Legal Alien
Vor dreißig Jahren ,sang Ian Matthews mit Fairport Convention an der Wiege des britischen Folk Rock, dann machte er "Woodstock" zum Welthit, zelebrierte amerikanischen Countrj Rock auf höchstem Niveau und versuchte sich mit New Wave und New Ave. Jetzt hat er seinen Mittelpunkt gefunden: In der Abgeschiedenheit der texanischen Wahlheimat und in den Songs seiner aktuellen LP "Excerpts From Swine Lake"
Swine Lake ist ein Teich, eine bessere Pfütze, 30 Meilen außerhalb von Austin, Texas. Mitten auf die Wiese hat Iain Matthews sein Haus gepflanzt, nach allen Seiten nichts als Gegend. Die Pferde, sagt er, brauchen ihren Auslauf. Und der Esel. Und er selbst. Seit Jahren baut Matthews bereits an seinem Heim, mit zäher Geduld und tatkräftig unterstützt von seiner Frau Veronique, die beruflich Gäule pflegt und massiert, also zupacken kann. Trotzdem ist vieles noch im Rohbau, die Abwesenheit jeglicher Geländer gewiß eine Prüfung für höhenängstliche Gäste. Das Haus wäre längst fertig, gesteht der Wahltexaner aus Scunthorpe, Lincolnshire lächelnd, wenn er ein paar Handwerker hinzugezogen hätte, doch wäre es dann nicht mehr dasselbe. Selbst sei der Mann. Eine mittelalterliche Maxime und eine, die sich nicht so ohne weiteres auf Matthews‘ Musikschaffen übertragen läßt Am Vortag war einiges schiefgelaufen. Iain Matthews hatte sich auf seinen Auftritt im Saxon Pub gefreut, Teil eines Label-Showcase von Blue Rose Records. Ein gutes halbes Dutzend Acts hatten die rührigen deutschen Südstaatler aufgeboten. Prestige heischen, Profil zeigen, Eulen nach Athen, sapperlott! Ein gelungener Nachmittag mit einem ebenso unzweifelhaften wie kurzen Höhepunkt. Die Continental Drifters, deren neue Single eine respektvolle und mehr als respektierüche Cover-Version des Fairport Convention-Klassikers „Meet On The Ledge“ ziert, baten Matthews, ihnen die Ehre zu geben und seinen Original-Gesangspart von 1968 beizusteuern. Gefragt, getan. Schon vom ersten Takt an wurde klar, daß hier eine spezielle Magie ihre Wirkung entfaltete, daß die Chemie bis ins kleinste stimmte. Noch abends, auf einer anderen Bühne, schwärmten die Drifters vom gemeinsamen Kick. „It was a dream come true“, hob Peter Holsapple die dreiminütige Kollaboration in den HimmeL Das Problem war, daß Iain Matthews das so ähnlich sah.
Nur daß der unerwartete Euphorie-Schub bei ihm das Gegenteil bewirkte. „Ich fühlte mich danach, als ob jemand ein Ventil bei mir geöffnet und die Luft herausgelassen hätte. Das Timing war desaströs. Irgendwie schien es plötzlich wenig Sinn zu machen, den Solisten herauszukehren. Die Erkenntnis war nicht eben neu für mich, aber selten wurde ich so brutal daran erinnert, daß ich erst mit einer guten Band im Rücken live richtig abheben kann.“ So pflichtbewußt das Geklampfe, so unkonzentriert der Gesang, so unbestechlich die Mikros. Kein Fiasko, sicher nicht, aber auch nicht eben ein Funkenregen. Abhaken wolle er den unrühmlichen Auftritt, schnellstmöglich, dann die Drifters kontaktieren, zu ihnen runterfahren nach New Orleans und sehen, was sich machen läßt.
Diese Rastlosigkeit, der Hang zum Perfektionismus, der Drang nach musikalischer Befriedigung zieht sich wie ein roter Faden durch Matthews‘ unstete, an kommerziellen wie kreativen Erfolgen keineswegs arme Karriere. Phasen künstlerischer Autarkie wechseln in schöner Regelmäßigkeit mit gruppendynamischen Perioden. Einzige Konstante ist die eigentliche Stärke des Iain Matthews, dieser sanfte, glatte, aber charakterfeste Tenor von großer Reinheit und hohem Wiedererkennungswett, immer easy, selten Easy Listening.
