Leben im Hotel
Den Grand-Hotels seiner Welt setzt STEPHAN EICHER ein Denkmal - um danach endgültig auszuchecken
Seit 20 Jahren hat Stephan Eicher keine eigene Wohnung. Der Schweizer Kosmopolit lebt in Hotels. Nicht etwa in gesichtslosen Bettenbunkern, sondern in Häusern mit Geschichte, in traditionsschwangeren Gemäuern mit Seele. In diesen Hotels wäre es unvorstellbar, dass nach alter Rock’n’Roll-Tradition die „Möbel verrückt“ werden oder gar unschuldige Fernseher durchs Fenster segeln. „So was passiert ja auch nur, wenn alle Hotelzimmer völlig identisch und somit austauschbar sind, wenn man die Sprache eines Landes nur an den TV-Nachrichten erkennt. Kein Wunder, dass man dann verrückt wird. Aber da pass ich auf: Um solche Hotels schlage ich einen weiten Bogen.“
Dann steigt Eicher sogar lieber in einem Hotel ab, wo das Zimmer nur aus einem Moskitonetz besteht und einer Matraze drunter. Kein Stuhl, kein Tisch, nichts. So wie in Mali, im „Hotel Le Coupemont“. Das Restaurant ist draußen unterm Palmendach. „Der Hotelchef ist gleichzeitig Kellner und Koch und kleidet sich zum Dinner wie ein englischer Lord. Sehr stilvoll, trotz größter Hitze.“
Ist Herr Eicher nach 24 Stunden Reise zwecks Konzert in Pnom Penh angekommen, vetritt er sich ein wenig die Beine und sagt dann zu seiner Band:
„Ich geh jetzt mal nach Hause. Dann wundert sich niemand. Natürlich fliegt er nicht in die Schweiz zurück, sondern geht in sein gemietetes Heim. Das Zeitlos-Unverbindliche seines Hotellebens hält er in Fotos fest, die er jahrelang von menschenleeren Hotelbetten machte. „Immer vorher, wenn das Bett noch unberührt war – und dann am nächsten Morgen mit dem zerknüllten Bettzeug. Hunderte von Fotos! Ich musste damit aufhören.“
Das letzte Vorher-Nachher-Bett fotografierte er in einem der legendären Bürgenstock-Hotels nahe Luzern, wo dereinst Wagner und Kennedy abstiegen. Im Winter geschlossen. „Wir haben dort die Coverfotos für mein ,Hotel’s ‚-Album gemacht. Ein Best-of-Album, das ich aus rein egoistischen Motiven zusammengestellt habe: Ich brauche Platz. Ich musste aufräumen, um wieder völlig neu anzufangen. Daher noch mal diese Rückschau. Jeder Song hat sein Hotelzimmer und seine Geschichte.“
Wie die Geschichte des Albums r £ngelberg“{1991), eng verbunden mit dem legendären „Hotel Hess“
im gleichnamigen Schweizer Kurort. Der Bruder seines früheren Managers leitete die nostalgische Luxus-Herberge. „Über 15 Jahre hab ich da gewohnt, für fast alle Tourneen wurde im Casino geprobt. Am 31. März wurde es abgerissen. Und genau das war auch der Anlass, mein eigenes Leben zu renovieren. Ich habe für Art‘ einen Film darüber gedreht: die letzten 24 Stunden eines Hotels. Es gab ein konzertantes Fest zur Beerdigung. Das Video zur Single ,EUe Vient Me Voir‘ wurde beim Abriss gedreht. Alles sehr schön traurig.“ Ein Zimmermädchen erzählt da die Geschichte vom Gast, der in einem der schönsten Zimmer seinen Abschiedsbrief hinterließ: Er habe sich zum Selbstmord im Hotelzimmer entschlossen, weil er zu Hause nicht so eine Sauerei hinterlassen wollte.
