Leinwand

Die Frage, was ein guter Film ist und was nicht, wurde schon immer gestellt. Aber nie wurde darüber so vehement und vergeblich gestritten wie im Zeitalter der Massenmedien und des Marketing. Hollywoods Allzweckwaffe dabei sind „romantic comedies“, und in John Waters Cecil B. Demented (Start 26.10.) gilt die alternde Zicke Honey Whitlock (Melanie Griffith) als Star dieser seichten Spielart. Sie wird von Aktivisten entführt, die sich „Die Perforationslöcher“ nennen. Ihr Anführer (Stephen Dorff) heißt Cecil B. DeMented – nach Cecil B. DeMille, dem genialen und größenwahnsinnigen Sklaventreiber des frühen Hollywoods. Die Cineasten-Terroristen wollen die Symbolfigur schlechter Filme zur Bannerträgerin eines wahren Kinos umerziehen. Dessen Heilige haben sie sich auf die Arme tätowieren lassen, als seien sie bereit, für sie zu sterben: Preminger, Almodovar, Anger, Peckinpah, Fassbinder… Mit Kamera, Mikrofon und einer zum Punk stiliserten Honey überfallen sie Kinos, wo unter dem Motto „Movies in the Mall“ pervertiertes Zeugs und opiales Zelluloid wie „Vertigo – The Remake“ oder „Patch Addams – The Director’s Cut“ laufen, oder sabotieren die Dreharbeiten zu „Gump Again“. Sympathisanten finden sie unter Freaks von Karatestreifen und in Pornokinos („An all anal evening“). Mein Gott, ja: Mainstreamkino ist verlogen und verhurt, es geht um Kohle, nicht um Kunst blabla. Doch Waters sollte in seiner Nische bleiben, bei seinen schrillen Milieugestalten und anderen Spinnern, statt über die unabänderliche Oberflächlichkeit der Welt zu zetern. Zumal der angestrengte Aktionismus seines anarchischen Amoklaufs so wohlfeil und harmlos ist wie seine Titel „Kult-Regisseur“ oder „Trash-Papst“. Und doch ist man am Ende irgendwie gerührt -denn Kino ist wahrlich nur eine Frage bedingungsloser Leidenschaft und Aufopferung.

An Radikalität und Realismus ist Baise-Moi (Start 16.11.) kaum zu überbieten. Was sich mit „Fick mich“ übersetzen lässt und auch eindeutig beantwortet wird, wurde in Frankreich indiziert. Doch nicht das Politikum ist die Tragödie, sondern die nackte Verzweiflung von zwei Frauen zwischen Drogen, Vergewaltigung und Demütigungen, die sich in einer Racheodyssee gegen den Chauvinismus auch dem Schrecken entgegenstürzen. Von den Pornodarstellerinnen Raffaella Anderson und Karen Bach gespielt und gedreht von Virginie Despentes, ist schon der Titel ein Schlag ins Gesicht, ein Schrei aus Selbstekel und Abscheu.

Die Realitäten der gutmütigen Kellnerin Betty (Renee Zellweger) verschieben sich, als sie den brutalen Mord an ihren miesen Ehemann mitansieht. Weil sie bereits vor ihrem tristen Alltag in die Welt der Ärzte-Soap „A Reason For Love“ geflüchtet ist, glaubt sie nun, sie sei mit der Hauptfigur Dr. Ravell verlobt und reist als Nurse Betty (Start 26.10.) nach L.A., wo sie natürlich nur auf den Schauspieler trifft. Neil LaBute ist mit unprätentiösem Kitsch eine zauberhafte Komödie gelungen, die fürs Selbstwertgefühl plädiert und die Magie der Einbildungskraft feiert. Auch der junge Curtis Hanson enttäuscht nach seinem Film noir-Meisterstreich „LA. Confidential“ nicht. Die Wonder-Boys (Start 2.11.) ist eine beseelte, sensible, scharfsinnige, witzige Midlifecrisis-Komödie. Michael Douglas spielt als Autor mit Schreibblockade, geflüchteter Ehefrau und schwangeren Geliebten einen Mann, der sein angeschlagenes Ego mal nicht karthartisch mit Gewalt stärkt, sondern sich von einem Studenten zu seinen früheren Idealen neu inspirieren lässt.

Mit Einfühlungsvermögen und Originalität verblüfft endlich mal wieder auch der deutsche Film. Debütantin Vanessa Jopp erzählt mit Vergiss Amerika (Start 9.11.) von Sehnsucht und Stagnation in der ostdeutschen Provinz. Drei Freunde (Roman Knizka, Marek Harloff, Franziska Petri) scheitern an ihren Träumen und in der Liebe. Soviel Leidenschaft und Nähe zum Leben, Klarheit und dennoch Poesie ist selten. Der Hit des Herbstes aber müsste Kanak Attack (Start 16.11.) von Lars Becker nach dem Roman Feridun Zaimoglus werden. Die authentische junge Lebensgeschichte eines türkischstämmigen Kieler Jungen, der fixt und dealt, stieht und prügelt, huldigt erzählerisch und visuell Godards „Die Außenseiterbande“, erinnert auch an „Trainspotting“ und „Pulp Fiction“. Doch die furiose, wortgewaltige Groteske handelt auch von Freundschaft und verhandelt die Situation, Sozialisation und das Selbstverständnis junger deutscher Türken, die sich stolz „Kanaken“ nennen. Dagegen kommt D. W. Bucks (wie er sich jetzt nennt) Liebesluder (Start 2.11.)fast schon als behäbiger Klassiker der 50er Jahre daher. Ein blondes Mädel (Mavie Hörbiger) stöckelt durch die Dorfstraßen und verdreht den Männern die Köpfe. Eine herrlich lakonische, schwarze Komödie, in der Anke Engelke als schusselige Gattin reüssiert.

Ein routinierter, ja altmodisch inszenierter Actionfilm ist Space Cowboys (Start 2.11.) – und Clint Eastwood macht sich einen unschlagbaren Spaß daraus, wie vier pensionierte Piloten es bei einem Notfall den Sprößlingen der NASA zeigen. Diese Garde der Lässigkeit besteht aus Eastwood, James Garner, Donald Sutherland und Tommy Lee Jones. Noch Fragen?

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