Last Exit Unna
Und plötzlich machte es „Bang Boom Bang“ im deutschen Kino. Ziemlich blöder Filmtitel oder genial daneben? Trash-Kult? Pulp Fiction auf deutsch? Fest steht: Das Werk, das heute als eine der besten deutschen Komödien der 90er Jahre gilt, hatte anfänglich Ladehemmung. Viele berufskrititische Cineasten witterten zunächst eine Mischung aus Kohlenpott’Folklore und,Ballermann 6″, bevor sich der Film über TV-Ausstrahlung, Video und „BBB“-Fanpartys durchsetzte. Regisseur Peter Thorwarth, Jahrgang 1971, hatte sich also gleich mit seinem Erstling zwischen alle Stühle gesetzt. Was ihm diebische Freude bereitete. Als hätte er geahnt, daß er – genau wie seine schrägen Kleinstadtgauner einen späten Triumph einfahren würde.
„Es war damals eher angesagt, coole Metropolenfilme zu machen“, sagt Thorwarth, „und ich wollte genau das Gegenteil.“
So kam es zu Unna. Es ist Thorwarths Heimat und das Zentrum von „Bang Boom Bang“ (1999). Genau wie für den Publikumshit „Was nicht passt, wird passend gemacht“ (2002) und auch für sein neues Werk „Goldene Zeiten“ (Kinostart: 26. Januar).
Unna? Die Stadt mit seinen 55000 Einwohnern ist der Ostrand des Potts. Im Grunde nur eine Fußnote vom großen Mythos. Kein Fußballverein von Bedeutung. Wenig Tief-im-Westen-Pathos. Mentalitätsmäßig driftet es auch schon stark ins Sauerländische. Einer dieser Orte, die man wirklich kennen muß, um sie zu lieben. Für einen Filmemacher ist das auch eine Chance. Klischees muß er nicht ein weiteres Mal abkurbeln. Schmelzofenrote Abendhimmel? Kopierte Hollywood-Stunts vor rausgeputzten Fördertürmen?
Nicht bei Thorwarth. Er bewegt sich zwischen den Autobahnabfahrten, Werkstätten, Reihenhäusern, Terrassen, Baumärkten, Kneipen und Puffs von Unna. Ab und zu schwenkt er allenfalls mal kurz nach Dortmund rüber. Es sind Schauplätze zum Eintauchen. Weil hier das Milieu der kleinen Diebe, Bauarbeiter und Glückssucher weder weichgezeichnet wird noch als Metapher für Spießertum herhalten muß. Die Figuren sind nie Karikaturen, bewegen sich ganz selbstverständlich. Es gibt inzwischen ja einen richtigen Thorwarth-Clan. Schauspieler, die dem Allesmacher (Drehbuch und Regie) schon mehr als einmal vertraut haben: Alexandra Neldel, Christian Kahrmann, Willy Thomcyk oder Markus Knüfgen. Und Kollegen, die in der Branche als schwierig gelten, die unter Thorwarths Regie aber zur Höchstform aufliefen wie Martin Semmelrogge als Hinkfuß Schlucke in „Bang Boom Bang“. Ralf Richter ist sogar immer dabei. Und wer Alexandra Maria Lara zuletzt auf ziemlich verlorenem Kunst-Posten in Doris Dörries „Der Fischer und seine Frau“ sah, der erinnert sich umso lieber an ihre Rolle als Astrid in „Was nicht passt…“: mal aufmüpfige Tochter eines Griesgram-Papas, mal errötende Jung-Verliebte. Die Berlinerin spielte so unprätentiös und zauberhaft, als wäre sie nie aus Unna weggekommen.
