LEINMWAND Neu im Kino

Nach dem Tod von Francesca Johnson bleibt das einzige Geheimnis ihres Lebens in einer Truhe neben dem Ehebett zurüde Ihr Testament ist eine Beichte. Ihr Leben, schreibt sie an ihre Kinder Michael (Victor Slezak) und Carolyn (Annie Corley), mittlerweile selbst Eheleute und Eltern, sei nie das gewesen, was sie sich als Mädchen erträumt habe. for Jahren jedoch geschah ihr ein Mann, ein verbotenes Glück, eine lustvolle Liaison, die Liebe ihres Lebens. Vier Tage und Nächte. Unverhofft der Beginn, unerfüllt das Ende. Geschockt öffnen die Geschwister jene Truhe. Darin liegen drei Tagebücher, zwei Nikon-Kameras, ein silberner Armreif, eine Kette mit einem Kruzifix, zwei Fotobände, eines mit dem Titel „The Bridges Of Madison County“. Im Buch ist ein Foto des Autors abgedruckt. Er sieht aus wie Clint Eastwood.

Als Roman war „The Bridges Of Madison County“ 1992 ein Bestseller. In seiner selbstgefälligen Schnulze schreibt der 52jährige Schriftsteller und Fotograf Robert James Waller über den 52jährigen Schriftsteller und Fotografen Robert Kincaid, der in der Provinz Madison County, Iowa, eine frustrierte Farmersfrau beglückt und damit selbst unglücklich wird. Eastwood hat nun den Film dazu gedreht, und er gibt dessem Alter ego sein Gesicht, was Waller schmeicheln sollte. Eastwood sah immer aus, wie Waller sich im Buch sein Spiegelbild andichtet, „hochgewachsen, mit einem sehnigen Körpet, straffen Hintern und Bauchmuskeln wie eine Messerschneide, als der letzte Cowboy, der sich bewegt wie das Gras, gelassen, würdevoll“. Allein Eastwood schien denkbar, Wallers aus Eitelkeit und Eigensinn angelegte Rolle auszufüllen. Ebenso erschien es unfaßbar, die Ikone des wortkargen Wanderers würde sich mit Namen vorstellen und mit einer Hausfrau seßhaft werden wollen.

Dieser Schmalz vom unnahbaren Naturburschen und Nihilisten war auch in Eastwoods Fümographie nur durch die Lakonie erträglich, mit der Regisseure wie Sergio Leone und Don Siegel den Schauspieler zum Superstar inszenierten. Die Rigorosität seiner Figuren kokettierte mit latenter Selbstironie, die Eastwood ab Regisseur in seinen Rollen offen ausspielt und damit die Erwartungen der Kinozuschauer und Kritiker aushebelt. Die Firma, mit der er stets seine Filme produziert, heißt Malpaso – übersetzt Fehltritt. Zuletzt floppte „Perfect World“, ein unterschätztes Werk. Konsequent demontiert Eastwood seinen Mythos als Kopfgeldjäger für eine Handvoll Dollar und Macho mit 44er Magnuoi – und zementiert ihn damit zugleich. Unbeirrbar, unbequem, unberechenbar, eben auch alles Eigenschaften seiner Charaktere im Film. Keinem ist der Spagat von Selbstdistanz und Selbststilisierung derart imposant gelungen. „Erbarmungslos“, ein Abgesang auf sein Killer-Image, den Western und Legenden an sich, wurde mit dem Gewinn des Oscars selbst zur Legende. Der letzte Unbeugsame.

Auch ein Melodram wird dieses Monument nicht erschüttern. „Die Brücken am Fluß“ ist ein Melodram von einer Tränengüte wie Jenseits von Afrika“ oder „Herr der Gezeiten“. Melodramen verheißen Oscar-Siege, wie bei dem unerbitterlichen Rührstück „Love Story“, denn von allen Sentimentalisten sind die Juroren der Academy die größten. Dieses Genre schmerzt jeden im Herzen oder Magen. „Entweder heult man, oder man kotzt“, präzisierte die Essayistin Frieda Grafe einmal in einem Aufsatz über den Melodramatiker Douglas Sirk. Kürzlich wurde Eastwood in Hamburg mit dem neuen Dougtas-Sirk-Preis bedacht, für die Adaption eines Buches, das nicht wenige Kritiker zum Kotzen fanden, bei dem jedoch 5,6 Millionen Leser geheult haben. Und wie für alle Melodramen gilt auch hier der Titel des Klassikers von Leo McCaiey als Sinnbild: „An Aftair To Remember“.