Matthews ist in dritter Linie Musiker, in zweiter Songwriter, zuvorderst aber Sänger, Interpret von Gedanken und Gefühlen anderer, begabterer Poeten: Gene Clark, Tim Hardin, Mickey Newbury, Jimmy Webb, Merle Haggard, Richard Farina, Steve Young oder Jesse Winchester. Einigen dieser Autoren (und etlichen anderen) hat Iain Matthews definitive fersionen ihrer Songs beschert Nicht die schwergängige, politschwangere „Woodstock“-Variante von Crosby, Stills, Nash & Young prägte sich ins kollektive Gedächtnis ein, sondern Matthews‘ federleichte, ätherische und popsensible Interpretation von Joni Michells Tribut an die Dreifaltigkeit von Peace, Love & Understanding. Nicht die Eagles befreiten Tom Waits‚ „Ol‘ 55“ aus dem Souterrain seines grantelnden Schöpfers, sondern Iain Matthews auf seiner süperben LP „Some Days You Eat The Bear“ (daß die heute bekannteste Waits-Nummer ihren Platz auf „Bear“ seinerzeit erst kurz vor Veröffentlichung gefunden hat und dafür Richard Thompsons „Poor Ditching Boy“ weichen mußte, steht auf einem anderen Blatt).
Geboren im Juni 1946, verlebte Ian Matthews McDonald eine ereignislose, obschon nicht eben glückliche Kindheit „Grew up with a borrowed name/A little heart of porcelain/ Here a hüstle, there a shove/A kid to take advantage of“, singt er nicht ohne Bitterkeit in „Rains Of 62“. Die Mutter ist passiv, duldet die Launen des unduldsamen Vaters, der sich Ian gegenüber erst sehr spät als Stiefvater outet Popmusik ist verpönt, Ian hört heimlich Buddy Holly, Ricky Nelson, Mike Berry, Del Shannon und Dave Berry. Eine Hollies-Single, die sich Ian vom Taschengeld kauft, zerbricht der Ernährer im Jähzorn. Mit 17 verläßt Ian das Elternhaus, heuert als Fußballer eine Saison lang beim Viertligisten Bradford City an, entscheidet sich dann aber fürs Musikmachen, nicht zuletzt unter dem Eindruck des Beat-Booms und der allgemeinen Aufbruchstimmung im Lande. Swinging London zieht den 19jährigen wie ein Magnet an. Er schlägt sich eine )vfeile als Schuhverkäufer in der Carnaby Street durch und wird Ende 1966 Mitglied von The Pyramid, einer Vbcal-Harmony-Group mit Surf-Background und Mod-Attitüde. Jan is the youngest, Stands the smallest, sings the highest“, verkündet ein früher Promo^Steckbrief der Combo. Ein halbes Jahr später erscheint auf Deram mit „The Summer Of Last ear“ die erste Single. Sie ist gleichzeitig die letzte, denn das Follow-Up „Me About bu“ bringt es nur zum Acetate-Stadium, dann zieht Deram den Stöpsel. Um eine Hoffnung ärmer und eine Erfahrung reicher, obdachlos und ratlos, kommt Matthews der Aufforderung eines Freundes nach, doch mal bei diesem Tyger Hutchings vorzusprechen, der einen Sänger sucht fiir seine Band Fairport Convention. Am nächsten Tag steht Matthews auf der Schwelle des Studios, in dem fünf Musiker gerade die ersten zaghaften Schritte in Richtung britischen Folk Rock machen. Die Sessions zur Debüt-LP haben eben begonnen, es wird am Sound getüftelt und an Songs gestrickt. Ian Matthews fühlt sich wie in einem Labor. Die ganze Atmosphäre fasziniert ihn.
