Legendärer Musik-Ort: Blue Shell in Köln wird 40
Ratinger Hof in Düsseldorf, Marktstube in Hamburg, Dschungel und Risiko in Berlin. Fast alle legendäre Orte der Punk- und New-Wave-Ära existieren nur noch in Legenden und Fotobänden. Kaum ein Club in der Popwelt, der Jahrzehnte übersteht. Das Blue Shell in Köln dagegen trotzt eisern allen Zähnen der Zeit.
Ältere Taxifahrer erinnern sich an die „Krawallbud“, mit dutzenden Polizeieinsätzen, als sich Teddyboys mit Rockern prügelten, Punks mit Teddyboys. Oder alle zusammen gegen die Skinheads. Es gab Existenzkrisen wegen Ordnungsamt, Polizei, Zwangsversteigerung oder rabiaten Anwohnern.
Zur Legendenbildung gehört, dass Frank Zappa 1980 nach seinem Kölner Konzert samt Band nicht eingelassen wurde. Begründung: „Zu voll!“. Das Musikmagazin Spex wurde hier erfunden, mit Redaktionssitzungen am Tresen oder Streiterei im Hinterzimmer. The Clash feierten 1982 weitgehend friedlich, nachdem sie zuvor ihre Hotelzimmer zerlegt hatten. Marc E. Smith mit The Fall war in den späten Achtzigern Stammgast. Blur spielten 1990 ihren ersten Deutschlandauftritt überhaupt.
In letzten Mai-Tagen beging man an der tosenden Luxemburger Straße mit Schmackes und Live-Gigs das 40. Jubiläum. Von der Großraumkneipe zum versatilen Musikclub unserer Tage.
40 Jahre Underground ohne zu vergreisen. Wie macht man das?
„Man muss erstens Glück haben mit dem Standort. Großstädte verändern sich ständig, heute noch schneller als früher; von wegen Gentrification, Besitzerwechsel, Abriss des Gebäudes. Zweitens geht es inhaltlich vor allem darum, konsequent neue Generationen aktiv in den Laden einzubinden. Sei es hinter dem Tresen, als DJ oder BookerIN“, sagt Blue-Shell-Chef Rolf Kistenich (58), der wie zum lebendigen Beweis seine musikalische aus Baden Württenberg stammende Fachkraft Christine (Ende 20) mitgebracht hat, die unter ihrem Alter Ego Blondrausch auch mal bei Rock am Ring hinter dem Mischpult steht.
„Ich habe im Blue Shell schon alles gemacht, was in der Gastro an Arbeiten anfällt“, erzählt sie. „Der Ort ist für mich cool; mit den ganzen Geschichten. Es zählt, was man heute daraus macht!“ Und das sind neben regionalen und internationalen Bands (immerhin etwa 300 pro Jahr) spezielle Sessions für allerlei Subkulturen Die gute, alte Nischennummer zwischen Schmalzlocken bis zum Gothic- und Wave-Spektrum. Einmal im Monat „Disorder“ für die Schwarze Szene. Oder „Neon Paradise“ oder „Lust For Life“. Das alles ohne übergeordnetes Konzept, sagt der Chef „Trotz der nahen Uni glücklicherweise kaum offensichtliche Studenten!“, ergänzt die DJ-Frau.
Viele spielten „aus Prinzip“ im Blue Shell
2002 philosophierte Joe Strummer zwei Wochen vor seinem überraschenden Tod mit Stammgästen über Punk, Beatles und Goethe. Die Black Crowes feierten ihre Album-Veröffentlichung. Bernd Begemann, Von Spar, Superpunk, Thees Uhlmann, Blurt oder Wire spielten „aus Prinzip“ im eher kleinen Blue Shell. Frühe Slam Poetry-Abende liefen als „Lesungen auf dem Billardtisch“. Der verstorbene DJ Rocco Klein feierte in der Hochzeit des Clipsenders VIVA mit Blumfeld, den Sternen, Tocotronic oder Kings Of Leon seine legendären Partys. Die Ärzte entspannten samt Crew vom Tourneestress einfach nur beim Billard. Slash und Duff McKagan von Guns n’ Roses wollten nach einigen Drinks ein paar Liedchen akustisch spielen. Vom Chef kam nur ein „Passt jetzt nicht“-Veto.
Zur 40er-Party platzte der blaue Schuppen aus allen Nähten. 560 Leute Durchlauf, alles komplett am Limit. Umarmungen, Schweiß, Tränen. Massenweise zwinkernde Smileys in den sozialen Kanälen. Live spielten Cat Lee King & His Cocks der coolste Geheimtip aus der Wave Minimal Synth-Szene: Position Parallèle aus Frankreich. „Das Blue Shell steht heute überall und irgendwo. Genau liebe ich am heutigen Blue Shell. Musikalisch können wir alles ausprobieren, natürlich nach unserem Stil und unseren Prinzipien!“ sagt DJ-Frau Blondrausch. „Das erforderte eine schleichende Häutung und letztlich der harte Schnitt zum Club. Heute machen wir rund 20 Konzerte pro Monat. Etwa 50 Prozent echter Nachwuchs auf Eintritt, dazu überregionales Booking, das immer mehr wird. Die reine Musikkneipe von früher ist damit allerdings gestorben. Wenn kein Konzert ist, halten wir einfach zu!“