Laurie Anderson: Warum sie keine Kunst-Professorin in Essen wird
Kritik und Gegenkritik. Folkwang-Hochschule moniert Unterschrift für „Brief gegen Apartheid".
Die Meldung hat die Runde durch die internationalen Kulturseiten gemacht:
Die US-Künstlerin, Musikerin und Filmregisseurin Laurie Anderson („Heart Of A Dog“) wird ihre Gastprofessur an der Essener Folkwang Universität nicht antreten. Ihre kurzfristige Absage ist eine Reaktion auf einen Fern-Disput zwischen der Essener Uni-Leitung und der „O-Superman“-Perfomerin. Anderson zählt zu den Unterstützerinnen der Urheber eines 2012er-Briefes palästinensischer Künstler mit dem Titel „Letter Against Apartheid“.
Die Entscheidung, die von renommierten Blättern wie „Guardian“ oder „New York Times“ aufmerksam registriert worden ist, fiel wenige Tage vor der Bekanntgabe der Verleihung des „Preises für das Lebenswerk“ an Anderson bei den diesjährigen Grammys. Ein weiterer Affront, nachdem internationale Künstler Äußerungen getätigt hatten, die von den offiziellen Stellen in Deutschland als „israelfeindlich“ eingestuft wurden.
Zum Hintergrund:
Die Folkwang Universität der Künste in Essen hatte mitgeteilt, dass sie diverse „Gespräche“ mit Anderson geführt habe, nachdem ihr Name unter den Tausenden von Künstlern aufgetaucht war, die besagten offenen Brief unterstützt hatten, in dem „eine sofortige und bedingungslose Einstellung der israelischen Gewalt gegen Palästinenser“ gefordert wurde.
Die Universität erklärte ihrerseits, sie sei der Ansicht, dass Kunst, Kultur und Wissenschaft Orte seien, „an denen strittige Fragen wie diese nicht eskaliert werden sollten werden“.
In der Uni-Erklärung heißt es weiter: „Es hat sich nun herausgestellt, dass Laurie Anderson im Jahr 2021 öffentlich den Aufruf ‚Letter Against Apartheid‘ der palästinensischen Künstler unterstützt hat, der u.a. Boykottaufrufe der israelfeindlichen BDS-Bewegung aufgreift. Angesichts der nun öffentlich gewordenen Frage nach ihrer politischen Haltung hat Laurie Anderson beschlossen, sich von der Professur zurückzuziehen.“
Die Erklärung enthielt auch Äußerungen von Anderson. „Für mich stellt sich nicht die Frage, ob sich meine politischen Ansichten geändert haben. Die eigentliche Frage ist die folgende: Warum wird diese Frage überhaupt gestellt?“, so Anderson. „Aufgrund dieser Situation ziehe ich mich von dem Projekt zurück.“
Die Entscheidung kam Wochen nach der Bekanntgabe, dass Anderson als zweite Künstlerin nach Marina Abramović die Pina-Bausch-Gastprofessur an der Universität übernehmen wird. „Im Laufe ihrer bewegten künstlerischen Karriere hat Laurie Anderson bahnbrechende Werke geschaffen – in der bildenden Kunst, im Theater, in der experimentellen Musik und in der Technologie gleichermaßen“, erklärte die Universität damals in einer Erklärung. „Laurie Anderson wird für ihre innovativen Arbeiten gefeiert, in denen sie Musik, Performance-Kunst und Technologie miteinander verbindet und so die Grenzen des künstlerischen Ausdrucks verschiebt.“
Der Fall in Essen zeigt, wie dünnhäutig auch die Hochkultur aktuell miteinander umgeht. Die Zündschnur ist kurz geworden – zwischen mit großem Aplomb gemachten öffentlichen zwischen Absagen Boykott und Gegen-Boykott oder Beleidigtem Nachtreten.
Laurie Anderson hat – Palästina hin, Israel her – unlängst dem renommierten „Hirshhorn Museum“ in Washington abgesagt, die eine große, aufwendige Retrospektive ihrer Arbeit veranstalten wolle.
Sie sagte ab, weil sie, lapidar gesagt, keinen Bock hat ihre Werke zu historisieren.
Sie sei seit etwa 50 Jahren bin ich damit beschäftigt, sagte sie damals, ihre Keyboards und experimentellen Geigen durch die ganze Welt zu schleppen, um riesige Bonanzas aus Lasern, Geräuschschleifen und beschwörenden Monologen aufzuführen. Sie trägt ihre Avantgarde-Kompositionen mit einer Stimme vor, „die irgendwo zwischen Slam Poetry, News-Tonlagen und Gutenachtgeschichten“ („New York Times“) liegt.
Sie hätte eben „philosophische Bedenken“ gegen eine Retrospektive über sich. Mit 74 wolle sie eben nicht innehalten und zurückblicken. „Das ist das Paradoxe an Laurie Anderson: Was sie einer Retrospektive würdig macht, macht sie im Grunde auch retrospektionssicher“, so ein „NYT“-Kommentar.
Gerade im internationalen Kunst-Dialog ist die offizielle deutsche Position in der Nahost-Frage offenbar zu statisch, um einen offenen, und manchmal auch problematischen Dialog zu führen. Auch individuell auf „schwierige Egos“ einzugehen, wieder immer schwieriger. Nach dem Schiffbruch bei der Documenta scheint es dringend angeraten, schon im Vorfeld von Gastspielen die Positionen zu klären. Das könnte ein spannender Prozess werden. Hinterzimmer-Entscheidungen sind da nicht hilfreich. Sie verhärten die ohnehin schwierige Lage.