger war aber vor allem beeindruckt davon, wie ehrlich und wahrhaftig Lemmy Kilmister die Rock-Welt gelebt hat. „Er war ohne Frage ehrlich. Er wusste, dass es einfach keinen anderen Weg gibt … Einzigartig, mit spitzer Zunge … mit Stil, witzig, geradeheraus und ein ‚badass’–Bandleader“, so Homme.
Mehr als 300.000 Menschen sahen in seinem Heimatland Großbritannien via Stream, wie Lemmy Kilmister in Los Angeles beerdigt wurde. Unter den Gästen waren u.a. Lemmys Sohn Paul, Slash, Rob Halford und Dave Grohl, der in einer Trauerrede noch einmal würdigte, was für ein liebenswerter Mensch der Sänger war.