Für sein Album „Carcasonne“ zog es den Nomaden 1993 nach Südfrankreich – diesmal diente das „Hotel de la Cite“ als Wohn- und Werkstatt. „Ein wichtiges Hotel fiir mich – und auch das haben sie zerstört. In Zimmer 33 habe ich gesungen, die Amps waren im Nachbarzimmer, in der uralten Bar wurde alles zusammengemixt. Ein wunderbarer Raum mit Blick in den Garten.“ Bei den thank-you-Credits findet sich auch ein Dankeschön an die Vögel, die so hübsch im Garten sangen – und natürlich an das gesamte Hauspersonal, allen voran der Küchenchef. Es scheint, als habe den Hotels das letzte Stündlein geschlagen, wenn sich Stephan Eicher dort einmietet: Auch dieses Hotel gibt’s nicht mehr. „Es wurde verkauft und zu Luxusappartements umgebaut. Nein, nicht ich bin es, sondern die Welt, die alles verändert. Aber zumindest den Klang der Räume habe ich konservieren können.“
Jeder Hotelgast kennt die Versuchung, angesichts des luxuriösen Inventar-Überflusses vielleicht ein flauschiges Handtuch, diverse Shampoo- und Gel-Fläschchen oder zumindest den Waschlappen mitgehen zu lassen. „Ich bin ein ausgesprochen schlechter Klauer“, bedauert der singende Hotelfachmann, „einfach zu gut erzogen. Einmal nur habe ich mich in Japan hinreißen lassen, einen schönen Kimono mitgehen zu lassen. Ich hatte furchtbare Gewissensbisse und bat die japanische Plattendame bei der Abreise, den Diebstahl aktenkundig zu machen und mir eine Rechnung zu schicken. Worauf sie nur kicherte: ,Lieber Herr Eicher, der Kimono ist in jedem japanischen Hotel ein Geschenk.‘ Ich hätte also sogar ungestraft fünf Kimonos mitnehmen können!“
Einige mögen die „Bitte nicht stören“-Schilder zum Objekt ihrer Begierde erkoren haben, andere die Aschenbecher (ist eh im Preis inbegriffen, denken die meisten), doch Herr Eicher sammelt individualistisch – und macht sich dabei nicht einmal ansatzweise des Diebstahls schuldig: Er sammelt Näh-Sets. Wie Schmetterlinge hat er die aufgeklappten Heftchen – natürlich in gediegenen Schaukästen – mit Stecknadeln aufgespießt. , Alle mit Datum und Ort versehen, wann und wo ich sie gefangen habe.“
Es gibt Reisende, die jedes Hotelzimmer so umgestalten, dass es ihren persönlichen Touch bekommt. Eicher ändert nichts. Er verstaut allenfalls die Pappaufsteller für Pay-TV und Wellness-Angebote in der Schublade. Was ist für den Freund des diskreten Luxus das Besondere an einem schönen Hotelzimmer?
, Absolute Stille und die Möglichkeit, ein Zimmer verdunkeln zu können – egal zu welcher Tageszeit Wo sonst findet man noch diese Oasen der StiUe?“
Er verabscheut „Themen-Hotels“ wie auch Wellness- und Fitness-Herbergen jedweder Couleur. Für die Sammlung seiner musikalischen Hotel-Reminiszenzen hat er ein passenderes Motto gewählt: „die bislang nicht existierende Kette der ,Grand Memory Hotels‘ – mit den berühmten Häusern der Erinnerung und den Räumen verflogener Träume.“
Der verborgene Sinn des Reisens liegt bekanntlich im Heimweh. „Das haben wir Schweizer erfunden – neben dem Bankgeheimnis, LSD und Schokolade. Doch davon ist Heimweh die stimulierendste Droge. Natürlich weiß ich nicht, nach was man Heimweh haben sollte. Hauptsache Heimweh.“
Er war eigentlich überall, seltsamerweise noch nie in Ost-Europa, der Heimat seiner Vorfahren aus Ungarn und Rumänien. „Das könnte riskant werden. Vielleicht bin ich da plötzlich wirklich zu Hause.“ Grrn Gülden