Leben mit der Mauer
enn ich an Platten denke, die mich geprägt haben, lande ich automatisch in meiner Kindheit. Die Sachen, die mir heute gefallen -Sophie Hungers Cover von Noir Désirs „Le Vent Nous Portera“ oder James Blakes „Retrograde“ – teile ich mir ein, weil sie dann erst richtig zünden. Früher hat Musik jedes Mal gezündet, egal wie oft man sie gehört hat, und die Lieder haben sich ins System eingebrannt. Besonders gilt das bei mir für „The Wall“ von Pink Floyd. Diese Platte habe ich so oft gehört wie keine andere. Wenn ich abends das Licht ausknipsen musste, weil mein Vater sonst in seiner liebevollen Art etwas strenger geworden wäre, habe ich die Kopfhörer mit ins Bett genommen und diese epische Reise von Anfang bis Ende nachgehört. Ich konnte zwar nur bruchstückhaft Englisch, aber der Film kam etwa zu der Zeit raus, sodass ich ungefähr wusste, worum es ging. Und die Zeile „Ooooooooh I need a dirty girl“ aus „Young Lust“ gab mir zumindest eine Vorahnung, dass das Leben später noch richtig aufregend werden könnte. (lacht)
Ich weiß nicht, ob „The Wall“ auf mich besonders gewirkt hat, weil ich in Berlin groß geworden bin. Die Mauer auf dem Cover hatte wenig zu tun mit der Berliner Mauer. Die war für uns genauso selbstverständlich wie der Karstadt gegenüber der Schule. Aber dieses Isoliert-Sein, um das es in den Songs geht, war natürlich schon ein Berlin-Gefühl. Wie anders diese Stadt im Vergleich zum damaligen Westen war, habe ich gemerkt, wenn wir meine Familie mütterlicherseits in Siegburg-Königswinter besucht haben. Da war alles so sanft, hügelig und schön -eine heile Welt. Wir haben in Berlin am Kottbusser Damm gewohnt. Dort sind Demonstranten aus der Hausbesetzer-Szene zu Ton Steine Scherben vorbeimarschiert. Da habe ich zumindest geahnt, dass ich auf einer Art Insel lebe, mit einer Mauer drumherum.