larger than life
In seinem faszinierenden Buch "U2 & i" zeigt Anton Corbijn ganz neue Facetten von U2. Seit 22 Jahren fotografiert er die Iren - für Plattenhüllen und Pressezwecke, aber auch auf Tournee, in scheinbar unbeobachteten Momenten und sehr privat. Sein opulenter Bildband ist nicht nur die Dokumentation einer Karriere, er ist ein veritables Kunstwerk.
Die erste Begegnung von Bono und Anton Corbijn klingt wie ein Witz. Der Sänger sagt: „Lass mich auf deinen Bildern groß, schlank, intelligent und humorvoll wirken.“ Der Fotograf erwidert: „Du willst also aussehen wie ich?“
Die Pointe: 22 Jahre später sind die beiden beste Freunde. Corbijn hat das „Image“ von U2 entscheidend geprägt, die meisten ihrer Albumcover gestaltet und sie mit Pressefotos versorgt Die verkniffenen Jungen in Irland, die modernistische Phase in Berlin, der knallbunte „Pop“-Versuch, die Rückkehr zu den ursprünglichen Werten – all das hat Corbijn mit erdacht, eingefangen, ausgebaut Die erstaunliche Karriere dieser Band und dieses Fotografen ist jetzt in „U2 & i – Die Photographien 1982 – 2004“ zu sehen – einem Buch, das wirklich Gewicht hat: drei Kilo! Dabei hat sich Corbijn noch eingeschränkt, er hätte locker doppelt so viele Seiten füllen können. Die Materialmasse ist der Hauptgrund, warum das Buch jetzt endlich erscheint Der gebürtige Holländer spielte schon vor zehn Jahren mit der Idee, einen Fotoband über U2 zu veröffentlichen, verzweifelte in seinem Londoner Büro aber über der Fülle an Stoff. Er ist ja nun ohnehin keiner, der dauernd über seinen eigenen Bildern grübelt; den Großteil seines Lebens verbringt er weit weg.
Gerade war er in Riga, um seine Freunde von R.E.M. und Brainstorm auf Tournee zu besuchen, dann gab es einen kurzen Zwischenstopp zu Hause, „fünf Stunden, nicht schlecht“, bald muss er wieder nach Amerika oder Skandinavien, wer weiß das so genau. Jetzt sitzt er erst einmal in München, dem Sitz seines Verlags Schirmer & Mosel. Er hält zum ersten Mal die deutsche Ausgabe seines neuen Werkes in der Hand und seufzt ganz leise: „Irgendwann muss man es einfach machen, sonst wird es nichts mehr. Ich hatte sowieso schon so viele Fotos, dass die Auswahl ewig dauerte. 400 Seiten sind da nichts, aber es war klar, dass es keine 600 werden durften. Es muss ja im vernünftigen Rahmen bleiben.“
Man sieht dem Buch natürlich an, mit wie viel Liebe es zusammengestellt wurde. Und wie viele Menschen der Fotograf schon beeindruckt hat: Es gibt Texte von Bill Clinton, Salman Rushdie, Wim Wenders, Michael Stipe, Helena Christensen – und ein langes, spaßiges Interview mit Bono. Zu allen Fotos, die chronologisch geordnet wurden, hat Corbijn noch eigenhändig Kommentare geschrieben, immer informativ, manchmal lustig, oft sehr erhellend. Für ihn war es nicht nur wichtig, die schönsten Bilder zu finden, sondern eine logische Entwicklung aufzuzeigen: „Das Buch beleuchtet drei verschiedene Faktoren. Zum einen die Entwicklung einer Band, von Anfängern zu Profis. Die Entwicklung der verschiedenen Persönlichkeiten, und natürlich auch meine Entwicklung als Fotograf.“ Was U2 betrifft, nennt Bono diese Veränderung im Laufe der 22 Jahre „from innocence to experience“, Anton „from deadserious to more relaxed“.
Während Bono, als er sein großäugiges, naives Gesicht auf dem Helikopter-Bild (oben 1.) sah, ein bisschen traurig wurde, gibt sich Corbijn nicht solch sinnloser Nostalgie hin: „Diese Unschuld bekommt man nicht zurück. Es nützt nichts, das zu bedauern so ist das Leben eben. Ich bin ja auch nicht mehr derselbe wie vor 22 Jahren.“ Freilich muss Corbijn nicht dauernd anschauen, wie er damals aussah, und vor zehn Jahren und vor fünf. Verständlicherweise hat aber auch er manche seiner Bilder lieber als andere. Ein ewiger Favorit: die Session zu „The Joshua Tree“. Für den Titel war ja der Fotograf verantwortlich. Bono hatte ihm erzählt, es ginge auf dem Album um die Wüste, und so suchte Corbijn den perfekten Ort für die visuelle Umsetzung – und fand ihn bei diesen komischen Bäumen. „Ich liebe das Foto vom Cover immer noch. Die CD-Version ist scheußlich, aber das Vinyl mag ich sehr. Die Band kannte die joshua trees gar nicht, ich habe sie ihnen quasi vorgestellt. Und plötzlich hieß das Album so.“ Vergessen waren die Arbeitstitel „The Desert Songs“ und „The Americas“.