Francesca Johnson (Meryl Streep) erinnert sich schon lange nicht mehr an etwas jenseits ihrer Routine als Mutter und Ehefrau. Sie kocht, deckt hastig den Mittagstisch, ruft ihre zwei Kinder und ihren Gatten Richard (Jim Haynie) herein. Francesca zuckt zusammen, als die Haustür knallt, dreimal, jedesmal erwartungsgemäß – und doch erschreckt es sie. Alles ist Ritual, sogar nebensächliche Vergeßlichkeiten und Ärgernisse. Töchter CarcJyn stellt stets einen anderen Radiosender ein, dem trägen Biedermann Richand öffnet Francesca mit einem einfühlsamen Kniff noch immer eine Schublade, die seh Jahren klemmt Die Kleinfamilie ißt und schweigt Francesca lächelt mit gequälter Güte, ihr Blick schweift ab, fixiert Sehnsucht Soviel leblose, bedauernswerte Harmonie war lange nicht mehr im Kino.

Streep, Eastwood: Naturbursche beglückt Hausfrau Diese schnöden Szenen einer Ehe sagen alles, was den Verlauf dieses Films erklärt, ermöglicht, gar herausfordert Mit scharfsichtiger Schlichtheit, manchmal allzu groben Hinweisen schafft der Regisseur Eastwood den Spielraum für den Schauspieler Eastwood und die Gestik der Aktrice Meryl Streep. Sie haßt Wallers schwülstige Sdhmonzette, vertraute aber Eastwood, als Bruce Beresförd („Miss Daisy und ihr Chauffeur“) die Regie niederlegte. Er hatte zeitweise Isabella Rossellini, Susan Sarandon und Jessica Lange für die Rolle gehandelt Mit Eastwood und Streep korrespondieren nun zwei Mimen, die sich trotz verschiedener Methodik auf die nonverbale Diktion verstehen. Streep spielt Francesca wie ein aufgescheuchtes Huhn, deren Augen ständig flackern, die niemals ihre Hände still hält, sie nervös am Blümchenkleid reibt, sich fahrig am Hals kratzt oder in ihren hochgesteckten Haaren fummelt, was ebenso nervig wie trefflich ist Das wirkt wie Gebärdensprache, und das ist gut, da Wallers drollige Dialoge schlimmer sind. Eastwood hat einen klassischen Schauspielerfilm als Stummfilm gedreht, der erst mit der Sprache zur befürchteten Soap-Opera wird.

Robert Kincaid stoppt im August 1965 an der Johnson-Farm, um sich nach dem Weg zur Roseman-Brücke zu erkundigen, die er für das National Geographie Magazine aufnehmen soll Francesca verhaspelt sich, Kincaid schmunzelt. Weil Mann und Kinder für vier Tage zu einem Zuchtwettbewerb gereist sind, begleitet sie den höflichen Fremden im Auto zur Brücke. Auf seine Plauderei reagiert sie verlegen. Nach der Rückkehr lädt sie ihn jedoch zu einem Eistee ein, dann bietet sie ihm sogar an, er könne doch zum Essen bleiben. Langsam wandelt sich die Küche, stets ein Gefängnis ihres einsamen Herzens, zum Kosmos ihrer Mädchenphantasien. Robert hilft ihr beim Kochen, die Tür knallt nicht, und als er sich an der Wasserpumpe erfrischt, beobachtet sie ihn irritiert vom Fenster aus. Sie erschrickt vor ihrem kecken Begehren, verabschiedet ihn schließlich, um noch am selben Abend eine Nachricht an die Holzbrücke zu pinnen. Das Leben ist ein langer ruhiger Fluß mit einigen Stromschnellen.

„Die Brücken am Fluß“ schwelgt in Sentiment Doch Eastwoods durchdringender, ironischer Blick prägt auch seinen redundanten Regie-StiL So gelingt es ihm oft, die Komödie hinter dem Kitsch vom Lebenshunger zu zeigen. Als Francesca am Telefon genervt mit einer Bekannten plappert, nestelt sie beiläufig an Roberts Hemdkragen, wie sie es sonst bei ihrem Mann tut Trotzdem stellt Eastwood seine pure, prüde Romanze nicht in Frage. Rührend tanzt er mit Streep zur Ballade „Blue Gardenia“ aus dem kleinen Küchenradio. Das Trauerfinale zerreißt einem das Herz. Robert fleht Francesca an, mit ihm zu gehen, doch sie mag sich von ihrer Pflicht als Mutter und Ehefrau nicht lösen. Später, an einem Regentag, fahrt sie mit Richard in die Stadt, wo sie Robert wiedersieht, der hemmungslos im Wagen heult Ihr Auto steht hinter ihm an der AmpeL Grünes Licht leuchtet auf. Robert fahrt nicht los. Schließlich brummt Richard: „Worauf wa

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