Laßt uns über die Liebe reden
Es darf debattiert werden. Blumfeld sind zurück, jene Hamburger Schüler, die als Prototyp der Diskurs-Band 1994 mit „L’Etat Et Moi“die Musikrepublik spalteten – natürlich rein theoretisch. Als die Kunde vom neuen Album durchsickerte, griffen sich manche entsetzt an den Kopf- und später verblüfft ans Herz. Auf mehr Gefühle mit als interessante Gedanken, es leuchtet mit erlösender Emphase eine Pop-Platte, die man hier so kaum für möglich gehalten hat Ein Song heißt „Status: Quo Vadis“, zwar noch in Blumfelds berüchtigter Magister-Rhetorik, aber: Bleibt alles anders?
Erstmal anders sieht es Sänger und Songschreiberjochen Distelmeyer. Jedenfalls etwas. Er sitzt im Restaurant Überseebrücke, einer Touristen-Raststätte am Hamburger Hafen mit rosafarbenen Tischdecken, Kaffee aus Kännchen und Eibblick aufs Muschel-Zelt des Buddy-Holly-Musicals, trägt Cordhose und einen dunklen Pollunder über dem weißen Hemd. Im Hintergrund säuselt Großmutters Schwofmusik, und Distelmeyer redet von Zusammenhängen. „Für uns war es ein total naheliegender Schritt, ja, eine extrem unoriginelle Entwicklung. Wer bestimmte Elemente unserer alten Stücke, ja, verstanden hat, ja, für den war das immer Bestandteil von Blumfeld. Also ich kann zu jedem Stück auf ,OldNobody‘ quasi eine Entsprechung, ja, bei den älteren Platten nennen.“
Jch-Mascliine“ und JSEtat Et Moi“
enthielten redundante, melodiöse Gitarren-Kakophonien, fast wie bei Sonic buth, und ebenso rasende Textkaskaden voller Subtexte. Es rockte der Elfenbeinturm – und ihre virtuose Konzentration war für nicht wenige zu anstrengend. Dann verließ Bassist Eike Bohlken die Band, um sein Studium zu beenden. Distelmeyer holte Peter Thiessen als Ersatz und Keyboarder Michael Mühlhaus gleich dazu. Auch wenn sich für ihn Blumfeld-Lieder immer wie, ,Popmelodien angefühlt“ haben, hat er nun den Pop so umgesetzt, daß er für andere erkennbar ist.
Mit „Genrefixierungen und sprachlicher Verstümmelung“ kann man Distelmeyer allenfalls das Stichwort liefern für seinen schwer sympathischen und putzig-pedantischen Uberbau-Eifer. Wer naiv erfreut die Synthie-Streicher, Klavier-Melodien und vereinzelten Dance-Beats erwähnt, den klärt der Dampftheoretiker über die „falsch geführte Debatte um elektronische Musik“ auf., ,Der klassische Mainstream ist keiner mehr, der ist freigegeben. So wie Grönemeyer zu einer Entwicklung aufschließen will, die er als subkulturell verortet, ja, so auf seiner Star-Ebene. Das ist heute Mainstream.“
Derweil spielte Distelmeyer Cover-Versionen von Adamski und beschloß schließlich, „machen wir halt Münchner Freiheit, Robert Palmer, ja“, und schwärmt von den „Lohnschreibern, die für die Backstreet Boys geile Melodien komponieren“. „Mein System kennt keine Grenzen“ heißt ein Song bezeichnend für die bizarre Offenheit Distelmeyers, der als krampfiger Kopfmensch eingeschätzt wird. Geradezu ungeschützt heischt er nach der Bestätigung, daß man doch „hört, was sich bei mir möglicherweise privat verändert hat“. Nur noch Liebe? -Nicht nur noch Liebe. Aber daß ich mit jemandem zusammen bin.“ So hat er „Tausend Tränen tief“ zur „Hymne auf das Schreiben von Liebesliedern“ erkoren. „Es sollte extrem körperlich sein, zärtlich und sexuell, sich anschmiegen“ und gemahnt an George Michael. Im Video ist Helmut Berger im Luxusanzug zu sehen. Dann gibt es Champagner. Distelmeyer strahlt Und singt!
„Als Gescheiterte in Sachen Selbstverwirklichung“, wie er einmal formulierte, kreist seine Lyrik weiterhin um Identität Aber das elitäre Individuum bröckelt. „So wie ich lebe/ Einer von vielen/ Kein Einzelfall“, singt er, ein Stück heißt „Kommst du mit in den Alltag“. „Es war schwer, diese extreme Komplexität zu erarbeiten und in Einklang zu bringen mit jenem, was man sich als Leben vorstellt Diese Bereiche wurden eifersüchtig aufeinander.“
Distelmeyer, wie er Jochen sieht.