Larry Clark – Youth Of America
Jugend und Sex, Gewalt und Drogen - die Galerie C/O Berlin zeigt die erste umfassende Werkschau des umstrittenen amerikanischen Fotokünstlers Larry Clark in Deutschland
Larry Clark ist auf dem Gebiet der Fotografie ein sehr früher Vorläufer der Piratenpartei. Von Beginn an war der heute 69-Jährige für totale Transparenz. „Warum soll man nicht alles sehen können oder dürfen?“ – das war die Frage, die sein Werk seit den frühen Sechzigern leitete. Anfangs war diese Frage von einer jugendlichen Neugier am eigenen, aber auch am anderen Körper geprägt. Denn der 1943 in Tulsa, Oklahoma geborene Clark war selbst noch ein Teenager, als er begann, seine Altersgenossen scheinbar uninszeniert, tatsächlich aber hoch ästhetisiert abzubilden. Es war eine repressive, prüde Zeit, in der das öffentliche Bild der Jugend nicht mit dem übereinstimmte, was Clark in der Vorstadt beobachtete und am eigenen Leib erfuhr. Drogen, Sex, Vergewaltigung, Inzest waren Teil seiner Lebenswelt und der seiner Freunde. Schon das Darüber-sprechen stand unter Strafe. Clark, der bereits im Alter von 13 im Auftrag seiner Mutter von Tür zu Tür ging, um Babyfotos fürs Familienalbum zu machen, wollte mit seinen Bildern eine Wahrheit ans Licht bringen. Er zeigte, wie sich zerrüttete Familienverhältnisse, häusliche Gewalt und soziale Ungerechtigkeit auf Jugendliche auswirkten. Das provozierte natürlich Widerspruch – und passte so gar nicht in das Bild, das sich die USA von sich selbst machten Ende der 50er-Jahre.
Man könnte in Larry Clark also einen Soziologen sehen oder – nach Michel Foucault – einen Ethnologen der eigenen Kultur. Noch besser vielleicht: einen Volksaufklärer, der die dunklen Seite Amerikas dort findet und ausleuchtet, wo die Vereinigten Staaten am amerikanischsten sind – in Suburbia. Doch all das ändert nichts daran, dass er selbst an den bürgerlichen Moralvorstellungen gemessen wurde, die er als scheinheilig enttarnen wollte. So wurde Clark des Voyeurismus, der Pornografie, mit zunehmenden Alter auch der Pädophilie bezichtigt, weil er sein Lebensthema, den jugendlichen Körper, auch als gereifter Familienvater weiter inszenierte und ästhetisierte.
Es sind nicht allein die Motive, die Nacktheit, die Drogen und die Gewalt, die zu solch extremen Reaktionen auf das Clark’sche Werk führten. Vielmehr noch ist es der intensive Eindruck, er sei als Fotograf nicht bloßer Beobachter, sondern selbst Teil des intimen Settings. Natürlich ist genau diese enge Vertrautheit auch die Stärke seiner Bilder. Clark war immer Komplize, Liebhaber, Anstifter und Schmieresteher. Man sieht seinen Arbeiten die autobiografische Motivation an. Kein Wunder also, dass bei ihm der männliche Körper weitaus öfter im Vordergrund steht als der weibliche. Die Adoleszenz interessiere ihn vor allem, so Clark, weil dies die Zeit im Leben eines Menschen sei, in der er sich als Individuum – teils durch Überschreitung moralischer und auch gesetzlicher Grenzen – ins Verhältnis zur Gesellschaft setze.
Anfang der Neunziger entdeckte Clark, der sich auch in seinem fotografischen Werk schon immer vor allem als Storyteller sah und mit Bilderserien wie „Tulsa“ von 1971 und „Teenage Lust“ von 1983 Regisseure wie Martin Scorsese oder Gus Van Sant beeinflusst hatte, das Medium Film für sich. Sein Spielfilmdebüt „Kids“, laut „New York Times“ ein „wake up call to modern life“, erregte großes Aufsehen und provozierte einen kleinen Skandal. Nach einem Drehbuch des damals 20-jährigen Harmony Korine über eine New Yorker Skater-Gang setzte Clark hier die Aggressionen seiner jugendlichen Protagonisten und die Folgen von Aids besonders drastisch in Szene (und schenkte uns zugleich die ersten Leinwandauftritte von Chloë Sevigny und Rosario Dawson). Die Gesellschaftskritik sahen die wenigsten. Der Film stieß auf totale Ablehnung einerseits und kultische Verehrung andererseits. Noch immer sei „Kids“ für seine Arbeit die enorm wichtige Eintrittskarte in die Welt der Jugendlichen, hat Clark mal gesagt. Er müsse nur den Filmtitel nennen, schon habe er potenzielle Fotomodelle überzeugt.
Seine leitende Frage nach dem Grund für die Unterdrückung bestimmter Bilder und Informationen ist gerade in Zeiten des scheinbar exhibitionistischen Internets so aktuell wie in den Sechzigern, auch wenn sich Clarks düsteres und sexuell aufgeladenes Bild einer desperaten Jugend der amerikanischen Vorstädte bis heute fast verselbstständigt hat. Dennoch: Die Pariser Stadtverwaltung verbot erst vor zwei Jahren Jugendlichen unter 18 Jahren den Zugang zu einer Larry-Clark-Retrospektive im Musée d’Art Moderne.
Ganz ohne Altersbeschränkung zeigt dagegen die auf Fotografie spezialisierte Galerie C/O Berlin vom 26. Mai bis zum 12. August etwa 200 Arbeiten von Larry Clark erstmals in Deutschland. Neben seinen ikonischen Fotoserien und Videos sind dort Collagen zu sehen, in denen der Künstler Zeitungsausrisse, Plakate, Bilder und Briefe kombiniert, um seine Geschichte der westlichen Jugend der vergangenen 40 Jahre zu erzählen.