Da wird experimentiert, embryonale Arrangements nehmen langsam Gestalt an. Matthews setzt sich in eine Ecke, hört stundenlang zu, kommt schließlich ins Gespräch mit Hutchings, Richard Thompson und den anderen. Eigentlich seien sie ja auf der Suche nach einem Keyboarder, der singen kann. Und was er, Ian, denn da in seinem Kofier mit sich herumtrage. Oh, sagt Matthews, nur meinen ganzen Besitz. Klamotten, Bücher, ein paar LPs. LPs? Laß‘ mal sehen. „Snvetheart OfTheRodeo“ von den Byrds, brandneu, Tim Buckley, Tim Hardin— „Ich weiß, es klingt unwahrscheinlich, aber es ist nun mal wahr“, beteuert Matdiews 30 Jahre später, „ich hab den Job bei Fairport bekommen, weil ich die korrekten Platten besaß. Sicher, letztlich habe ich sie mit meinem Gesang überzeugt, aber ohne diesen Nachweis meiner musikalischen Rechtschaffenheit hätte ich wohl keine Chance gehabt Von Tasteninstrumenten hatte ich ja nicht die geringste Ahnung.“
Am selben Abend noch wird Ian Matthews in den erlauchten Kreis der Folk-Eklektiker aufgenommen. „I realised instantly that this band was something Special“, sagt Ian mit britischem Understatement Special Revolutionär, visionär, singulär sind die gängigen Begriffe, mit denen hantiert wird, wenn es um die herausragende Bedeutung Fairports für die englische Rockmusik schlechthin geht „Wir waren natürlich insofern privilegiert, als Joe Boyd Zugang hatte zu Demos von Bob Dylan oder Leonard Cohen, aber auch von völlig obskuren Songwritern, die selbst noch nichts veröffentlicht hatten, wie etwa Joni Mitchell.“
Das erste Album, „Fairport Convention“, erscheint 1968. Dann geht alles rasend schnell. Sandy Denny kommt, Judy Dyble muß gehen. „Sie konnte einfach nicht singen“, kommentiert Matthews den Wechsel so ungerührt wie uncharmant Die zweite FairportLP, „What fVeDidOnOw Holidays“, kommt Anfang 1969 in die Läden. Matthews wird gegangen, die dritte LP, „Unhalfbricking“, mit Matthews als Gast, wird im Sommer veröffentlicht, dazwischen stirbt Drummer Martin Lamble, Dave Mattacks ersetzt ihn, Fiddle-Derwisch Dave Swarbrick wird vom Session Man zum Bandmitglied befördert, Fairport wechseln den Kurs von Contemporary zu Trad-Fblk, das vierte Album, JLiege &Lief, kommt Ende 1969 heraus, doch hat Sandy Denny Fairport da bereits wieder verlassen und mit ihrem späteren Gatten Trevor Lucas Fotheringay gegründet All das geschieht innerhalb eines einzigen, nicht nur für Ian Matthews schicksalsschweren Jahres.
JEs wäre alles etwas leichter gewesen, wenn man mich einbezogen hätte. So entglitt mir das ganze, ohne daß ich Einfluß nehmen konnte. Die Fraktion, die das Sagen hatte bei Fairport, wollte weg von Dylan-Covers, hin zu mehr traditionellem Folk-Material. Dazu konnte ich nichts beitragen. Ich wurde obsolet. Als die Band ins Studio ging, um ,^4 Sailor’s Life“ aufzunehmen, hielt es keiner für nötig, mich davon zu unterrichten. Ich wurde nicht gefeuert, ich wurde nur einfach nicht mehr gebraucht. Das tat weh, und der Schmerz saß tief.“ Verträge existieren keine. Matthews leckt ein paar Monate lang seine Wunden, tröstet sich aber alsbald mit dem Mfllionseller „Wbodstock“ von seiner neuen Band, Matthews Southern Comfbrt. Ian hat aus der Fairport-Havarie gelernt, diesmal hat er das Sagen.
Was freilich interne Querelen nicht verhindert Nach drei LPs verläßt Matthews die Band (die noch eine Weile kopflos als Southern Comfort agiert) und begibt sich auf den Solo-Trafl. Aus seiner Touring Band, minus Richard Thompson, der anderweitige Verpflichtungen hat, formiert sich erneut eine Gruppe, demokratischer diesmal, Ian Matthews nur primus inter pares: Plainsong. Won reichlich Vorschußlorbeer verwöhnt und mit Kritiker-Lob für ihr gleichermaßen ambitioniertes wie brillantes Album J.n Search Of AmeliaEarhart“ geradezu überhäuft, verkraftet es das Quartett nur schwer, daß den medialen Akkoladen nicht Ruhm und Geld auf dem Fuße folgen. Nicht daß „Amelia Earhart“ keine Abnehmer gefunden hätte, aber verdient Genie nicht mehr als einen Achtungserfolg? Allüren schleichen sich ein, daraus erwächst Zwist, der Mammon reckt sein häßliches Haupt, die Sessions zur zweiten Plainsong-LP schleppen sich hin. Und just, als sie endlich im Kasten ist und die ersten lestpressungen kursieren, verliert Elektra das Interesse am kapriziösen Vierspännet Das Album wird erst gar nicht mehr an den Start gelassen. Das Ende einer weiteren musikalischen Liebesbeziehung, noch ein Matthews interruptus.