Natürlich läßt sich ein trockenwitzelnder Vollblutwestfale nicht auf langes Psychologisieren ein. Thorwarth gibt aber immerhin preislich sollte unbedingt Zahnarzt werden. Der Wille meines Vaters, der sein eigenes Studium abbrechen mußte.“ Also ging er in München zur Uni, aber dort verlagerte sich sein Interesse schnell zur benachbarten Filmhochschule. Wo er innerlich brannte, aber ein Außerseiter blieb. Da war auf einmal zu sehr Handwerker unter „all diesen hängeligen Typen“. Thorwarths Rache war sein I5minütiges Maurerwerk „Was nicht passt…“ (Vorlage für den späteren Spielfilm), das 1996 für den Studenten-Oscar nominiert wurde. Damit kehrte er stolz nach Unna zurück „um meine Art von Heimatfilm zu machen“.
Mit „Bang Boom Bang“ wurde bewiesen, daß nicht nur Amerikaner oder Franzosen nette Ganoven leichthändig in Szene setzen können. In seiner Baugrubenschlacht funktionierte diese unromantische Kleine-Leute-Solidarität ebenfalls noch gut. Mit Teil drei hat sich das radikal geändert. Karriere-Bubis, Golf-Heinis, neureiche Psychopaten, Hollywood und Russenmafia: All das bricht nun ins Unna-Universum ein. Durchaus mit vertrautem Witz, aber neuen, tiefschwarzen Facetten und einem wunderbaren Typen-Ensemble. Hauptfigur Ingo (Wotan Wilke Möhring) ist als sympathischer Möchtegern-Held dem großartigen Oliver Korittke in „Bang Boom Bang“ nicht unähnlich. Der abgebrannte Event-Manger glaubt, sich mit einem einzigen Coup wieder nach oben zu schießen: Für eine CharityGala verkauft er dem eitlen Präsidenten des Golfclubs Unna-Fröndenberg (Wolf Roth) einen US-Serienhelden als Stargast (Dirk Benedict). Dieser ist aber in Wirklichkeit nur ein auf Cowboy getrimmter Kleindarsteller aus Schwaben…
Im Laufe der 135 Minuten (auch ein neuer Rekord) eskaliert die Sache völlig. Dabei ist auch dieser Plot wieder abgeschaut. Thorwarth: „Ich bin einmal in den Golfclub von Unna eingeladen worden, meinem ersten Golfplatzbesuch überhaupt. Und plötzlich landet da ein Hubschrauber mit diesen zwei ,Magnum‘-Nebendarstellern.“ Und er fügt hinzu.“Ich habe mich in meiner eigenen Stadt noch nie so fremd gefühlt.“
Thorwarth hat sich mit „Goldene Zeiten“ stilistisch weiterentwickelt. Von Schnittfolge bis Sound spielen viele Szenen mit der Ästhetik von US-Serienklassiker wie „Ein Colt für alle Fälle“. Thorwarths Ausflüge als Clip-Regisseur für Bands wie die H-Blockx oder Die Toten Hosen dürfte diese Experimentierlust beflügelt haben. Mit der von Kraans Delutin komponierten Filmmusik ganz im Retro-Stil legendärer Action-Serien gibt es erstmals auch einen Original-Soundtrack.
Mit dem Engagement von US-Serienstar Dirk Benedict („The A-Team“) erfüllte sich Thorwarth einen Jugendtraum:
„Mit einem meiner 8oer-Helden für zwei Monate in meiner Heimatstadt zu arbeiten und abends Whiskey zu trinken, war schon ein unglaubliches Erlebnis.“ Er hätte sogar Lee Majors („Colt Seavers“) oder“MiamiVice“-Star Don Johnson bekommen können so weit ist inzwischen der Ruf des gewitzten Filmemachers vorgedrungen. Doch Majors („zu alt“) ‚wie Johnson („zu dick“) hätten mit der Ausstrahlung von Benedict nicht mithalten können. Immer konnte sich Thorwarth so ein paar Tage in Hollywood umtun („Bernd Eichinger hat mir sein Büro ausgeborgt“). Und dabei erfuhr er auch, daß es eine US-Drehbuchversion von „Bang Boom Bang“ gibt: „So Typen ¿wie Schlucke scheint es auch in Chigago zu geben.“ Der Unnaer lacht.