Legendärer Konzertfilm: „The Cure In Orange“
The Cure, und das war in jedem Moment zu spüren, standen kurz vor dem internationalen Erfolg. Damals konnte natürlich keiner wissen, das ihr sechstes Album, „The Head On The Door“, fast die Mitte ihrer Karriere markieren würde. In einem Amphitheater in Südfrankreich gaben die Briten ein umjubeltes, gefilmtes Konzert
Der vielleicht schönste Moment findet nicht im, sondern nach dem Konzert statt: Zu den Playback-Klängen von „Sweet Talking Guy“, dem 1966er-Soulhit der Chiffons, tanzen die The Cure-Musiker noch einmal für ihre Fans, auf dem Balkon des römischen Amphitheaters Théâtre antique d’Orange, wo sie zwei Stunden lang im Rahmen ihrer „Beach Party “-Konzertreise gastierten. Die Fünf sind nur ganz klein zu sehen, in einer Totalen. Die Zuschauer jubeln ihnen zu, weit weg, von weit unten. Dann setzt der Abspann ein.
Hier wurde klar, dass The Cure längst Pop waren, auch wenn manche sie noch als „Gruftis“ bezeichneten. Die Chiffons-Power nahm den künftigen Kurs mit Motown-Rhythmus („Why Can’t I Be You?“) und Ibiza-Party („Hot Hot Hot!!!“) vorweg. Das Doppel-Album „Kiss Me Kiss Me Kiss Me“ stand da, es sollte im Mai 1987 erscheinen, bereits bevor. Und auch, wenn „The Cure In Orange“ seine Premiere vorher, im Februar des Jahres – also streng genommen noch in der „Head On The Door“-Periode – feierte, erwies sich dieses Timing als unglücklich. Die meisten Länder kamen erst ab dem Herbst in den Genuss des Konzertfilms. Da war „Kiss Me“ natürlich längst draußen. Und das hier dargebotene Set also veraltet.
Bei „Kiss Me Kiss Me Kiss Me“ stellte der Sänger wie gewohnt seine eindrucksvolle Frisur zur Schau, aber zu Beginn dieses Auftritts von 1986 wird Robert Smith, bevor er es von hinten auf die Bühne schafft, die Vogelnest-Perücke vom Kopf gerissen: darunter ein praktischer Popper-Schnitt. Und dann der Titel des Konzertfilms! „In Orange“: Das las niemand, als wäre es französisch. Das las jeder, als wäre es englisch. Und auch nicht als Ort, sondern als Farbe. Die Orange war Frucht, war Pop. An die französische Stadt dachte keiner, kannte auch kein Fan außerhalb Frankreichs, der Name stand eher für ein Band-Image.
Im Moshpit
Die südfranzösische Kleinstadt hat viele antike Stätten, für die sie berühmt ist, und rund zehn Jahre nach dem denkwürdigen Cure-Gig im Amphitheater würde Orange als erste Stadt in Frankreich, die einen Front-National-Politiker zum Bürgermeister wählt, dann traurige Berühmtheit erlangen. Aber die Jugend, die sich am 9. August vor 31 Jahren im kleinen Rund vor der Bühne und auf den Tribünen versammelte, sah toll aus, freiheitlich und wild. Regisseur Tim Pope vermied zwar Nahaufnahmen der Fans, aber zumindest der stete kleine Moshpit (bei Cure-Konzerten heute nahezu nicht vorhanden) nutzt jede Gelegenheit zur Rempelei: „Play For Today“, „Primary“, „Push“ …
Überhaupt, die Aufnahmen: Pope schien mit vier bis fünf Kamera-Einstellungen auszukommen, und es gibt wirklich lange Einstellungen der Band – was ein gutes Zeichen ist, da schnelle Schnitte Spielfehler kaschieren können. Aber Robert Smith und Kollegen waren eben eingespielt. The Cure absolvierten in jenem Jahr von April bis August 26 Konzerte und variierten ihre Setlist, was für sie ungewöhnlich war, kaum. Die Orientalik von „Piggy In The Mirror“ passte bestens ins Theater, und das trockene Schlagzeug von „One Hundred Years“, zum Glück meilenweit vom maschinellen Drum-Klang aus späteren Tourneen entfernt, schien geradezu vom kalten, nackten Stein der Stätte abzuprallen.
Cure: Und Robert Smith tanzte auch
The Cure, und das war in jedem Moment zu spüren, standen kurz vor dem Chart-Durchbruch. Damals konnte natürlich keiner wissen, das ihr sechstes Album, „The Head On The Door“, aus heutiger Sicht fast die Mitte ihrer Platten-Karriere markieren würde. Aber bis auf „The Lovecats“ waren unter den 23 Stücken alle ihre (heimlichen Hits) bis zu dieser Zeit versammelt, „Inbetween Days“, „Close To Me“, „Boys Don’t Cry“, „The Walk“ undundund.
Der damals 27-Jährige Smith fing an, sich auch ohne Gitarre immer wohler zu fühlen. Er tanzte. Cure waren eine Pop-Macht, und spätere Klassiker wie „Just Like Heaven“, „Lovesong“ oder „Friday I’m In Love“ existierten da vielleicht noch nicht mal auf dem Papier. Dieser Film bewies allen, die die Briten nicht live sehen konnten oder wollten, dass deren Konzept viel größer war als das, was viele vereinfacht als „Gothic“ kennzeichnen.
Eine Blu-ray oder DVD gibt es nicht, und wer ein VHS von „The Cure In Orange“ besitzt, darf sich über die irgendwann fehlende Übereinstimmung von Bild und Ton ärgern. Aber dass Robert Smiths Lippenbewegungen vorschießen, ist auch schön. Er schien mal für sich zu flüstern, mal in Zungen zu reden.