Frustriert schnappt Ian Frau und Kind, verläßt England und zieht an Amerikas Westküste, auf Einladung von Michael Nesmith, der „Ktüey Hi“ für ihn produziert, ein Country Rock-Kleinod von großer Strahlkraft, das indes nicht zu Matthews‘ Favoriten zählt Anders als die folgende LP, „Some Days You Eat The Bear“-, der Künstler im Zenit seiner kreativen Kräfte, Saxophon und Steel-Guitar verschmolzen, Steely Dan und die Eagles beim Two-Step, jeder Track ein Treffet Kommerziell jedoch, wen wundert’s, reißt auch ^Bear“ keine Bäume aus. Anders als einige der späteren, qualitariv unterschiedlichen Solo-Alben. Ein Dutzend davon veröffentlicht Matthews in den nächsten zwanzig Jahren (siehe Discographie), sehr erfolgreich und hitgespickt manche, andere bleiben auf der Strecke. Dazwischen mehr Bands: Hi-Fi und Hamilton PooL Und diverse Plainsong-Reunions samt Platten und ausgedehnten Iburneen, bis zum heutigen Tag übrigens. Linear verläuft nichts in dieser Laufbahn, Matthews liebt es, auf verschiedenen Hochzeiten zu tanzen. Unter dem Einfluß der New Wave hat er gar gerockt „Yeah, Ikind of got lost in fashionable pop for a while“, sinniert er kopfschüttelnd. Das ist okay, Mann. „It’s a reasonable slip/ When you’re trying to be hip“ (aus „Tigers Will Survive“, 1971 verfaßt von, genau, Ian Matthews).
Auch die andere Seite des Zauns hat der Künstler kennengelernt Mitte der 80er Jahre arbeitet Matthews als Talentscout und A & R-Mann für Island, betreut Rain Parade und die Long Ryders, dann für das New Age-Label Windham Hill. Dort erscheint 1988 mit „WaMngA Changing Line“ nach vierjähriger Studio-Abstinenz eine Art Comeback-Platte, die ausschließlich den Songs von Jules Shear gewidmet ist, und die Matthews zu seinen besten zählt. Ein Fairport-Reunion-Gig habe ihn dazu inspiriert, das Singen wieder aufzunehmen. Was ihn geritten hat, nach dem „wilden und mitreißenden“ Auftritt mit Richard Thompson und anderen Ex-Conventioners ausgerechnet den schalen Schönklang von „ChangingLine“ zu zelebrieren, vermag er nicht zu vermitteln.
„Ich fand Jules Shears Material großartig und habe ihn damals aufgesucht. Er war hellauf begeistert von meiner Idee, seien Songs ein ganzes Album zu widmen. Ich selbst hatte ja aufgrund meiner Schreibtischarbeit nichts Eigenes, das ich hätte aufnehmen können. Es schien mir ein guter Wiedereinstieg in das Recording Business zu sein. Du darfst nicht vergessen, daß ich mein Künstlerdasein nicht aus einer Laune heraus gegen Management-Tätigkeiten eingetauscht hatte, sondern weil ich wirklich die Schnauze voll hatte von der ewigen Tretmühle. Mir war als Songwriter einfach der Strom ausgegangen.“ Erst mit J*ure And Crooked“ war Matthews wieder der alte, paradoxerweise mit geändertem Vornamen. Das zweite „i“ in Iain soll auf seine „gälischen Wurzeln“ verweisen. Ein bißchen verwirrend. „Schon“, gibt er zu, „aber was soll’s, die Amis konnten den Namen eh nie aussprechen.“ Im Mai will Matthews mit Band durch deutsche Lande teuren, doch sind sechs Wochen vor Tourbeginn noch etliche diesbezügliche Fragen offen, das leidige Geld betreffend und ausstehende Garantien. „Ich stehe meinen Musikern gegenüber im Wort und hoffe nur, daß mir das nicht als Arroganz oder Größenwahn ausgelegt wird“, sagt er ernst.
Verständlich, denn Mißverständnisse pflastern seinen Weg. Iain Matthews hat sich damit abgefunden. Wie damals, 71, ab er den Girl-Group-Gassenhauer „Da Doo Ron Ron“ von den Crystals coverte, ohne den Text geschlechtlich umzupolen, („I met him on a Sunday and my heart stood still/ Somebody told rae that his name was Bill“), weil ihm ein solcher Eingriffin einen Song des hochverehrten Phil Spector frevelhaft und ketzerisch erschienen wäre und ein Reviewer entrüstet die Frage aufwarf: „Is this the Start of gay rock?“