Diese Stunden im Death Valley gehören zu den ergiebigsten, die Corbijn mit U2 bisher erlebte. Manchmal läuft es nicht so rund, auch das verheimlicht er in seinen Kommentaren nicht. „Es gibt Tage, an denen nicht viel geht, weil die Konzentration fehlt oder die richtige Atmosphäre. Aber zumindest ein guter Schuss bleibt immer übrig, dieses Selbstvertrauen hat man nach den vielen Jahren schon.“ Und wer von den vier U2-Kollegen ist nun vor der Kamera der unkomplizierteste? „Adam (Clayton, Bassist) ist immer heikel, aber zurzeit wird es gerade wieder leichter mit ihm. Larry (Mullen jr., Schlagzeuger) ist von Natur aus gutaussehend, mag aber nicht gern fotografiert werden. The Edge (Gitarrist) sieht meistens gleich aus, aber ihm fallen oft witzige Details ein. Bono möchte stets larger than life wirken, er erwartet sehr viel. Da gibt es dann schon mal Diskussionen, aber richtigen Ärger hatten wir noch nie.“
Über eine Titel-Session fiir den amerikanischen ROLLING STONE war Bono besonders unglücklich und beschwerte sich bei Corbijn, wie düster er auf den Bildern blicke und warum man gerade diese ausgewählt habe und so weiter. Als das Heft dann erschien, waren die Reaktionen so positiv, dass der Sänger schnell zurückruderte. „So schlecht fand er das Foto auf einmal gar nicht mehr“, lacht Corbijn. Über solche Petitessen regt er sich nicht mehr auf.
Corbijn hat längst ein Vertrauen zu der Band aufgebaut, das über das normale Arbeitsverhältnis weit hinausgeht. So konnte er auch viele (bisher unveröffentlichte) private Aufnahmen von Bono und seiner Familie machen, und ein paar sensationelle Fotos von U2 mit ihren Vätern, die an den Instrumenten der Söhne stehen. Man sieht förmlich die Liebe und den Respekt voreinander. Und alle sehen sich so ähnlich! „Das passiert eben, wenn man alle Störfaktoren – also besondere Posen, Klamotten, Hüte, Sonnenbrillen und so weiter – wegnimmt und die Menschen einfach so zeigt, wie sie sind, pur. Dann sehen nun mal fast alle Menschen ihren Eltern ähnlich.“
Auf diese Bilder ist Corbijn, auch wenn er den erstaunlichen Effekt herunterspielt, schon besonders stolz. „Das Vater-Sohn-Bild ist sozusagen der cornerstone des Buchs. Es sagt viel aus über unsere Beziehungen. Natürlich verschwindet über die Jahre die Skepsis, das macht die Arbeit einfacher. Grundsätzlich glaubt man mir jetzt erst mal, dass ich schon was Ordentliches zustande bringen werde… Wir hatten auch noch mehr Fotos von Bono mit seiner Familie, und er und seine Frau AU hätten die schon zur Verfügung gestellt. Aber eins der Kinder hatte etwas dagegen.“ Teenager haben halt ihre eigenen Vorstellungen davon, wie sie aussehen wollen – und das gesteht der Fotograf ihnen gern zu. Er selbst ist ja auch ein Sturkopf, der sich nicht dreinreden lässt und keine Kompromisse macht. Ein Künstler eben – und er weiß, dass ihn das manchmal einen Magazintitel kostest, aber das nimmt er in Kauf. Als er anfing, bei Fotos den Fokus zu verschieben, wurde er belächelt Inzwischen ist das längst ein Markenzeichen., Jetzt mache ich das ja nicht mehr so oft, aber damals war es schon etwas Besonderes. Dass man den Sänger im Vordergrund verschwimmen lässt, während die Band dahinter scharf zu sehen ist – das gab es nicht.“
Die meisten anderen Fotos, die Corbijn heutzutage von „seinen“ Bands – U2, R.E.M. oder Depeche Mode – sieht, gefallen ihm nicht. Zu rockstarmäßig, zu gefällig. Zwar müssen U2 nicht mehr so grüblerisch wirken, sie machen auch gern mal Quatsch, doch merkt man Corbijn immer die Ernsthaftigkeit hinter der Kamera an. Auf die Leute davor muss das auch zutreffen: „Ich arbeite eigentlich nur mit Bands zusammen, die mir in einer Hinsicht ähnlich sind: Sie nehmen ihre Arbeit sehr ernst, die Musik ist für sie eine Sache von Leben und Tod. Das war das Fotografieren für mich auch immer. Deshalb verstehen wir uns wohl so gut.“
Und das, obwohl gerade seine Dauerkunden alles andere als Freunde von Foto-Shootings sind. „Bei R.E.M. wollen zwei von drei nicht gern fotografiert werden. Bei Depeche Mode einer von dreien. Und bei U2 stellen sich alle an.“ Corbijn muss lachen. „Aber sie bemühen sich immer.“ Das ist ihm wichtig, denn er macht das alles ja nicht zum Spaß oder weil er so ein starfucker ist, der unbedingt irgendwelche Musiker ablichten will. „Ich bin kein Bandfotograf. Das wirkt vielleicht auf manche so, weil ich mit ein paar großen Bands oft zusammenarbeite. Aber ich mache Porträts, mir geht es um die Menschen. Mir ist natürlich klar, dass in diesem Fall mehr U2-Fans das Buch kaufen werden als Fotografie- oder gar Corbijn-Fans.“ Er überlegt kurz und grinst dann: „Da U2 so viel mehr Fans haben als ich, ist mir das ganz recht so!“